Von Kai Rebmann
Peter Boch ist es als Oberbürgermeister von Pforzheim (Baden-Württemberg) durchaus gewohnt, mit Herausforderungen umzugehen, die viele seiner Amtskollegen im Südwesten nur vom Hörensagen kennen. Trotzdem, oder gerade deshalb, ließ der CDU-Politiker seinen Emotionen bei der jüngsten Sitzung des Hauptausschusses in der Goldstadt freien Lauf und machte aus seinem Herzen keine Mördergrube: „EU und Bund wollen darüber bestimmen, was ich hier zu bauen habe. Wenn die bestellen, dann sollen sie auch zahlen. Da kriege ich einen Vollvogel! Nachher sind es genau die Behörden, die uns dann den Haushalt nicht genehmigen. Das ist doch ein Treppenwitz, ein Witz ist das!“
Was den Rathaus-Chef derart in Rage versetzte? Ein Baustein der rot-grünen Energiewende, der sich „Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungsgesetz“ nennt. Dieses Wortungetüm dürfte der breiten Öffentlichkeit im Gegensatz etwa zum Heizungsgesetz vergleichsweise wenig bekannt sein, wird die Kommunen in Deutschland in den kommenden Jahren aber vor ungeahnte Herausforderungen stellen. Das SaubFahrzeugBeschG – selbst die offizielle „Abkürzung“ wird noch zum Buchstaben-Tausendfüßler – verlangt künftig festgelegte Quoten emissionsfreier Fahrzeuge in den Flotten etwa von Betreibern des ÖPNV, z.B. 32,5 Prozent schon ab dem Jahr 2026.
Für Pforzheim bedeutet das: ein neuer E-Busbetriebshof muss her, und zwar schnell. Denn nur so bestehen realistische Aussichten einen neuen Betreiber für den Busverkehr in der Goldstadt zu finden. Der bisherige Betriebshof bietet weder E-Ladesäulen für Busse noch die sonstige für den Umstieg notwendige Infrastruktur. Die Stadt rechnet deshalb mit Kosten von bis zu 37 Millionen Euro, die anderswo dann natürlich fehlen. Man müsse deshalb auf Projekte verzichten, „die wir eigentlich schon beschlossen haben“, ärgert sich Boch.
E-Betriebshof frisst komplette Jahres-Investition auf
Zur Einordnung: Laut aktueller Haushaltsplanung wurde das Investitionsvolumen in Pforzheim für die Jahre 2026 bis 2030 auf maximal 40 Millionen Euro pro Jahr begrenzt – was ziemlich genau den Kosten für den neuen, von Brüssel und Berlin aufoktroyierten E-Busbetriebshof entspricht. Um die Kosten im günstigsten Fall auf „nur“ noch 22 Millionen drücken zu können, werden im Rathaus schon Notpläne geschmiedet, die aber vielmehr Ausdruck purer Verzweiflung sind. So wird tatsächlich überlegt – leider kein Witz! – beim E-Betriebshof auf das Dach und/oder ein Verwaltungsgebäude zu verzichten. Herzlich willkommen im Deutschland anno 2025!
Am Ende der Debatte um den E-Betriebshof waberte sogar der politisch-rhetorische Geist von Angela Merkel durch den Ratssaal in Pforzheim. Stadtrat Axel Baumbusch (Grüne Liste) stellte in verdächtiger Anlehnung an die vielfach kolportierte Wortwahl der Altkanzlerin im Zusammenhang mit der Migrationskrise lapidar fest: „Das Gesetz ist nun mal da, ob es uns passt oder nicht.“
Zur Misere in der 130.000-Einwohner-Stadt an der Enz passt indes: Aktuell fehlen für das Schuljahr 2026/27 noch rund 1.000 Hort-Plätze an den Grundschulen, um die ab dann gesetzlich vorgeschriebene Ganztagesbetreuung flächendeckend anbieten zu können. Nicht nur in diesem Bereich könnte ein Bruchteil der erzwungenen Millionen-Investition in ein „ideologisch getriebenes Luxusprojekt“, wie es die AfD-Fraktion im Stadtrat nennt, einiges bewirkt werden.
Habeck-Logik und Merkel-Rhetorik in Halle/Saale
Pforzheim steht dabei nur exemplarisch für die allermeisten Kommunen in Deutschland. Dennoch wird dem SaubFahrzeugBeschG nicht überall mit der wohl berechtigten Skepsis begegnet. Das vielleicht beste Beispiel hierfür ist Halle/Saale. Mehr noch: In Sachsen-Anhalt will sich der Stadtrat die Investitionen in eine klimaneutrale Infrastruktur die Kleinigkeit von 1,2 Milliarden Euro – ja, richtig gelesen – kosten lassen. Als einen ersten Schritt genehmigte das Gremium der Stadtwerke Halle GmbH mit deutlicher Mehrheit (41:11) ein Darlehen in Höhe von 104,5 Millionen Euro, lediglich die Räte der AfD stimmten dagegen. Das Geld soll in den kommenden Jahren in „hunderte Einzelprojekte“ fließen, etwa für den Umbau des ÖPNV, den Ausbau der Ladeinfrastruktur – oder eben in Maßnahmen zur Erfüllung der Vorgaben des SaubFahrzeugeBeschG.
Doch auch damit noch nicht genug: Stadtwerke-Chef Mathias Lux versucht Kritiker mit einer Rhetorik auszubremsen, die wohl nicht jedem sofort einleuchtet: Das Darlehen aus der Stadtkasse sei notwendig, „um das erforderliche Eigenkapital vorzuweisen und damit zusätzliche Kredite aufnehmen zu können.“ Darlehen, das per Federstrich zum „Eigenkapital“ umgedeutet wird – diese Logik erinnert in geradezu fataler Weise an die von der Bundesregierung ausgerufenen „Sondervermögen“, um den Begriff „Rekord-Schulden“, und damit die unbequeme Wahrheit, zu vermeiden.
Ungeachtet des aktuell bisweilen höchst unterschiedlichen Umgangs mit dieser relativ neuen Vorgabe aus Brüssel und Berlin, deren Umsetzung letztlich durch die Kommunen und damit den Steuerzahler zu stemmen ist, scheint schon jetzt klar: das SaubFahrzeugeBeschG wird in den nächsten Jahren noch für viel politischen und gesellschaftlichen Sprengstoff sorgen – spätestens dann, wenn irgendwo wieder Schulsanierungen oder ähnliche Projekte auf die lange Bank geschoben werden müssen, weil das vergleichsweise geringe Geld dafür angeblich gerade nicht da ist.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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