• 30. Juni 2025

Umfrage unter jüdischen Israelis: Mehrheit unterstützt Ausweisung und radikale Maßnahmen

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Juni 30, 2025
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Wer einen vor ein paar Wochen in der israelischen „Haʾaretz“ veröffentlichten Artikel liest, muss zunächst annehmen, dass es sich dabei um eine üble Propaganda-Fälschung handelt, um Israel zu diskreditieren, aber der Artikel ist erschienen und die Umfrage darin echt.

Die „Haʾaretz“ gilt laut Online-Enzyklopädie „als kritische Instanz der israelischen Gesellschaft“, was sich, so heißt es weiter, in einem säkularen Staatsverständnis, dem Eintreten für die Gründung eines Palästinenserstaates und einem weitgehenden Wirtschaftsliberalismus niederschlägt. Konkret geht es in dem Artikel um eine repräsentative Umfrage unter Israelis.

Die Zeitung schreibt dazu:

„Die im März von der Pennsylvania State University in Auftrag gegebene und von Tamir Sorek im Auftrag des israelischen Meinungsforschungsinstituts Geocartography Knowledge Group durchgeführte Studie befragte eine repräsentative Stichprobe von 1.005 jüdischen Israelis. Dabei wurden eine Reihe ‚unhöflicher‘ Fragen zum israelisch-palästinensischen Konflikt gestellt – Themen, die in der Regel in israelischen Meinungsumfragen vermieden werden.“

Im Zentrum des Bebens in der „Haʾaretz“ stehen zwei Umfrageergebnisse. Demnach, so schreibt das Blatt, sprachen sich 82 Prozent der Befragten für die Ausweisung der Bewohner des Gazastreifens aus, während 56 Prozent die Ausweisung palästinensischer Bürger aus Israel befürworteten. Vor über zwanzig Jahren gab es schon einmal eine vergleichbare Umfrage, danach gab es damals etwa halb so viele Israelis, die zustimmten.

Eine mindestens von außen betrachtet verstörend wirkende Headline verlinkt zu einem weiteren Artikel mit dem Titel: „Der Dämon der ethnischen Säuberung ist in Israel aus der Flasche gelassen worden“.

Und dazu hat „Haʾaretz“ ein weiteres Umfrageergebnis der Studie veröffentlicht, das noch weitaus verstörender klingt als die beiden erstgenannten:

„Fast die Hälfte (47 Prozent) der Befragten stimmte zu, dass ‚die israelischen Verteidigungskräfte bei der Eroberung einer feindlichen Stadt so handeln sollten, wie es die Israeliten unter Josuas Befehl in Jericho taten – indem sie alle Einwohner töteten‘.“

Hier verspürt man sofort das zwingende Bedürfnis, sich den Fragenkatalog noch einmal genauer anzuschauen, der ist aber nicht sofort recherchierbar, demnach gilt es hier zunächst, den Recherchen der „Haʾaretz“ zu vertrauen.

Weitere Fragen und Antworten der Umfrage werden beschrieben, die außerhalb Israels und fern der Debatte rational nur schwer zu begreifen sind. Danach gaben fünfundsechzig Prozent der Befragten an, sie glaubten an die Existenz einer modernen Inkarnation von Amalek, dem biblischen Feind der Israeliten. Von diesen 65 Prozent sagten wiederum 93 Prozent, dass das Gebot, die Erinnerung an Amalek auszulöschen, auch heute noch aktuell sei.

Das alles ist verstörend und nur schwer vorstellbar. Denn es sind hier offenbar nicht nur Randgruppen, die in drei zentralen Fragen zu großen Teilen Vertreibungs- und Vernichtungsfantasien haben. „Haʾaretz“ erklärt sich die Entstehung wie folgt:

„Diese apokalyptische Rhetorik ist in religiösen zionistischen Kreisen auf fruchtbaren Boden gefallen, wo führende Persönlichkeiten seit langem für eine solch extreme Politik eintreten.“

Allerdings sind 93 Prozent von 65 Prozent der repräsentativ Befragten alles andere als eine krasse Minderheit „religiös zionistischer Kreise“. Was ebenfalls verstörend wirkt, ist, dass sich der Artikel im Anschluss an die Veröffentlichung der wesentlichen Umfrageergebnisse einem Radikalen widmet, den man dem extremistisch-religiösen Rand der israelischen Gesellschaft zuordnen muss:

„Eine der einflussreichsten Persönlichkeiten, die eine solche Politik fordern, ist Rabbi Yitzchak Ginsburgh, Leiter der Od Yosef Chai Yeshiva in der Westjordanland-Siedlung Yitzhar.“

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„Haʾaretz“ erklärt, Ginsburgh sei bekannt geworden durch sein Pamphlet „Baruch Hagever“ („Baruch der Mann“), in dem der Rabbi Baruch Goldstein lobte, den Siedler, der 1994 in der Patriarchenhöhle in Hebron 29 muslimische Gläubige massakrierte.

Besagter Rabbi Ginsburgh (in den USA geboren) führt laut Zeitung offenbar auch eine „Hilltop-Jugend“. Laut „Haʾaretz“ sind das gewalttätige junge Siedler von illegalen Außenposten, „die jetzt eine bewaffnete Miliz bilden, die für häufige Angriffe und gelegentliche Morde in Dörfern im Westjordanland verantwortlich ist“.

Hinzu komme noch, schreibt die Zeitung, die nationalistische Haredi-Bewegung (Ginsburgh soll einer ihrer Führer sein). Sie biete den Israelis „einen religiösen Deckmantel für die Auslöschung der palästinensischen Ureinwohnerschaft.“ Sie biete eine Sprache und einen Aktionsplan „auch für säkulare israelische Juden.“

Die Zeitung erinnert im Kontext der Umfrage auch an eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, dessen Richter David Mintz einen Antrag der Menschenrechtsgruppe Gisha abgewiesen hatte, Israel anzuweisen, humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu liefern. Mintz behauptete, es handele sich um einen „Gebotskrieg“, wie er in der Tora steht. Damit genehmigte er die Verweigerung von Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten für zwei Millionen Menschen im Gazastreifen. Richter Mintz selbst lebt in Dolev, einer Siedlung im Westjordanland.

Die Zeitung erklärt die Umfrageergebnisse mit dem Schock und der Angst, die die israelische Öffentlichkeit nach dem 7. Oktober ergriffen habe. Nur das könne laut „Haʾaretz“ die einzige Erklärung für diese Radikalisierung sein. Allerdings, so die Zeitung, kann da nur etwas zu Tage getreten sein, das in vielen Israelis schon angelegt war: Das Massaker habe mutmaßlich jene Dämonen entfesselt, die jahrzehntelang in den Medien und im Rechts- und Bildungssystem gehegt wurden, schreibt die Zeitung.

Der Versuch, Dinge zu begründen und fassbar zu machen, kann auf Nicht-Israelis nur bestürzend bis unverständlich wirken, wenn es da weiter heißt:

„Der Wunsch nach absoluter und dauerhafter Sicherheit kann zu dem Bestreben führen, die widerstrebende Bevölkerung zu eliminieren. Daher birgt praktisch jedes Siedlungsprojekt das Potenzial für ethnische Säuberungen und Völkermord, wie es in Nordamerika im 17. bis 19. Jahrhundert oder in Namibia zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschah.“

Das Fazit der Zeitung mit Blick auf die Umfrage ist nicht weniger als „Israels moralischer Zusammenbruch“. Die aktuelle Situation wird verglichen mit der Besiedlung Amerikas:

„Puritanische Siedler in Amerika, Irland und anderen Ländern griffen auf die Bibel zurück und verglichen die einheimische Bevölkerung, die sich ihnen widersetzte, mit Amalekitern und Kanaanitern. Auch sie griffen zu ethnischen Säuberungen und Völkermord an den Eingeborenen.“

Die Autoren des Artikels sind Shay Hazkani, Professor für Geschichte und Jüdische Studien an der Universität von Maryland, und Tamir Sorek, Professor an der Fakultät für Geschichte der Pennsylvania State University, von wo aus die Umfrage in Auftrag gegeben wurde.

Hauptergebnisse: 82 Prozent für Ausweisung aus Gaza, 56 Prozent für Ausweisung palästinensischer Bürger, 47 Prozent für biblische Gewalt (Tötungen).

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Author:
Alexander Wallasch

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