Früher hätte man ihn zum Betriebsrat geschickt. Oder zum Chef. Es hätte ein Gespräch gegeben, vielleicht eine Ermahnung. Wenn überhaupt. Heute reicht ein Video. Drei Sätze – und der Mensch ist erledigt. Beruflich, sozial, existenziell. Und die Medien? Nicken brav und melden vollautomatisch: „Mitarbeiter nach Skandal-Verbaläußerung gefeuert.“
Der Satz, um den es geht: „Bin ich dein Neger?“ Gesprochen von einem Mitarbeiter des Nürburgrings in Warnweste, der offenbar genervt war von einem Gast, der ihn barsch aufforderte, die Zutrittskarte für ihn ans Kartenlesegerät zu halten. Vielleicht war er überfordert. Vielleicht schlicht unprofessionell. Was auch immer der Hintergrund war – seine Wortwahl war dumm, unsensibel, überholt. Aber war sie zwangsläufig rassistisch? Das ist alles andere als ausgemacht.
Viele ältere Menschen – und nicht wenige Migranten – haben diesen Spruch früher verwendet, ohne jeden ideologischen Hintergrund. Es war eine saloppe Redensart, die in meiner Jugendzeit in breiten Milieus zum Alltag gehörte. Die Grenze zur rassistischen Gesinnung läuft anderswo. Wer sie trotzdem automatisch zieht, macht aus einem unpassenden Ausdruck ein Gesinnungsdelikt.
Die Absurdität erreicht dabei mitunter Monty-Python-Niveau (wo in einer Szene ein Mann gekreuzigt wird, nur weil er das verbotene Wort Jehova ausgesprochen hat): Während der Mann vom Nürburgring das Aussprechen eines bestimmten Wortes beruflich vernichtet wird, trauen sich viele Medien nicht einmal mehr, dieses Wort auszuschreiben. Stattdessen heißt es dann in größten Blättern: „N****“. Als könne das normale Publikum nicht mit vier Buchstaben umgehen. Es ist diese Mischung aus alberner Pseudoreligiosität und serviler Zeitgeistanbiederung, die den Fall noch absurder macht. Wer ein Wort zur Waffe erklärt, aber sich gleichzeitig weigert, es beim Namen zu nennen, betreibt Magie, keine Aufklärung. Und wer glaubt, durch das Verschweigen eines Wortes gesellschaftliche Probleme zu lösen, ist nicht tolerant, sondern feige.
Die neue Gnadenlosigkeit
Was sich hier abspielt, ist mehr als eine einzelne Personalentscheidung. Es ist ein Beispiel für die neue Gnadenlosigkeit. Für die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen heute für eine unbeholfene oder überkommene Ausdrucksweise vernichtet werden. Nicht, weil sie sich systematisch diskriminierend verhalten haben. Sondern weil sie, oft in einer Ausnahmesituation, den falschen Ton getroffen haben. Und weil dieser Ton gefilmt wurde.
Einmal „Neger“ gesagt – und raus. Keine Chance auf Erklärung. Keine auf Entschuldigung. Kein Verfahren, keine Abwägung, kein Interesse an Kontext. Stattdessen das volle Programm: Video-Shaming, Medienmeldung, Entlassung. Innerhalb weniger Stunden. Willkommen in der Republik der moralischen Exekution.
Bestrafe einen, erziehe Hunderte
Der Mechanismus erinnert fatal an totalitäre Systeme. „Bestrafe einen, erziehe Hunderte“ – so lautete ein Lieblingsspruch Maos. Und genau das passiert hier. Der Mann ist nicht mehr einfach ein Mensch, der einen dummen Fehler gemacht hat. Er ist ein Symbol. Ein Warnschild. Ein Exempel.
Die Botschaft ist klar: Wer sich ähnlich äußert, ist weg. Ohne Wenn, ohne Aber. Ohne Rückfahrkarte. So wird ein Klima der Angst geschürt, das mit einer freiheitlichen Demokratie nichts mehr zu tun hat. Und das leider sehr viele Menschen – eingeschlossen unseren Bundeskanzler – gar nicht als solches wahrnehmen. Weil sie angepasst sind und diese Anpassung gar nicht mehr als solche erkennen, weil sie sie absolut verinnerlicht haben.
Und was machen die Medien? Sie berichten nicht kritisch über diese neue Form der digitalen Lynchjustiz. Sie feiern sie. Oder sie schreiben sie einfach ab, wie die „Bild“ in diesem Fall. Ohne jede Nachfrage, ohne jedes Nachdenken. Der „Skandal“ ist die Nachricht, die Entlassung die Pointe. Und wer das hinterfragt, gilt als Verteidiger von Rassismus, der heute überall gewittert wird. Nur nicht bei Diskriminierung von Weißen und/oder Einheimischen.
Wie viel DDR steckt da drin?
Es ist dieselbe Doppelmoral, die man aus anderen Epochen kennt. Die alte DDR zum Beispiel war groß im Kampf gegen Nazis – und gleichzeitig ein autoritäres System, das Dissens vor allem in den Frühzeiten brutal unterdrückte. Heute behauptet die Bundesrepublik stolz, sie sei aus ihrer Geschichte klüger geworden. „Nie wieder“ ist das große Mantra.
Aber wie viel „Nie wieder“ ist übrig, wenn Menschen für einen Satz öffentlicht an den Pranger gestellt und sofort in ihrer wirtschaftlichen Existenz vernichtet werden? Wie viel Freiheit bleibt, wenn jeder ständig damit rechnen muss, dass eine unüberlegte Formulierung zum sozialen Tod führen kann?
Kein Freispruch, aber ein Fragezeichen
Nein, es geht nicht darum, den Spruch zu verharmlosen. Der war früher schon dumm und ist es auch heute noch. Er klingt rassistisch, auch wenn er nicht zwangsläufig so gemeint ist. Wie gesagt – in vielen Regionen und Milieus war diese Formulierung über Jahrzehnte gängig, ohne dass sie mit Hass oder Ideologie verknüpft war. Und ja, ich hätte nichts dagegen, wenn dieser Mann für seinen rüden Umgang mit dem Kunden eine Ermahnung erhalten hätte. Oder zu einem Gespräch gebeten worden wäre. Es geht nicht um Nachsicht, sondern um Verhältnismäßigkeit. Und die ist hier komplett verlorengegangen.
Denn was ist das für ein Menschenbild, in dem kein Fehler mehr erlaubt ist? In dem ein einzelner Satz das ganze berufliche Leben eines Menschen auslöschen kann? Und was ist das für ein Freiheitsverständnis, das keinen Unterschied mehr kennt zwischen Fehltritt und Verbrechen?
Dürfen Rassisten noch Menschen sein?
Ein ketzerischer Gedanke, aber einer, der erlaubt sein muss: Wenn wir uns als Gesellschaft der Toleranz, der Vielfalt und der Meinungsfreiheit verstehen – müssen wir dann nicht auch Toleranz für die zeigen, die wir für intolerant halten? Oder erklären wir bestimmte Gruppen zu Untermenschen, für die Grundrechte nicht mehr gelten? Meines Wissens sind die Menschenrechte im Grundgesetz nicht eingeschränkt und da steht nirgends, dass sie nicht gelten für Menschen mit falscher politischer Ansicht oder fehlender politischer Korrektheit.
Die Antwort auf dumme Sprüche kann nicht eine Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz sein. Sonst verlieren wir genau das, was wir zu verteidigen vorgeben: unsere Menschlichkeit. Und noch etwas gerät zunehmend aus dem Blick: In der berechtigten Abgrenzung zu den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte konzentrieren wir uns so sehr auf deren Endpunkt, dass wir die Anfänge aus dem Blick verlieren. Dabei beginnt jede Form von Unfreiheit nicht mit Lagern oder Schauprozessen, sondern mit der Selbstverständlichkeit, Andersdenkende zu stigmatisieren und Abweichler sozial zu vernichten. Wer meint, Demokratie sei erst dann in Gefahr, wenn Menschen eingesperrt werden, verkennt, dass es immer eine Entwicklung ist. Und dass eine Gesellschaft, in der man für dumme Sprüche die wirtschaftliche Existenz verliert, schon längst auf einem bedenklichen Pfad unterwegs ist.
Der Nürburgring sagt, er stehe für Respekt. Würde er das wirklich, wäre das gut so. Aber er tut das Gegenteil. Denn Respekt bedeutet nicht nur, freundlich zu Touristen zu sein. Respekt bedeutet auch, Menschen nicht sofort zu vernichten, wenn sie etwas Unpassendes sagen. Respekt bedeutet, Fehler zu benennen – und trotzdem den Menschen dahinter zu sehen.
Was wir heute erleben, ist keine freiheitlich-demokratische Kultur mehr, wie sie die Väter des Grundgesetzes nach den Schrecken des Nationalsozialismus wollten. Es ist eine autoritäre Kultur der moralischen Vernichtung. Und die ist mindestens so gefährlich wie das, was sie zu bekämpfen vorgibt. Wer einmal den Kontrast zu autoritären Regimen wie Russland erlebt hat, kann darüber nur den Kopf schütteln: Dort müssen Oppositionspolitiker um ihr Leben und ihre Freiheit fürchten – aber ein „normaler“ Bürger kann sich auch mal kritisch oder ungeschickt äußern, ohne gleich alles zu verlieren. In Deutschland hingegen kann ein unüberlegter Satz, gesprochen aus Ärger oder Unwissen, existenzielle Folgen haben. Das zeigt, wie paradox unsere Freiheitsbegriffe inzwischen geworden sind. Freiheit ist nicht immer dort am größten, wo am lautesten von ihr gesprochen wird.
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Bild: Screenshot Youtube
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