Die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ durch Nancy Faeser ist ein Abschiedsgeschenk an die Koalitionäre Klingbeil und Merz. Stand es explizit auf deren Wunschzettel?
Die sozialdemokratische Bundesinnenministerin hat eine in jeder Hinsicht verheerende Amtszeit hingelegt. Noch einmal präsentiert sie Deutschland – mit Signalwirkung bis über den großen Teich hinweg – die düstere Fratze des Machtmissbrauchs und die wachsende Gewissheit bei immer mehr Bürgern, wie gefährdet die Demokratie tatsächlich ist. Allerdings nicht durch die AfD.
Das große „Aber“ bleibt trotzdem nicht aus. Zwar sind sich die wachen Köpfe in Deutschland darüber einig, dass die etablierten Parteien hier via Verfassungsschutz (VS) ein echtes Saustück hingelegt haben. Aber wenn man genau hinhört, fahren viele kalkuliert mit Handbremse und beschädigen jene, die sie in der Sache durchaus als Opfer staatlicher Willkür verstehen, ein zweites Mal.
Die Beispiele sind mannigfaltig. Den Anfang machen soll hier aber zunächst eine Äußerung von Julia Klöckner (CDU) ein paar Wochen vor der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“. Die neue Bundestagspräsidentin findet nichts dabei, dass die AfD bis heute keinen Vizepräsidenten stellt. Und eine ihrer ersten Amtshandlungen war es, die AfD dafür zu rügen, dass ein Abgeordneter der Partei den Begriff „Kartellparteien“ als Zwischenruf platziert hatte – in Richtung der etablierten Parteien.
Die Reaktion von Klöckner entsprach auch in der Tonalität jener einer empörten Mutter, die das Benehmen der Nachbarskinder rügt, aber nichts dabei findet, dass ihre Kinder die Nachbarskinder von morgens bis abends mit Diffamierungen eindecken. Das ist unglaubwürdig und vor allem der neuen Rolle nicht angemessen. Und was den Begriff „Kartellparteien“ betrifft: Welcher Begriff beschreibt präziser, wie die etablierten Parteien zueinander aufgestellt sind?
Kommen wir zur Kritik an der Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz (VS) und zum inflationären „Aber“ im Fahrwasser dieser Kritik. Zu jenem Moment, wenn die Empörung nicht ohne eine begleitende Distanzierung auskommt. Zugespitzt gesagt: Die Vergewaltigung war schrecklich, aber wir dürfen bitte den kurzen Rock nicht übersehen.
Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine sollen hier den Anfang machen. Die Namensgeberin des BSW hatte gestern einen kurzen Text via Facebook veröffentlicht.
Zunächst nannte Wagenknecht die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ in der Sache „fraglich und politisch kontraproduktiv“. Dabei hätte sie es bewenden lassen oder um eine grundsätzliche Kritik am VS erweitern können.
Was dann allerdings folgt, ist das besagte „Aber“. Bloß keinen – nicht einmal indirekt – Persilschein für die AfD ausstellen, wenn man das vom Kartell (der Begriff wird hier absichtlich genutzt) gesteuerte Vorgehen des Verfassungsschutzes kritisiert. Wagenknecht schreibt:
„Die Einstufungen des Verfassungsschutzes, Brandmauer-Debatten und die Ausgrenzung im Bundestag sind Ohrfeigen für die AfD-Wähler, die ganz sicher keinen von ihnen überzeugen werden, sich anders zu entscheiden.“
Wagenknecht kritisiert zwar die Entscheidung des VS, macht aber gleichzeitig subtil klar, dass die AfD keine demokratische Alternative sei. Das ist Wagenknechts Grußadresse an die Etablierten: Die AfD-Wähler sollen davon überzeugt werden, sich anders zu entscheiden. Das wiederum hat den Ruch einer Delegitimierung als demokratische Alternative, hier formuliert im Sound von „Na ja, ein bisschen Nazi sind die schon“.
Der politische Weggefährte und Ehemann Oskar Lafontaine ist da schon weniger zaghaft und formuliert es viel direkter. Seine Veröffentlichung zum Urteil des VS trägt bereits die Schlagzeile „Rechtsextreme kämpfen gegen Rechtsextreme“. Lafontaine bestätigt dem Verfassungsschutz einfach mal seine Einstufung der AfD. Sein Taschenspielertrick: Er möchte, dass auch die Kartellparteien ebenfalls als rechtsextrem gelesen werden. Seine Begründung im Kern: „Die Bejahung von Krieg ist ein herausragendes Kennzeichen rechtsextremer Parteien.“
Auch die Medien sind mit im Boot. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung lässt Jasper von Altenbockum prominent auf Seite 1 einen Meinungsartikel zur Einstufung des VS schreiben. Der Journalist schaut auf die Entscheidung des VS und meint, damit werde es der AfD „wieder einmal leicht gemacht, das Legitime als illegitim, als Ausgeburt des Machtkartells hinzustellen.“ Und weiter heißt es da: „Zur Abrundung ihrer Staatskritik fehlte der AfD bislang nur noch, was jetzt eingetreten ist.“ Hier wendet sich – wieder zugespitzt – der Verteidiger des Vergewaltigers an die Vergewaltigte und ruft ihr nach: Hey, du im kurzen Rock – bist du jetzt endlich zufrieden?
Die Auswahl der Beispiele soll hier ganz zufällig sein. Kommen wir etwa zu Vera Lengsfeld (bis Ende 2023 CDU). Die vielzitierte Publizistin der Neuen Medien schreibt mit Blick auf die Einstufung des VS zunächst von einem „Gesinnungstotalitarismus“.
Ein Vorwurf, der besonders schwer wiegt. Die AfD als Opfer eines solchen. Aber dann folgt auch bei Vera Lengsfeld das große „Aber“ in Form eines Angriffs gegen die AfD, den man inhaltlich sicher trefflich diskutieren kann. Der aber zur falschen Zeit kommt. Denn er hat an der Stelle offensichtlich nur eine Funktion: Er soll die Distanz der Autorin zur AfD markieren. Die AfD, so heißt es da, mache bis dato einfach so weiter, wie in den letzten acht Jahren:
„Die innerparteiliche Funktionärs- und Mandatsträgerblase schachert im Hinterzimmer sachfremd um Nominierungsmehrheiten und versichert sich gegenseitig, wie schlimm die anderen sind. Obwohl man selber nicht viel anders agiert. Offene Listen? Inhalte vor Eigenpostensicherung? Bis dato Fehlanzeige.“
Die AfD-Führung müsse endlich ihrer Verantwortung gegenüber der eigenen Partei, den Wählerinnen und Wählern und unserem Land voll gerecht werden, befindet Frau Lengsfeld. Hier blitzt dann wieder der Vorwurf des kurzen Rocks durch. Es folgt noch die Schilderung irgendeines Vermieterstreits, der die AfD in ein ungünstiges Licht stellt, den man allerdings entlang so, wie er hier vorgestellt wird, sinngemäß kaum durchdringen kann.
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Fairerweise ist zu ergänzen, dass die Autorin sich anschließend noch umfassend mit einer verpassten Abwehrstrategie auseinandersetzt und bedauert, dass sich die AfD nicht besser auf das Unvermeidliche vorbereitet habe. Lengsfeld endet damit, dass die AfD als Partei noch kein Wert für sich sei:
„Insbesondere, wenn die Partei nicht in der Lage sein sollte, eine solche schwache, durchsichtige Attacke abzuwehren.“
Der indirekte Hinweis auf den zu kurzen Rock der Vergewaltigten findet sich gleich in einer weiteren Reihe von Beiträgen. Diese Hinweise sind allesamt Rückversicherungen, manche davon sicher unbewusst gesetzt und menschlich verständlich: Je aggressiver die Diskreditierungskampagne gegen die AfD geführt wird, desto stärker wird der Rechtfertigungsdruck für jene, welche diese Kampagnen als solche kritisieren. Eine große Herausforderung!
Solche Rückversicherungen überraschen nicht wirklich. Aber geradezu beruhigend in ihrer Erwartbarkeit sind die Reaktionen jener, die wesentlichen Anteil daran haben, dass überhaupt ein Klima in Deutschland entstanden ist, in welchem Ministerin Faeser – in Abstimmung mit Klingbeil und Merz? – diesen „Gesinnungstotalitarismus“ hatte platzieren können.
Da beruhigt es beinahe, dass die üblichen Vertreter der „Kartellparteien“ (Der Begriff wird hier ganz absichtlich genutzt) von Göring-Eckardt bis zu Ralf Stegner mit ungebeugtem Zynismus und der üblichen Häme reagieren – allenfalls die Intensität und die hysterisch anmutende Euphorie überraschen dabei noch.
Die dem Kartell (Der Begriff wird hier ganz absichtlich genutzt) nahestehenden Medienvertreter stimmen in den Chor ein und versuchen, ihre politischen Bundesgenossen dabei noch zu übertreffen. So will Monitor-Moderator Georg Restle in der Aktion des VS eine Legitimation erkennen, nun endlich Vertreter der AfD aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen verbannen zu können, ohne dass man sich dafür immer wieder neu zur Rechenschaft gezogen wird.
Und für „n-tv“ – ein bekannter Vorfeld-Sender der Regierung – schreibt der unvermeidliche Nikolaus Blome als Leiter der Politikredaktion von bellenden Hunden:
„Sie bellen laut und erregt, und der deutsche Volksmund, den die AfD gern zitiert, sagt in solchen Fällen: Das tun getroffene Hunde.“
Diese Art von Tiervergleichen kennt man vom „Spiegel“, als der jüdische Literaturkritiker Reich-Ranicki als tollwütiger Hund auf dem Titel abgebildet wurde, oder noch weiter zurück beim Hetzblatt „Stürmer“! Die für Blome sicher unverdächtige regierungsnahe linksradikale Amadeu Antonio Stiftung hat sich in der Vergangenheit bereits hinreichend mit „Antisemitismus und Tiervergleiche — Das (ewige) Tier“ befasst.
Zugegeben: Nikolaus Blome ist eigentlich nicht mehr satisfaktionsfähig, wenn er schreibt:
„Da heißt es AfD- und Fan-seitig also, der Verfassungsschutz werde ‚politisch instrumentalisiert‘. Nun, dieser Vorwurf ist durch nichts in der Sache belegt oder bewiesen. Er besteht lediglich aus dem Rückschluss vom missliebigen Ergebnis des Gutachtens auf sein vermeintliches Motiv.“
Problem hier: Dieses über eintausend Seiten starke Gutachten wurde vom VS bzw. vom Bundesinnenministerium nicht veröffentlicht. Es ist offiziell nichts darüber bekannt. Und wenn es Blome nicht heimlich von politischen Freunden vorgelegt bekommen hat, wovon fabuliert er dann?
Die vielen „Aber“ zur AfD auch bei jenen den Grundrechten positiv zugewandten Kommentatoren dieser katastrophalen VS-Entscheidung spiegeln den besonderen Druck, der aufgebaut wird, solche Stimmen zum Verstummen zu bringen.
Hier gilt es sicher, sich ähnlich zu verhalten, wie beim Compact-Verbotsversuch oder beim Skandal-Urteil über den Chef des „Deutschland Kurier“: Im Moment eines als ungerecht(fertigt) eingestuften Angriffs gilt es, ausschließlich diesen Angriff zu verurteilen. Eine Relativierung, wie man sich persönlich gegenüber dem Angegriffenen aufstellt, bekommt automatisch den Charakter einer rechtfertigenden Distanzierung. Wozu?
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Author:
Alexander Wallasch