Er nennt die Dinge beim Namen, benutzt Worte wie „verarscht“ und „beschissen“, geht gegen Sozialbetrug und Armutszuwanderung vor – und gewinnt damit die Wahl in Duisburg. Genauer gesagt: Er zieht als Erstplatzierter in die Stichwahl – was früher für die SPD in ihrem Stammland Nordrhein-Westfalen ein Debakel gewesen wäre, aber für heutige SPD-Verhältnisse schon fast wie ein Triumph wirkt. Man sollte meinen, so etwas weckt in Berlin Interesse. Doch die SPD-Zentrale hat offenbar ein anderes Hobby: Selbsthypnose.
Sören Link, Oberbürgermeister von Duisburg, ist einer der letzten geerdeten Sozialdemokraten dieses Landes in Führungsposition (an der Basis gibt es sicher noch viele). Einer, der noch weiß, dass „soziale Gerechtigkeit“ nicht bedeutet, dem Sozialstaat beim Kollaps zuzusehen. Der gegen Missbrauch kämpft, weil er die Schwachen schützen will – nicht ihre Ausbeuter. Einer, der verstanden hat, dass Wähler keine Phrasen wählen, sondern Vertrauen. Und das gibt’s nicht auf Parteitagen, sondern auf dem Marktplatz.
In Berlin sieht man das anders. Da erklärte die Bundes-SPD jetzt, auf den Duisburger Lokalpolitiker angesprochen, Link unterstütze „den Kurs von Bärbel Bas und Lars Klingbeil“ – also jenen Kurs, den Link kurz zuvor offen kritisiert hatte. Seine Wahlkampf-Breitseite – „der Kurs scheint an einer anderen Stelle nicht zu passen“ – wurde geflissentlich ignoriert. Die Parteizentrale will offenbar lieber Applaus hören – und bastelt sich aus Kritik ein Kompliment. Nachfragen, wie dieser Widerspruch zu deuten sei, ließ die SPD bisher unbeantwortet.
Dabei war das Wahlergebnis in ganz Nordrhein-Westfalen ein Desaster. Duisburg war die große Ausnahme – fast überall sonst verlor die SPD teils dramatisch, landesweit kam sie nur noch auf rund 22 Prozent – zwei Prozentpunkte weniger als vor fünf Jahren und historischer Tiefstand. Die AfD dagegen verdreifachte ihr Ergebnis. Doch aus Berlin kamen keine Analysen, keine Kurskorrektur, keine Einsicht. Im Willy-Brandt-Haus klammert man sich an den einen Lichtblick – und erklärt ihn zur Bestätigung des gesamten Kurses. Man kann sich die Welt schönreden. Nur Wahlergebnisse lassen sich nicht umerzählen.
Klartext-Bürgermeister als Störfall
Dabei war Links Kurs kein Betriebsunfall, sondern ein bewusster Bruch mit der weichgespülten Bundeslinie. Als er das Problemhochhaus „Weißer Riese“ räumen ließ, nannte er es „absolut notwendig“. Und er sagte wörtlich: „Ich habe keine Lust, verarscht und beschissen zu werden.“ Das sind Sätze, die in der Berliner Parteizentrale nicht mal in der Kantine fallen dürfen, ohne dass jemand nach einem Awareness-Team ruft.
Link will „die Menschen, die hart arbeiten und morgens früh aufstehen“, nicht aufgeben. Klingbeil & Co. hingegen geben lieber denen Raum, die am lautesten schreien – Hauptsache, sie schreien nicht rechts. Dass die AfD in NRW vielerorts ihr Ergebnis verdreifachte, kommentiert die SPD nur mit betretenem Schweigen. Vielleicht, weil man die Antwort auf die Frage scheut, warum sich so viele Ex-Arbeiterparteiwähler inzwischen anders orientieren.
Und während die Parteizentrale schweigt, hyperventiliert das rot-grüne Zentralorgan „Zeit“: Dort verpasste man Link den wenig charmanten Spitznamen „Trump von Duisburg“ – und wunderte sich süffisant, wie viel Applaus dessen Law-and-Order-Kurs bei Konservativen finde. Der Subtext: Wer bei den Falschen punktet, hat bei unseren champagner-linken Medien und der heutigen SPD eben schon verloren – selbst wenn er Wahlen gewinnt.
Ein lehrreicher Selbstbetrug
Die Szene hat Lehrstück-Charakter: An der Basis kämpft ein Bürgermeister mit echtem Realitätssinn um Vertrauen. Die Parteiführung hingegen verwandelt seine Mahnung in Selbstbestätigung. Der Reflex ist bekannt: Kritik wird zur Zustimmung umdeklariert, solange sie nicht explizit mit dem Wort „Rücktritt“ endet. Man könnte es Realitätsverweigerung nennen. Oder den ganz normalen Politikbetrieb.
Sören Link hat – vielleicht ungewollt – gezeigt, dass es noch so etwas wie politischen Mut in der SPD geben kann. Die Frage ist nur: Wie lange noch? Wer in der eigenen Partei auf Probleme hinweist, wird heute nicht mehr gehört – sondern umgedeutet.
Und so hört eine Parteispitze, die längst den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hat, auch diesen Schuss wieder nicht. Dass dieses System aus Realitätsvermeidung und Selbsttäuschung noch halbwegs funktioniert, liegt nur daran, dass es vielen Wählern ähnlich geht. Auch in der Bevölkerung ist die Realität vielerorts zum Feindbild geworden. Doch der Mechanismus trägt nicht ewig. Irgendwann wird auch der treueste Applausklatscher feststellen: Man kann den Kurs nicht ändern, wenn man keine Karte mehr liest.
So bleibt von Links Achtungserfolg inmitten des landesweiten SPD-Debakels vor allem eine Mahnung: Wer die Wirklichkeit benennt, wird in seiner Partei nicht belohnt – sondern missverstanden, uminterpretiert oder ignoriert. Und nicht jeder Applaus gilt der Bühne – manchmal gilt er dem einzigen Darsteller, der nicht spielt.
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Bild: Zoltan Leskovar, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons
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