Gestern Abend war es soweit: Cem Özdemir, der Übergangsminister im Bundesbildungsministerium, zog die Notbremse und legte den Bundeskunstpreis für Studierende für die an der Nürnberger Kunstakademie studierende Hanna Schiller auf Eis. Die Studentin sitzt seit Mai 2024 wegen Mordversuchs und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in U-Haft, der Generalbundesanwalt hat nun Anklage erhoben.
Wie Alexander-Wallasch.de umfangreich recherchiert hatte, gilt ein besonderes Augenmerk der Chronologie der Ereignisse von der Ausschreibung bis zur Nominierung. (Hervorzuheben ist hier die Auskunftsbereitschaft des für die Organisation des Preises zuständigen Studierendenwerks.)
Zunächst gelang es der Akademie offenbar, gegenüber keinem Geringeren als dem Bayerischen Rundfunk eine Art Legende zu stricken. Der berichtende Sender schrieb:
„Lange vor ihrer Verhaftung hatte ihre Professorin Suska Mackert Hanna S. für den Bundeskunstpreis vorgeschlagen. Extra für den Wettbewerb fertigte sie daraufhin fünf Objekte und Installationen an – und überzeugte damit die unabhängige Jury.“
Bisher ist diese Passage weder vom BR noch von der Akademie richtiggestellt worden. Eine glatte Lüge oder nur eine geschickte Verdrehung? Fakt ist, dass die Ausschreibung für den Kunstpreis erst am 8. Mai 2024 erfolgte. Hanna S. wurde jedoch bereits am 6. Mai verhaftet.
Gestern dann das Geständnis direkt aus der Akademie:
„Die Auswahl der zwei Vorschläge aus der AdBK Nürnberg für den 27. Bundespreis für Kunststudierende fand am 28. Mai 2024 statt.“
Erst viel später wurde die Nominierung von Hanna S. eingereicht:
„Die Nominierungen wurden am 24. Juli 2024 beim Studierendenwerk für den Wettbewerb vorgeschlagen.“
Das bedeutet nichts anderes, als dass die staatliche Akademie der Bildenden Künste Nürnberg das Studierendenwerk, das Bundesministerium, die Jury und nicht zuletzt die bayerische Landesregierung über Wochen und Monate hinweg getäuscht hat. Denn die genannten Institutionen vertrauen den vorschlagenden Akademien.
Der Nürnberger Akademie muss klar gewesen sein, dass eine öffentliche Information über die Haftsituation die Nominierung gefährdet hätte. Also behielt sie es für sich. Aber der Akademie muss auch klar gewesen sein, dass es nach einer Jury-Entscheidung für Hanna S. (es gab insgesamt knapp 50 Einreichungen bei acht Preisträgern) eine öffentliche Debatte über die Anklage gegen Hanna S. geben würde. Eine Solidaritätsadresse?
Nachdem Cem Özdemir gestern die Notbremse gezogen hat, veröffentlichte die Akademie eine Art Erklärung. Darin heißt es unter anderem:
„Hanna S. war zum Zeitpunkt der Nominierung ordentliche Studierende der AdBK Nürnberg.“
Nochmal: Die Festnahme fand am 6. Mai 2024 statt – es gab zeitnahe Demonstrationen und Solidarisierungserklärungen, auch vom Gelände der Akademie und von Mitstudierenden ausgehend. Und die Nominierung wurde erst am 24. Juli 2024 von der Akademie eingereicht, also etwa zweieinhalb Monate nach der Festnahme. Wenn die Akademie jetzt rechtfertigend schreibt, die Studentin sei zum Zeitpunkt der Nominierung noch „ordentliche Studentin“ gewesen, dann ist das so, als würde man auf die Frage nach dem Alter die Körpergröße oder das Gewicht nennen.
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Gegenüber Alexander-Wallasch.de hatte das den Preis organisierende Studierendenwerk bereits deutlich gemacht, dass es nur eine einzige Bedingung gebe: Die Studierenden müssen zum Zeitpunkt der Nominierung ordentlich eingeschrieben sein.
Nun lässt der Bundesminister den Preis ruhen. Warum hat die Akademie nicht die Einschreibung von Hanna S. ruhen lassen oder wenigstens die Nominierung zurückgezogen?
Die Akademie hat offenbar falsches Spiel mit allen Instanzen dieses angesehenen Kunstpreises getrieben. Und jetzt kommt sie nur scheibchenweise mit jenen Wahrheiten ans Licht, die Portale wie Alexander-Wallasch.de längst recherchiert haben. Aber eine Aufarbeitung sieht deutlich anders aus, sie muss idealerweise proaktive Elemente zeigen. Davon ist hier nichts zu sehen. Was hat die Akademie im Zusammenhang mit Hanna S. zu verbergen?
Und der Sprecher des Studierendenwerkes sagt es dann auch unmissverständlich. Der „Spiegel“ schreibt:
„Die Vorwürfe gegen Hanna S. seien nicht mit den Werten des Preises vereinbar, man müsse sich dazu verhalten, sagt Grob. Die Nürnberger Kunstakademie, die Hochschule von Hanna S., hätte die Träger des Wettbewerbs und die Jury informieren müssen, sagt er.“
Hier die gestern Abend unter „news“ veröffentlichte Erklärung der Akademie im Wortlaut:
Nominierung von Hanna S. für den 27. Bundespreis für Kunststudierende
Wir distanzieren uns von Gewalt in jeglicher Form. Unsere Hochschule hat ein Leitbild, das zu Offenheit, Toleranz und gegen jede Art von Extremismus und Gewalt verpflichtet.
Für alle Angeklagten gilt während der Dauer eines Strafverfahrens die Unschuldsvermutung. Dies betrifft auch das Verfahren von Hanna S. Es gilt das Persönlichkeitsrecht der Beschuldigten.
Hanna S. war zum Zeitpunkt der Nominierung ordentliche Studierende der AdBK Nürnberg.
Die Auswahl der zwei Vorschläge aus der AdBK Nürnberg für den 27. Bundespreis für Kunststudierende fand am 28. Mai 2024 statt. Die Auswahl ist wie folgt geregelt:
Die Klassenprofessor*innen schlagen aus ihrem jeweiligen Lehrbereich zwei Studierende vor, die den Ausschreibungskriterien des Studierendenwerks entsprechen.
Die vorgeschlagenen Studierenden präsentieren ihre Arbeiten im Rahmen einer internen Ausstellung.
Eine Jury, bestehend aus dem Kollegium der Professorinnen, Vertreterinnen des Mittelbaus und der Studierenden, wählt zwei künstlerische Positionen aus, die dem Studierendenwerk im Wettbewerb vorgeschlagen werden.
Die nominierten Studierenden erstellen ein künstlerisches Portfolio mit fünf Arbeiten, Werkverzeichnis sowie Statement zur künstlerischen Arbeit, das dem Studierendenwerk für den Wettbewerb von den Nominierten im Anschluss zugesandt wird.
Die o. g. Jury der AdBK Nürnberg entscheidet eigenständig und frei. Die Werke der Studierenden werden ausführlich besprochen; die Auswahl erfolgt aus rein fachlich-künstlerischen Kriterien nach einem Mehrheitsvotum. Der Auswahlprozess wird protokolliert.
Zusammen mit einem Gutachten, das die künstlerische Qualifikation der Kandidat*innen würdigt, wurden die Nominierungen am 24. Juli 2024 beim Studierendenwerk für den Wettbewerb vorgeschlagen.
Veröffentlicht: 17.04.2025
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Author:
Alexander Wallasch