Es ist ein Lehrstück – über Klimaberichterstattung, über Alarmrhetorik, über die Wandlungsfähigkeit öffentlich-rechtlicher Wissenschaftler. In der neuen Terra X-Sendung im ZDF steht Harald Lesch auf einer Brandfläche bei Jüterbog und sagt mit fester Stimme: „So stellt man sich die Apokalypse vor.“ Gemeint ist eine vertrocknete Waldfläche in Brandenburg. Verbrannte Äste ragen wie „Leichenteile“ aus dem Boden. Es sei die „Mega-Katastrophe“, warnt Lesch – und das sei keine Zukunftsmusik, sondern Gegenwart: „Es brennt an allen Ecken und Enden. Und zwar jetzt!“ Und mehr noch: Der ZDF-Wissenschaftler ringt regelrecht um Fassung in der Sendung, wie der „Focus“ schreibt.
Der Zuschauer soll sich fürchten. Vor den 600 Bränden in Brandenburg. Vor dem heißen Mittelmeer. Vor „Compound-Events“, einer neuen Wortschöpfung für das, was früher einfach Wetter war. Vor allem aber soll er spüren, dass es jetzt ernst ist. Dass wir jetzt handeln müssen. Dass alles, was war, nicht mehr zählt. Und genau diese Alarmbotschaft wird dann von Medien wie dem „Focus“ brav multipliziert – samt Apokalypse-Rhetorik, samt Fassungslosigkeit, samt dem ganzen dramaturgischen Werkzeugkasten, der einst politischen Reden vorbehalten war.
Dabei wäre ein Blick zurück durchaus lohnend.
Denn vor gar nicht allzu langer Zeit, bevor die Klima-Panik zur Ersatzreligion wurde, klang derselbe Harald Lesch noch ganz anders. In einer älteren Sendung, inzwischen als Videoausschnitt auf Instagram dokumentiert, warnte er vor genau dem Gegenteil: einem Kältesprung. „Zehn Jahre, 14 Grad Temperatursturz – das wäre eine Katastrophe für die Weltwirtschaft“, erklärte Lesch damals. Wir lebten in einer „Eiszeit“, so Lesch, der ganz sachlich erläuterte, dass 80 Prozent der Erdgeschichte völlig eisfrei gewesen seien. Er erklärte zudem, dass es früher schon Meerestemperaturen von 20 Grad mehr gegeben habe als heute – in einer Zeit, in der Dinosaurier die Erde bewohnten. Damals war das Klima extrem warm, aber zugleich Lebensraum, so der alte Letsch. Heute scheint er all das vergessen zu haben. Ebenso wie seine Schlussfolgerung damals: Man solle sich erst mal kundig machen, bevor man beginnt vorzuschlagen, „was wir mit dem Wetter in Zukunft tun“.
Heute weiß er es offenbar genau
Heute steht er in Brandenburg, spricht von „Leichenteilen“ und davon, dass Europa zum „Hotspot der Klimakatastrophe“ geworden sei – während er früher mit wohltuender Ruhe erklärte, dass gerade in Warmzeiten das Klima stabiler gewesen sei als in Kaltzeiten wie der aktuellen. Heute spricht er von Katastrophen und Kipppunkten – ohne jede Einordnung, ohne Kontext, ohne Zweifel. Früher sprach er von geologischen Maßstäben, von natürlicher Instabilität in Eiszeiten, von der Relativität des Begriffs „warm“. Heute geht es um Schuld und Handlungsdruck.
Was ist passiert?
Hat sich das Weltklima in wenigen Jahren so dramatisch verändert? Oder hat sich nur Lesch verändert – und mit ihm der öffentlich-rechtliche „Wissenschaftsjournalismus“? Der Lesch von heute scheint nicht mehr der Lesch von damals zu sein. Es ist nicht bloß ein Erkenntnisfortschritt – es ist ein psychologischer Bruch. Ein Bruch, wie man ihn häufig bei Menschen erlebt, die sich in eine Mission hineingesteigert haben. Menschen, die früher erklärten – und heute agitieren.
Was besonders irritiert: Kein Wort in der Sendung über diese frühere Sicht. Kein Hinweis auf die Eiszeit-These. Keine Selbstkorrektur, keine Erklärung. Stattdessen ein radikaler Kurswechsel, der nicht erklärt, sondern verborgen wird. Genau das macht ihn so beunruhigend: Die neue Gewissheit baut auf der gezielten Ausblendung der alten Unsicherheit. Was früher als komplex und offen galt, ist heute simpel und eindeutig – mit moralischem Imperativ.
Dabei gäbe es viel zu differenzieren: Ist der Anstieg der Brände in Brandenburg wirklich historisch beispiellos? Wie aussagekräftig sind 600 Brände im ersten Halbjahr, wenn man keine Vergleichszahlen nennt? Und was genau bedeutet es, dass Europa sich „doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt“ erwärmt? Ist das ein temporäres Phänomen? Und welche Rolle spielen natürliche Zyklen?
Wer differenziert, verliert.
So zumindest die Logik vieler Redaktionen. Auch das ZDF folgt ihr. Es liefert starke Bilder, dramatische Musik, apokalyptische O-Töne – und einen Wissenschaftler, der bereit ist, sie zu sprechen. Die Botschaft lautet: Wer das nicht ernst nimmt, ist ignorant. Oder gefährlich. Oder beides.
Dabei wäre es gerade in der Klimadebatte wichtig, sich daran zu erinnern, was Lesch früher sagte: „Man muss erst mal wissen, wovon man spricht.“
Heute wissen es offenbar alle. Bis zur nächsten Kursänderung.
PS: Die Erde ist übrigens nach wie vor eine Kugel, die sich um die Sonne dreht. Und selbst das kann man im Fernsehen noch erklären – wenn es ins aktuelle Framing passt.
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Bild: Screenshot ZDF Mediathek
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