• 6. März 2025

„Sondervermögen“ statt Schulden? – Die hohe Kunst der Wähler-Täuschung

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März 5, 2025
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Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

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Man kann nicht erwarten, dass im Winter die Freibäder öffnen. Und man kann ebenfalls nicht erwarten, dass ein Politiker Wort hält – wäre er vertrauenswürdig, dann wäre er kein Politiker.

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Friedrich Merz hat seine Wähler getäuscht; unsere begabte Außenministerin nimmt vermutlich an, dass er eine Wende um 360° vorgenommen hat. Aber konnte ihn denn irgendjemand beim Wort nehmen? Hat irgendjemand ernsthaft angenommen, er würde sich nach der Wahl auch nur eine Minute lang darum scheren, was er vor der Wahl versprochen hat? Dabei gibt es doch in der neueren deutschen Geschichte genügend leuchtende Beispiele für passendes Politikerverhalten. Im Wahlkampf 2005 beispielsweise kündigte die CDU eine Mehrwertsteuererhöhung von 16% auf 18% an, die SPD war strikt dagegen: Es werde keine Erhöhung der Mehrwertsteuer geben, donnerte Franz Müntefering. Der Kompromiss der damaligen Großen Koalition bestand dann darin, dass man es nicht bei 16% beließ und auch nicht auf 18% erhöhte, sondern mit einer Erhöhung auf 19% eine Art von politischem Mittelwert bildete. So rechnen Politiker und so argumentieren Politiker: „Es ist unfair, Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen“, konnte man von eben jenem Franz Müntefering hören, der noch kurz vorher jede Erhöhung der Mehrwertsteuer kategorisch ausgeschlossen hatte.

Friedrich Merz kopiert Franz Müntefering; beide einen nicht nur ihre Initialen und ihre gemeinsame Herkunft aus dem Sauerland, sondern offenbar auch ihre Neigung, guten Gewissens die Wähler zu täuschen, weil sie genau wissen, dass die sich wieder und wieder täuschen lassen. Nun sehen wir die Resultate. Ein „Sondervermögen“ in Höhe von 500 Milliarden Euro will man auflegen für „schnelle und nachhaltige Investitionen in unsere Infrastruktur“, wie es der zukünftige Schuldenkanzler formulierte.

Ein Sondervermögen – das ist nichts weiter als ein anderer Name für Schulden, der erstens freundlicher klingt und zweitens garantieren soll, dass nur einigermaßen klar definierte Maßnahmen mit einem bestimmten Zweck daraus finanziert werden dürfen; in diesem Fall kommt die noch immer vorhandene, aber bereits in den letzten Zügen liegende Schuldenbremse nicht zur Anwendung. Und der Zweck ist ja tatsächlich glasklar formuliert: Schnelle und nachhaltige Investitionen in unsere Infrastruktur sollen es sein, nicht mehr und nicht weniger.

Da man sich in politischen Kreisen die Welt ohnehin so zurechtdefiniert, wie man sie gerne hätte, kann ich hier auch auf die entsprechende Wikipedia-Definition zurückgreifen: Als Infrastruktur bezeichnet man „alle Anlagen, Institutionen, Strukturen, Systeme und nicht-materiellen Gegebenheiten, die der Daseinsvorsorge und der Wirtschaftsstruktur eines Staates oder seiner Regionen dienen.“ Damit kann man alles und jedes rechtfertigen; es dürfte kaum eine Ausgabe geben, die nicht irgendetwas mit „Systemen und nicht-materiellen Gegebenheiten“ zu tun haben, die der Daseinsvorsorge und der Wirtschaft dienen oder doch wenigstens dienen könnten. Insbesondere Klimahysteriker dürfen sich freuen, denn was sollte Klimaschutz anderes sein als Daseinsvorsorge, zumindest für das Dasein der Klimahysteriker? Und auch der vielgeliebte Kampf gegen Rechts lässt sich zwanglos als Unterstützung „nicht-materieller Gegebenheiten“ interpretieren, der politischen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn’s ums Geld geht. Und wenn man einen Gutachter braucht, steht Marcel Fratzscher, der Christian Drosten der Ökonomie, immer gerne hilfreich zur Seite.

Niemand soll daher glauben, dass mit diesen neuen Schulden viel Sinnvolles geschehen wird; man wird sie wie üblich für Unsinn verschleudern und sich von der Presse dafür feiern lassen. Aber es sind ja nicht die einzigen Schulden, die Friedrich Merz uns aufbürden will. Zur Stärkung der Verteidigung hat er sich mit seinem Mitstreiter Lars Klingbeil etwas ganz besonders Schönes ausgedacht. „Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: whatever it takes“, ließ er sich vernehmen, und das bedeutet konkret: Alle Verteidigungsausgaben, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, werden von der Schuldenbremse ausgenommen. Das entspricht etwa dem Verhalten eines Autofahrers, der bei der Alkoholkontrolle alle Werte über 0,4 Promille von der Bewertung ausnehmen will. Auf diese Weise behält er stets seinen Führerschein, und genauso kann man stets die Schuldenbremse einhalten, indem man sie vernichtet.

Und was bedeutet das in Zahlen? Das deutsche Bruttoinlandsprodukt lag 2024 bei 4305 Milliarden Euro. Ein Prozent davon sind etwa 43 Milliarden Euro. Sobald der Verteidigungshaushalt also 43 Milliarden Euro überschreiten soll, darf man nach Herzenslust Schulden aufnehmen, als gäbe es kein Morgen. Wir brauchen 86 Milliarden? Aber gern, man nehme einen Kredit in Höhe von 43 Milliarden auf, die Politiker müssen ja die Folgen nicht tragen. Wir wollen Verteidigungsausgaben in Höhe von 5% des Bruttoinlandsprodukts? Ja, warum denn nicht, wir werden schon jemanden finden, der uns die 172 Milliarden leiht, die über 43 Milliarden hinausgehen. Woher stammt der schöne Satz „Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest. Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen“? Er stammt aus dem Wahlprogramm der Union für die Wahl zum neuen Deutschen Bundestag, aber wir haben ja gelernt: „Es ist unfair, Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen.“

Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, „wollen Union und SPD im neugewählten Bundestag noch bis Jahresende eine Reform der Schuldenbremse voranbringen. Dazu solle eine Expertenkommission eingesetzt werden, heißt es in einem Papier zu den Sondierungsgesprächen, auf das sich die Nachrichtenagentur dpa bezieht.“ Selbstverständlich läuft das auf die vollständige Entkernung der Schuldenbremse hinaus, die man schon jetzt mithilfe des Sondervermögens und der Sonderregelung für Verteidigungsausgaben gründlich ruinieren will; sie dann endgültig zu den Akten zu legen, dürfte keine großen Probleme mehr bieten. Und auch die „Expertenkommission“ findet mit dem bereits erwähnten Marcel Fratzscher sicher einen willigen Vorsitzenden. Für die Besetzung der weiteren Sitze empfehle ich, Kontakt mit einigen Schuldnerberatungen aufzunehmen – nicht etwa, um die Berater zu engagieren, nein, ihre Kunden sind da viel besser geeignet; die wissen, wie man ungebremst Schulden macht.

Mit 2,5 Billionen Euro sind derzeit Bund, Länder und Gemeinden verschuldet. Vor der Wahl hat Merz das nicht nur gewusst, sondern auch zugesagt, die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen und sich einer wenigstens einigermaßen vernünftigen Haushaltspolitik zuzuwenden. Selbstverständlich weiß er es nach der Wahl immer noch, aber es interessiert ihn nicht mehr, sofern es ihn überhaupt jemals interessiert hat. Um sein Lebensziel, Bundeskanzler zu werden, zu erreichen, wirft er jede Form von Vernunft und jedes Versprechen, das er jemals den Wählern gegeben hat, mit rasender Eile über Bord und sich selbst in die Arme einer ebenso tiefroten wie ruinösen Verschuldungspolitik. Dass er dabei auch noch auf das windige Manöver zurückgreift, den alten und eigentlich schon abgewählten Bundestag darüber abstimmen zu lassen, weil er im nächsten keine Zwei-Drittel-Mehrheit erzielen kann, ist nur noch eine Fußnote, die zeigt, wie weit er und mit ihm seine politischen Kumpane aus CDU und SPD sich inzwischen von demokratischen Prinzipien entfernt haben – von den Grünen muss ich nicht reden, die hatten so etwas noch nie.

Der amerikanische Autor Edgar Watson Howe schrieb vor langer Zeit: „Die Regierung ist hauptsächlich eine kostspielige Organisation, die sich mit Übeltätern abgibt und die Leute besteuert, die sich ordentlich aufführen. Für die anständigen Menschen tut die Regierung ziemlich wenig – abgesehen davon, dass sie sie ärgert.“

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Shutterstock

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