Heute um 7:30 Uhr hörte ich einen Freudenschrei aus der Küche. Frau hatte es zuerst entdeckt: Die Eier sind da! Unser Blaumeisenpaar hat Nachwuchs. Jedenfalls ist es auf dem besten Weg dahin.
Aber der Reihe nach: Der älteste Sohn hatte uns zu Weihnachten einen Nistkasten mit integrierter Kamera geschenkt. Lange blieb die Bruthilfe unaufgehängt, dann hatten wir es vor ein paar Wochen doch endlich geschafft. Nicht nur der Kasten hing am Baum, auch die heimliche Beobachtung über Kamera und App war eingerichtet, was deutlich die schwierigere Aufgabe war.
Mit der App verhielt es sich zunächst wie mit dem Kaffeevollautomaten. Man glaubt, man kann sofort starten, dann entdeckt man erst die versteckten Folgekosten. In diesem Falle nicht für Reinigung und Filter, sondern das Unternehmen will zehn Euro monatlich für eine Vollversion, der erste Monat ist gratis, danach muss man bezahlen, wenn man mehr will als nur gelegentlich ein paar Konservenbilder.
Da wir nicht gewillt sind, dieser versteckten Erpressung Folge zu leisten, war es besonders erfreulich, dass unsere kleinen Blaumeisen pünktlich zum letzten Tag des Gratismonats zur Tat schritten.
Aber nochmal zurück auf Anfang: Die Meisen stürmten bereits am Folgetag nach der Aufhängung den neuen Kasten. Wir hatten vorher lange gegoogelt, in welche Himmelsrichtung der Kasten anzubringen ist. Und Frau hatte vorbeischleichenden Katzen in den ersten Tagen eindringlich klargemacht, was die Stunde geschlagen hat und was in den kommenden Wochen keine gute Idee ist.
Nun war schon etwas länger ein Umbau eines Nachbarhauses geplant. Dazu muss man wissen, dass es solche Nachbarn sind, die immer sehr umweltbewusst und aufmerksam auftreten, auch was unsere Mülltrennung betrifft. Und uns war jetzt eingefallen, dass wir dafür bisher noch nie richtig unsere Dankbarkeit gezeigt hatten.
Auch nicht für die vielen schönen Windspiele aus Bambus, die beim kleinsten Windhauch Melodien spielen, dabei ähnelt wirklich keine der anderen, es tritt also kein Gewöhnungseffekt ein. Auch die in den Bäumen und Sträuchern aufgehängten Traumfänger sind uns direkt ans Herz gewachsen, sie bringen so eine exotische, abenteuerliche Note mit ins Viertel.
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Jetzt waren wir also mal an der Reihe und bedankten uns von Herzen, indem wir am Tag des Baubeginns die frohe Botschaft mit unseren Nachbarn teilten: Wenige Meter von eurem Bauvorhaben entfernt baut eine Blaumeise ihr Nest – ist das nicht wundervoll?
Die Liebe zur Natur endete in diesem Falle dort, wo eine bereits vorgefahrene Baukolonne ihre Arbeit nicht aufnehmen kann, weil der Biologe der örtlichen Sektion einer NGO erst am Folgetag Zeit hat, sich die knifflige Situation vor Ort genauer anzuschauen. Den Traum vom flotten Baubeginn hatte das ahnungslose kleine Meisenpaar also eingefangen. Aber die wenige Gramm schweren Flugwesen konnten ja nicht ahnen, was die Nachbarn schon so lange geplant und endlich organisiert hatten.
Der Biologe war dann vor Ort und grübelte gemeinsam mit meiner Frau eine Weile in respektvoller Entfernung vom Nistkasten über den Fotobeweisen der Brutkastenkamera.
Also nein, so nah am Baugeschehen, das geht nicht gut. Das könne er nicht genehmigen. Aber es bestünde vielleicht die Möglichkeit, wenn wir einverstanden wären und wenn man es bloß vorsichtig macht, den Kasten noch ein paar Meter umzusetzen, die Eier seien ja noch nicht gelegt.
Die Nachbarn finanzierten dann gern noch zwei weitere Nistkästen – Empfehlung des Biologen – um ganz sicher zu gehen. Diese allerdings ohne Kamera. Gesagt, getan, Nistkästen umgesetzt und siehe da: Die kleinen fleißigen Federbällchen waren sofort einverstanden, noch mehr, weil die Nachbarin auch noch einen Sicht- und Lärmschutz aufgebaut hatte, der Biologe fand auch diese Idee besonders sinnvoll.
Heute früh dann besagter Freudenschrei der Frau, die Kamerameldung hatte gepiept und es waren sechs ganz winzige Meiseneier zu sehen, halb bedeckt von den weichen Flaumfedern und Moosen, welche die Meisen als Polsterung für ihr Gelege ausgesucht hatten.
Was mit jedem neuen Film überrascht, ist diese hohe Agilität der Vögelchen, die bisweilen ganz hektisch und aufgeregt wirken. Aber gerade sitzt die Meisenmutter ganz ruhig auf ihren Eiern und brütet.
Die freudige Überraschung muss ich gleich mal den Nachbarn erzählen. Aber Frau sagt: „Ach lass doch, du redest doch sonst auch nicht mit denen.“ Und dann lachen wir – aber ganz leise, wir wollen ja die Meisen nicht beim Brüten stören.
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Author:
Alexander Wallasch