• 7. Dezember 2024

Selbstüberschätzung, Statusstreben, Empathielosigkeit, Feindseligkeit gegenüber anderen Menschen: Kennen Sie einen Narzissten, der (nicht) im politischen Leben steht?!

„There are people out there who hate me and who say I’m arrogant, vain, and whatever. That’s all part of my success. I am made to be the best“,

d.h.

„Es gibt Leute, die mich hassen und sagen, ich sei arrogant, eitel oder was auch immer. Das ist alles Teil meines Erfolges. Ich bin dafür gemacht, der Beste zu sein.“

Dieses Zitat wird Cristiano Ronaldo, dem bekannten Fußball-Star, der eine ganze Reihe von Rekorden im Fußball hält und der bestbezahlte Fußballer der Welt ist, zugeschrieben, der, wie seine Rekorde zeigen, immerhin auf empirischer Basis für sich beanspruchen kann, tatsächlich als der Beste oder zumindest einer der Besten im Fußball zu gelten.

Das ist beim deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck nicht der Fall.

Dennoch lobte er sich im Oktober diesen Jahres selbst dafür, dass er Deutschland angeblich „wie kein anderer Wirtschaftsminister zuvor“ in Schwung gebracht habe, und dies, obwohl die deutsche Wirtschaft in den Jahren 2023/2024 zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten in zwei aufeinanderfolgen Jahren geschrumpft ist. Ein Bürger, die Habeck – vielleicht und vielleicht u.a. deshalb – auf X als „Schwachkopf“ bezeichnet hat, wurde von ihm per Beleidigungsklage verfolgt, womit Habeck eine dem Anlass völlig unangemessen aggressive Reaktion zeigte, man möchte sagen: eine Racheaktion startete.

Keir Starmer, der unbeliebteste Premierminister des Vereinigten Königreiches, den es jemals gab, begegnet einer Petition von vor acht Tagen, in der Neuwahlen gefordert werden und die zu dem Zeitpunkt zu dem ich dies schreibe, 2,865,739 Wahlberechtigte im Land unterschrieben haben (man kann sie noch bis Mai 2025 unterschreiben!), mit der Bemerkung, dass die Parlamentswahl vom Juli diesen Jahres ihrerseits eine „massive petition“, eine „massive Petition,“ gewesen sei. Und dies, obwohl die Wahlbeteiligung bei dieser Wahl mit gerade einmal 59,7 Prozent die niedrigste seit 2001 gewesen ist, die Wahlkreise, die von Labour gewonnen wurden, im Allgemeinen eine um 7,2 Prozent geringere Wahlbeteiligung hatten als die Wahlkreise die vom Hauptkonkurrenten, der Conservative Party, gewonnen wurden, die Labour-Party lediglich von einer Minderheit von 34 Prozent der Wähler gewählt wurde. Von 48,2 Millionen Wahlberechtigten konnte die Labour-Party gerade einmal 9,7 Millionen Wahlstimmen für sich gewinnen. Starmer fragt sich keinen Moment lang, warum so viele Menschen im Land – darunter sehr viele, die die Labour-Partei im Juli 2024 gewählt haben – dermaßen unzufrieden mit der Regierung sind, dass sie in einer Petition Neu-Wahlen fordern, sondern findet das nicht überraschend:

„‚There will be plenty of people who didn’t want us in in the first place. What our focus is on is the decisions that I have to make every day … Host Andi Peters asked: ‚But surely you want us, the public, to trust you, to like you, to think, ‘he’s the man for the job, he’s doing what he needs to do?‘ … Starmer said: ‚The thing is, if you make your mind up, as I have done, that we’re going to do the difficult things first, then I think it’s inevitable that people do feel they’re decisions. I mean, I understand that.’“

D.h.:

„Es wird viele Leute geben, die uns [!] von Anfang an nicht wollten. Worauf wir [!] uns konzentrieren, sind die Entscheidungen, die ich [!] jeden Tag treffen muss … Moderator [der ITV-Sendung, in der Starmer interviewt wurde,] Andi Peters fragte: ‚Aber sicher wollen Sie, dass wir, die Öffentlichkeit, Ihnen vertrauen, Sie mögen, denken, er ist der Mann für den Job, er tut das, was er tun muss? ‚ … Starmer sagte: ‚Die Sache ist, wenn du dich entscheidest, so, wie ich es getan habe, dass wir zuerst die schwierigen Dinge machen werden, dann denke ich, dass es unvermeidlich ist, dass die Leute das Gefühl haben, das sind Entscheidungen. Ich meine, das verstehe ich.’“

Es berührt ihn nur nicht.
Genauso wenig, wie ihn die Messermorde an drei Kindern, die in Southport am 20. Juli von einem Sohn von Einwanderern aus Rwanda ermordert wurden, berühren. Bei der Kranzniederlegung für die Opfer zeigte er nicht nur eine völlig ungerührte Mimik, der wandte sich auch mit keinem Wort an die anwesende trauernde Menschenmenge, darunter die Angehörigen der ermordeten (und weiterer verletzter) Kinder. Teilnehmer an Demonstrationen anläßlich der Kindermorde bezeichnete Starmer rundweg als „far-right thugs“, d.h. als „rechts-extreme Schläger“, ohne das geringste Verständnis für die Gefühle der Demonstranten angesichts dieser wirklich schrecklichen Tat zu zeigen. In der Folge wurden auf Betreiben der Labour-Regierung Demonstranten mit Gefängnisstrafen bestraft, die ihren Vergehen – darunter dem, Polizisten etwas entgegengerufen zu haben und einen Polizeihund angeschrienen zu haben („shouting in a police dog’s face“), das mit 20 Monaten Freiheitsstrage geahndet wurde – vollkommen unangemessen waren.

Sie alle, Ronaldo, Habeck und Starmer, wurden als Narzissten bezeichnet. Während bei Ronaldo seine Einschätzung seiner selbst, die immerhin durch tatsächliche Leistung begründbar ist, aber lediglich eine gewisse, vielleicht dennoch übertriebene, Selbstgefälligkeit aufgrund eben dieser Leistungen ausdrückt, sind Habeck und Starmer nicht bloß (übermäßig) selbstgefällig aufgrund von Leistungen. Wie bereits die obigen knappen Beispiele zeigen, sehen sie eigene Leistungen dort, wo gar keine sind, sondern – im Gegenteil – ein relatives Versagen zu beobachten ist. Darüber hinaus zeigen sie Ignoranz gegenüber Kritikern, üben Rache an ihnen und erweisen sich als ohne Empathie für die Opfer ihres Tuns – alles Merkmale, die Narzissten über bloße übertriebene Selbstgefälligkeit hinaus auszeichnen.

Das bedeutet nicht, dass diese Charakteristika von Narzissten nichts mit ihrer Selbstgefälligkeit zu tun hätten: Narzissten sind stark selbstbezogene Menschen mit Problemen mit Bezug auf ihr Selbstwertgefühl (Westen 1990: 226), oder wie Psychologen sagen: sie sind gekennzeichnet durch eine dysfunktionale Selbstwertregulation (Ronningstam 2005: 278).

Seit Jahrzehnten werden Narzissten in der Literatur in zumeist zwei große Gruppen eingeteilt, nämlich in grandiose Narzissten, zuweilen auch grandiose-maligne (d.h. bösartige) Narzissten oder offene Narzissten genannt, und in verletzliche („vulnerablen“) Narzissten, die auch als verdeckte oder hypersensible Narzissten bezeichnet werden.

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Man beachte die BILDÜBERSCHRIFT

Es sind die grandiosen Narzissten, die die meisten Menschen mit dem Begriff „Narzissmus“ verbinden: Personen mit übertrieben hohem Selbstwertgefühl, der Einschätzung von sich selbst als einzigartig oder grandios, anderen Menschen überlegen und (deshalb?) zu Höherem berufen. Das übertrieben hohe Selbstwertgefühlt schlägt sich u.a. in arrogantem, unbescheidenem Verhalten, in Mißachtung anderer Menschen und deren Wünschen oder Bedürfnissen nieder, d.h. allgemein in einem Verhalten, das die Auffassung grandioser Narzissten wiederspiegelt, eben grandios und anderen Menschen überlegen zu sein und mit größeren „natürlichen“ Rechten ausgestattet zu sein bzw. größere Anrechte auf erstrebenswerte Güter zu haben als andere Menschen (man spricht im Englischen in diesem Zusammenhang von „entitlement“) (Jauk et al. 2017: 1 von 10). Wenn grandiose Narzissten auf (ihrer Meinung nach) mangelnde Anerkennung durch Andere stoßen, reagieren sie mit fehlgeleiteter Wut und Aggression, und wenn sie kritisiert werden, reagieren sie mit Herabwürdigung ihrer Kritiker, um ihr Ego zu schützen (Zajenkowski et al. 2021: 1 von 9).

Verletzliche Narzissten sind – wie grandiose Narzissten – egozentrisch und halten sich für grandios, aber ihr Selbstwertgefühl ist fragil; sie haben Selbstzweifel, und sind von Misstrauen gegenüber und Neid auf andere Menschen geprägt (Krizan & Johar 2015; 2012). Um ihr Selbstwertgefühl aufrecht erhalten zu können, suchen sie Bestätigung in

„… externally validated domain, including others‘ approval“ (Freis et al. :878),

d.h.

„…extern validierte Domänen, einschließlich der Zustimmung Anderer [oder der Bestäigung durch Andere]“,

sei es in persönlichen Beziehungen oder durch Einrichtungen, die das, was verletzliche Narzissten für gesellschaftlich anerkannte Güter halten, verteilen, z.B. Universitätsabschlüsse, oder voraussetzen, z.B. eine Anstellung bei der Staatsanwaltschaft oder eine hohe berufliche Position z.B. bei einem international tätigen Unternehmen.

Unter Berufung hierauf und durch Rückzug in die soziale Isolation oder in von ihnen als „sicher“ eingeschätzte Räume, in denen sie sich vor Kritik – oder in ihren Augen: Bloßstellung – geschützt wähnen, meinen sie, negatives feedback von außen vermeiden oder abwehren zu können. Wenn das nicht gelingt, reagieren sie ebenfalls mit Wut und Aggression, aber diese Gefühle sind bei verletzlichen Narzissten vermittelt durch Niedergeschlagenheit, ein Minderwertigkeitsgefühl und ein daraus resultierendes Schamgefühl. Man kann vor diesem Hintergrund vermuten, dass die Opferkultur, die sich an Universitäten etabliert hat und Studenten (meist nicht-naturwissenschaftlicher Fächer) Trigger-Warnungen gibt und „geschützte“ Räume zur Verfügung stellt, von verletzlichen Narzissten geschaffen, unterhalten und bevölkert wird. Wut und Aggression verletzlicher Narzissten kann sich gegen andere Menschen richten, insbesondere diejenigen, die nach Auffassung des Narzissten dafür verantwortlich sind, ihre „Minderwertigkeit“ erkennbar gemacht zu haben, aber auch gegen sich selbst (Krizan & Johar 2014: 786; Zajenkowski et al. 2021: 1 von 9).

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Mahadevan und Jordan (2022) bringen den Unterschied zwischen grandiosen Narzissten und verletztlichen Narzissten wie folgt auf den Punkt:

„Grandiose narcissism is bold, extraverted, and immodest, whereas vulnerable naricissism is withdrawn, neurotic, and insecure“ (Mahadevan & Jordan 2022: 704),

d.h.

„Grandioser Narzissmus ist verwegen [oder dreist], extrovertiert und unbescheiden, während verletzlicher Narizissismus zurückgezogen, neurotisch und unsicher ist“ (Mahadevan & Jordan 2022: 704).

In welchem Verhältnis der grandiose und der verletzliche Narzissmus zueinander stehen, ist seit Jahrzehnten eine vieldiskutierte Frage. Beispielsweise wird im sogenannten Maskenmodell des Narzissmus („mask model of narcissism“) davon ausgegangen, dass beide eng miteinander verbunden sind: die Vorstellung von und Darbietung der eigenen Grandiosität, so die Vermutung, diene dazu, einen fragilen Selbstwert zu verbergen bzw. Letzteren hinter der „Maske“ eines bloß gespielten übertrieben großen Selbstbewusstseins zu verstecken (Stucke & Sporer 2002).

Wenn dies zuträfe, würde dem grandiosen ebenso wie dem verletzlichen Narzissmus ein fragiles Selbstwertgefühl zugrundeliegen; beide wären verschiedene Ausdrucksformen desselben zugrundeliegenden Phänomens, nicht zwei verschiedene Typen von Narzissmus im eigentlichen Sinn. Das Masken-Modell des Narzissmus ist mehrfach empirisch überprüft worden und konnte nicht bestätigt werden (Brown & Brunell 2017; Kuchynka & Bosson 2018; Marissen et al. 2016; Mota et al. 2020).

Sind grandioser und verletzlicher Narzissmus also doch zwei verschiedene Typen von Narzissmus, oder ist es etwas anderes als ein fragiles Selbstwertgefühl oder etwas zusätzliches hierzu, das beiden Narzissmen zugrundeliegt?

Neuere Konzeptionen von Narzissmus wie das dreigliedrige Strukturmodell des Narzissmus („trifurcated model of narcissism“; TMN oder TriMN) und das Narzissmus-Spektrum-Modell (NSM) fassen Narzissmus als mehrdimensionale Struktur auf, in der grandioser und verletzlicher Narzissmus bestimmte „Lagen“ auf diesen Dimensionen abbilden (s. hierzu z.B. Kang & Zhao 2024). So betrachtet das Narzissmus-Spektrum-Modell als Kern des Narzissmus eine anmaßende Selbstüberschätzung („entitled self-importance„; Krizan & Herlache 2018: 4; Hervorhebung im Original), d.h. Überschätzung der eigenen Wichtigkeit/Bedeutsamkeit (gegenüber derjenigen anderer Menschen), mit der ein Anspruchsdenken einhergeht, d.h. die Überzeugung, dass eigene Bedürfnisse und Wünsche wichtiger/bedeutsamer seien als die anderer Menschen und man ein Anrecht darauf habe, dass diesen Bedürfnissen und Wünschen Rechnung getragen werde. Grandioser und verletzlicher Narzissmus stellen in diesem Modell lediglich verschiedene Orientierungen dar, oder technisch gesprochen: sie sind zwei Dimensionen desselben Narzissmus-Modells, die sich in Verbindung mit sozialen Erfahrungen herausbilden.

Ein Faktor, der in Narzissmus-Modellen gewöhnlich unberüchsichtigt bleibt oder nicht hinreichend integriert ist, ist die Abhängigkeit aller Narzissten von „externer Validierung“ (Zeigler-Hill et al. 2019: 310) ihrer Person bzw. von Zuschreibung von sozialem Status an ihre Person. Mahadevan und Jordan vermuten, dass dies ein Kernfaktor der narzisstischen Persönlichkeit ist, der geeignet ist, andere Faktoren in Narzissmus-Modellen zu integrieren, indem sie Faktoren als verschiedene, aber funktional gleiche, Mechanismen zur Statussicherung oder – wiederherstellung erkennbar werden (Mahadevan & Jordan 2022: 705). Sie erwarten,

„… that all … expressions of narcissism relate positively for aspirations for status; not only grandiose and vulnerable narcissism, but also their phenotype-specific components, in addition to their shared components“ (Mahadevan & Jordan 2022: 706)

d.h.

„… dass alle … Ausdrucksformen des Narzissmus positiv mit Statusbestrebungen zusammenhängen, nicht nur grandioser und verletzlicher Narzissmus, sondern auch ihre phänotypspezifischen Komponenten zusätzlich zu den Komponenten, die sie gemeinsam haben“(Mahadevan & Jordan 2022: 706).

Während für Mahadevan und Jordan die grundsätzliche Gemeinsamkeit jedes Narzissmus im Streben nach sozialem Status (aufgrund der Abhängigkeit von externer Vaidierung) besteht, besteht der grundlegende Unterschied zwischen grandiosem und verletzlichem Narzissmus für die Autoren darin, dass der Wunsch nach Status eine jeweils andere Form annimmt: Beim grandiosen Narzissmus äußert sich der Wunsch nach sozialem Status in der Form, dass Respekt, Anerkennung oder Bewunderung durch andere Menschen angestrebt werden – die Autoren nennen dies „Status“ im engeren, im Alltag üblichen Sinn –, während er beim verletzlichen Narzissmus die Form von „Dazugehören-Wollen“ oder „Gemocht-Werden-Wollen“ annimmt – hier sprechen die Autoren vom Wunsch nach „Inklusion“ bzw. Einschluss.

„Status and inclusion share some similarities. Both are social, involve the opinions and evaluations of others, and are positively correlated … Nonetheless, they are conceptionally and empirically distinct … A person can be high in both, low in both, or high in one but low in the other. For example, a person may have high status, but not be liked and accepted …, or may be well-liked and accepted, but not have high status … Whereas status denotes one’s ‚vertical‘ position in the social hierarchy, inclusion denotes one’s ‚horizontal‘ position in the social community … Status is agentic – it involves getting ahead – whereas inclusion is communal – it involes getting along …“ (Mahadevan & Jordan 2022: 705; Hervorhebung im Original).

D.h.

„Status und Inklusion haben einige Gemeinsamkeiten. Beide sind sozial, beziehen sich auf die Meinungen und Bewertungen anderer hängen positiv miteinander zusammen … Nichtsdestoweniger sind sie konzeptionell und empirisch verschieden … Eine Person kann in beiden hoch, in beiden niedrig oder in einem hoch aber im anderen niedrig sein. Zum Beispiel kann eine Person einen hohen Status haben, aber nicht gemocht und akzeptiert werden …, oder sie kann gemocht und akzeptiert sein, aber keinen hohen Status haben … Während Status die ‚vertikale‘ Position in der sozialen Hierarchie bezeichnet, bedeutet Inklusion die ‚horizontale‘ Position in der sozialen Gemeinschaft … Status ist agentisch – es geht darum, voranzukommen –, während Inklusion gemeinschaftlich ist – es geht darum, miteinander auszukommen …“ (Mahadevan & Jordan 2022: 705; Hervorhebung im Original).

ImageWährend Mahadevan und Jordan ausdrücklich festhalten, dass vertikaler wie horizontaler sozialer Status grundlegende Motive menschlichen Handelns sind (Mahadevan & Jordan 2022: 705, gehen sie davon aus, dass sozialer Status für Narzissten wichtiger als für andere Menschen ist, weil sie mehr als andere Menschen von der externen Validierung der – ohnehin überschätzten – Wichtigkeit ihrer Person brauchen. Sie haben bei den Teilnehmern ihrer Studien daher nicht nur erhoben, ob bzw. inwieweit sie als grandiose oder verletzliche Narzissten gelten können, sondern auch, wie stark sie Status (d.h. vertikalen Status) und Inklusion (d.h. horizontalen Status) anstreben und inwieweit sie beides erreicht zu haben meinen.

In ihren Studien haben Mahadevan und Jordan außerdem mit jeweils verschiedenen Maßen für Narzissmus bzw. seine Dimensionen gearbeitet, um festzustellen, ob sich die Ergebnisse würden replizieren lassen, wenn andere Maße verwendet werden. Die Studien haben zunächst ergeben, dass sowohl grandiose als auch verletzliche Narzissten durch ein fast identisch hohes Maß an Anspruchshaltung („entitlement“) gekennzeichnet sind und dass

„… a desire for status characterizes all expressions of narcissism“ (Mahadevan & Jordan 2022: 713),

d.h.

„ein Wunsch nach Status alle Ausdrucksformen von Narzissmus charakterisiert“ (Mahadevan & Jordan 2022: 713).

Während also tatsächlich beide, grandiose und verletzliche, Narzissten Status als sichtbares Zeichen ihrer eigenen Wichtigkeit oder Bedeutung anstreben, unterscheiden sie sich diesbezüglich inhaltlich voneinander:

„Individuals high in grandiose narcissism strongly aspired to higher status and felt they had attained it. In contrast, they did not strongly aspire to higher inclusion … and did not feel they had attained it … Those high in vulnerable narcissism, in contrast, aspired to high status, but did not feel they had attained it. They also aspired to high inclusion, but did not feel they had attained it. Thus, overall, vulnerable narcissism was associated with aspirations for both status and inclusion, but a lack of perceived attainment of both. The relation of vulnerable narcissism to aspirations for both status and inclusion were comparable in magnitude“ (Mahadevan & Jordan 2022: 713),

d.h.

„Individuen mit hohem grandiosen Narzissmus strebten stark nach höherem Status und fühlten, dass sie ihn erreicht hatten. Im Gegensatz dazu haben sie höhere Inklusion nicht stark angestrebt …[,] und [sie] hatten nicht das Gefühl, dass sie diese erreicht hätten … Dagegen wollten diejenigen mit hohem verletzlichem Narzissmus einen hohen Status erreichen, hatten aber nicht das Gefühl, diesen erreicht zu haben. Sie strebten ebenfalls hohe Inklusion an, hatten aber nicht das Gefühl, dass sie sie erreicht hätten. Insgesamt stand verletzlicher Narzissmus mit Ambitionen auf Status und Inklusion, aber [gleichzeitig mit] einem Mangel an wahrgenommener Verwirklichung von beidem in Verbindung. Die Verbindung von verletzlichem Narzissmus mit Bestrebungen nach Status und Inklusion war in der Größenordnung etwa gleich stark“ (Mahadevan & Jordan 2022: 713).

Sofern grandiose Narzissten überhaupt gemocht werden oder „dazugehören“ wollen, so tritt dieses Bestreben stark hinter ihr Streben nach hohem (vertikalen) Status zurück, und sie meinen von sich, dass sie einen hohen (vertikalen) Status bereits erreicht hätten. Verletzliche Narzissten wollen beides gleichermaßen, Status und Inklusion, meinen aber, dass sie beides nicht erreicht haben bzw. nicht in dem Maß erreicht haben, in dem sie es sich wünschen.

Sollten grandiose Narzissten dann aber nicht zufriedene Menschen sein?
Immerhin sind sie ja der Meinung, dass sie einen hohen (vertikalen) Status, den sie sich wünschen, erreicht haben, und ob sie von anderen Menschen gemocht werden oder nicht, ist ihnen gänzlich oder weitgehend egal. Dieser Frage widmen sich Mahadevan und Jordan nicht direkt, aber sie stellen fest, dass

„[a]ntagonism related positively to perceived attainment of status, but considerably less strongly when aspirations for status were controlled, suggesting that those high in antagonism do not view their attainment of status as commensurate with their aspirations“ (Mahadevan & Jordan 2022: 713),

d.h.

„Antagonismus positiv mit der Wahrnehmung des erreichten Status zusammenhing, aber wesentlich weniger stark, wenn das Streben nach Status kontrolliert wurde, was darauf hindeutet, dass diejenigen mit hohem Antagonismus das Ausmaß, in dem sie Status erlangt habem, nicht als ihrem Streben nach Status angemessen betrachten“ (Mahadevan & Jordan 2022: 713).

Zumindest ein Teil grandioser Narzissten, nämlich derjenige, der nicht der Meinung ist, der erreichte Status entspreche dem des gewünschten Status‘ – oder dessen Statusstreben vielleicht niemals gestillt werden kann –, verbleibt also in einem Zustand der Feindseligkeit gegenüber anderen Menschen. Je höher die Einschätzung eines grandiosen Narzissten seiner Wichtigkeit/Bedeutsamkeit, desto schwieriger dürfte es für ihn sein, zu einem Punkt zu kommen, an dem er seinen Status als seiner Grandiosität angemessen betrachtet. Leider überprüfen Mahadevan und Jordan diesen Zusammenhang nicht; er erscheint aber zumindest plausibel.

Mahadevan und Jordan weisen darauf hin, dass es klinische Befunde gibt, die zeigen, dass grandiose Narzissten zeitweise zu verletzlichen Narzissten werden, nämlich dann, wenn sie ihren (wahrgenommenen) hohen sozialen Status bedroht sehen, ihn durch andere Menschen nicht (hinreichend) anerkannt sehen oder ihn sonstwie einbüßen:

„It is clear that individuals high in grandiose narcissism desire high status and perceive themselves to have attained it successfully. If this perception falters, however, and their perceived status is threatened, they may experience narcissistic vulnerability“ (Mahadevan & Jordan 2022: 714).

D.h.

„Es ist klar, dass Menschen mit einem grandiosen Narzissmus einen hohen Status wünschen und meinen, dass sie ihn erreicht haben. Wenn diese Wahrnehmung jedoch wankt und ihr wahrgenommener Status bedroht ist, können sie eine narzisstische Verletzlichkeit erfahren“ (Mahadevan & Jordan 2022: 714).

Sie mögen zuerst versuchen, ihren Status durch verstärktes Wettbewerbsverhalten oder die Abwertung Anderer wiederherzustellen, aber wenn diese Strategie nicht funktioniert,

„… narcissistic vulnerability may result, spurring a withdrawal from competition and greater desire for inclusion to compensate for low status“ (Mahadevan & Jordan 2022: 714),
d.h.
„… kann es zu einer narzisstischen Verletzlichkeit kommen, die einen Rückzug aus dem Wettbewerb und einen größeren Wunsch nach Inklusion zur Kompensation des niedrigen Status auslöst“ (Mahadevan & Jordan 2022: 714).

Der Rückzug aus Wettbwerbssituationen ist typisch für verletzliche Narzissten. Gerade weil sie sich ständig mit anderen vergleichen und der Meinung sind, dass sie mit anderen nicht mithalten können, ziehen sie sich aus Wettbewerbssituationen zurück, was ihnen wiederum die Möglichkeit nimmt, die Erfahrung zu machen, dass sie mit anderen (zumindest manchmal) eben doch mithalten können (Mahadevan & Jordan 2022: 714).

Sie verbleiben daher in ihrer mentalen Situation, in der sie Status und Inklusion wünschen, aber beides – vor allem Ersteren – nicht in dem Maß erreichen, in dem sie es sich wünschen. Nicht umsonst wird der verletzliche Narzissmus auch als narzisstischer Neurotizismus bezeichnet (Mahadevan & Jordan 2022: 705), wobei sich Neurotizismus in psyologischer Labilität, in Ängstlichkeit, Unsicherheit, Unzufriedenheit, einer Neigung zu übermäßiger Besorgnis und übermäßig starker emotionaler Reaktion auf jedes feedback, das nicht uneingeschränktes Lob oder uneingeschränktes Bewunderung ausdrückt, bedeutet.

Verletzliche Narzissten machen jedoch keineswegs nur sich selbst zu Opfern, sondern auch ihre Mitmenschen: Auch, wenn Antagonismus, d.h. Feindseligkeit bis hin zu Hassgefühlen gegenüber anderen Menschen in den Studien von Mahadevan und Jordan stärker mit dem Wunsch nach Status verbunden war als mit dem Wunsch nach Inklusion, so bestand die zuletztgenannte Verbindung eben doch und besonders dann, wenn der Wunsch nach Inklusion mit der Einschätzung einherging, dass sie nicht in dem Maß erreicht worden sei, in dem sie gewünscht war (Mahadevan & Jordan 2022: 713).

Das Streben nach Status, das alle Narzissten charakterisiert, mag also verschiedene Formen annehmen – vom Fälschen des eigenen Lebenslaufes, indem man sich mit Qualifikationen oder Titeln zu schmücken versucht, die man gar nicht erworben hat, wie im Fall von Rachel Reeves, die in der derzeitigen Labour-Regierung als Finanzminister fungiert, bis hin zur Einführung neuer Gesetze, die Kritik an der eigenen Person kriminalisiert, wie im Fall von 188 StGB, „Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“, durch den sich Personen im „politischen Leben“ zu einer besonderen Klasse von Menschen erklärt haben, die besonders vor Kritik (auch der derberen Art) geschützt werden müsse.

Das Streben nach Status ist aber immer begleitet von einer Anspruchshaltung – etwa wie in:

„Fliegen produziert CO2 und muss deshalb eingeschränkt werden, aber ich kann meine Flüge nicht reduzieren, da meine persönliche Anwesenheit immer und überall von großer Wichtigkeit ist, während diejenige anderer Menschen verzichtbar ist“ – von Empathielosigkeit, wie sie z.B. zu beobachten ist, wenn sich Keir Starmer darin gefällt, eine harte Realität zu postulieren, die es angeblich notwendig mache, Rentern die Heizkostenbeihilfe zu streichen und sie damit im schlimmsten Fall dem Erfrierungstod auszusetzen, während er auf der Konferenz der Labour-Partei im September diesen Jahres versicherte, dass „every pensioner will be better off with Labour„, und von Feindseligkeit gegenüber anderen Menschen, die sich beispielsweise darin zeigt, dass Kritiker kriminalisiert werden, sei es, indem man sie mit Beleidigungsklagen oder möglichst mit Klagen wegen Volksverhetzung traktiert, oder indem man Demonstranten als „rechts-extreme Schläger“ darstellt und sie mit Gefängnisstrafen überzieht, obwohl sie keiner Gewalttat überführt sind.

In echter narzisstischer Manier hat Starmer auf der oben erwähnten Konferenz der Labour-Partei im September 2024 in Liverpool betont, dass er diejenigen, die ihn angreifen, nicht beachten wird und er von Kritik unberührt bleiben wird wie eine Ente, die einen Wassertropfen auf ihren Rücken bekommt:

„And I mean Conference, you know me by now, so you know all those shouts and bellows, the bad faith advice from people who still hanker for the politics of noisy performance, the weak and cowardly fantasy of populism – it’s water off a duck’s back“,

d.h.

„Und ich meine, Konferenz[teilnehmer], ihr kennt mich inzwischen, also ihr wisst, all diese Schreie und das Gebrülle, die böswilligen Ratschläge von Menschen, die noch immer nach der Politik der lauten Aufführung hungern, die schwache und feige Fantasie des Populismus – es ist Wasser auf einem Entenrücken“.

Es sind Leute wie Keir Starmer im Vereinigten Königreich oder Robert Habeck in Deutschland, die illustrieren, warum ein Land statt eines besonderen Schutzes für Personen im politischen Leben (wie denjenigen durch 188 StGB ) einen psychologischen Test für Personen, die sich um ein politisches Amt bewerben, benötigt. Als Positionen, die zumindest früher mit Status behaftet waren und (zumindest heutzutage) ohne Qualifikationen zugänglich sind, sind politische Ämter ein ideales Betätigungsfeld für Narzissten.

Bis auf Weiteres begegnet man einem Narzissten wahrscheinlich am effizientesten dadurch, dass man ihm die Anerkennung des Status‘ versagt, den er sucht oder sich selbst zuschreibt: Sich für jeden erkennbar in der Lage zu befinden, Versuche machen zu müssen, Status, den man nicht zugeschrieben bekommt, zu erzwingen, ist als solches dem eigenen Status höchst abträglich.


Literatur

Brown, Ashley A. & Brunell, Amy B., 2017: The „Modest Mask“? An Investigation of Vulnerable Narcissists‘ Implicit Self-esteem. Personality and Individual Differences 119: 160-167

Freis, Stephanie, D., Brown, Ashley A., Carroll, Patrick J., & Arkin, Robert M., 2015: Shame, Rage, and Unsuccessful Motivated Reasoning in Vulnerable Narcissism. Journal of Social and Clinical Psychology 34(10): 877-895

Jauk, Emanuel, Weigle, Elena, Lehmann, Konrad, et al., 2017: The Relationship between Grandiose and Vulnerable (Hypersensitive) Narcissism. Frontiers in Psychology 8: 1600. doi: 10.3389/fpsyg.2017.01600

Kang, Tinghu, & Zhao, Jing, 2024: Narcissism Research Approaches and Integration: Dynamics, Regulation, and Personality Characteristics. Advances in Psychological Science 32(8): 1354-13654

Krizan, Zlatan, & Herlache, Anne D., 2018: The Narcissism Spectrum Model: A Synthetic View of Narcissistic Personality. Personality and Social Psychology Review 22(1): 3-31

Krizan, Zlatan, & Johar, Omesh, 2015: Narcissistic Rage Revisited. Journal of Personality and Social Psychology 108(5): 784-801

Krizan, Zlatan, & Johar, Omesh, 2012: Envy Divides the Two Faces of Narcissism. Journal of Personality 80(5): 1415-1451

Kuchynka, Sophie L., & Bosson, Jennifer, 2018: The Psychodynamic Mask Model of Narcissism: Where is it Now?, S. 89-95 in: Hermann, Anthony D., Brunell, Amy B., & Foster, Joshua D. (Hrsg.): The Handbook of Trait Narcissism: Key Advances, Research Methods, and Controversies. New York: Springer

Mahadevan, Nikhila, & Jordan, Christian, 2022: Desperately Seeking Status: How Desires for, and Perceived Attainment of, Status and Inclusion Relate to Grandiose and Vulnerable Narcissism. Personality and Social Psychology Bulletin 48(5):704-717

Marissen, Marlies A. E., Brouwer, Marlies E., Hiemstra, Annemarie M. F., et al., 2016: A Masked Negative Self-esteem? Implicit and Explicit Self-esteem in Patients with Narcissistic Personality Disorder. Psychiatry Research 242: 28-33.

Mota, Simon, Humberg, Sarah, Krause, Sascha, et al., 2020: Unmasking Narcissus: A Competitive Test of Existing Hypotheses on (Agentic, Antagonistic, Neurotic, and Communal) Narcissism and (Explicit and Implicit) Self-esteem across 18 Samples. Self and Identity 19(4): 435-455

Ronningstam, Elsa, 2005: Narcissistic Personality Disorder: A Review, S. 277-327 in: Maj, Mario, et al. (Hrsg.): Personality Disorders. Chichester: John Wiley & Sons.

Stucke, Tanja S., & Sporer, Siegfried L., 2002: When a Grandiose Self-image is Threatened: Narcissism and Self-concept Clarity as Predictors of Negative Emotions and Aggression Following Ego-threat. Journal of Personality, 70(4): 509–532. https://doi.org/10.1111/1467-6494.05015

Westen, D., 1990: The Relations among Narcissism, Egocentrism, Selfconcept, and Self-esteem. Psychoanalysis & Contemporary Thought, 13, 185–241.

Zajenkowski, Marcin, Rogoza, Radoslaw, Maciantowicz, Oliwia, et al., 2021: Narcissus Locked in the Past: Vulnerable Narcissism and the Negative Views of the Past. Journal of Research in Personality 93: 104123

Zeigler-Hill, Virgil, Vrabel, Jennifer K., McCabe, Gillian A., et al., 2019: Narcissism and the Pursuit of Status. Journal of Personality 87(2): 310-327

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Author: Dr. habil. Heike Diefenbach
Michael Klein

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