Wer Julian Reichelts Post zur AfD-Erklärung las, konnte daraus nur schlussfolgern, dass Chrupalla und Weidel vollkommen den Verstand verloren oder irgendetwas geschrieben haben, das das Verhältnis Deutschlands zu Israel nachhaltig erschüttert und die deutsche Staatsräson zu Israel in Frage stellt.
Aber nichts davon ist irgendwie nachvollziehbar: Die Stellungnahme der AfD-Parteichefs ist in ihrer nachdenklichen Weise der schrecklichen Auseinandersetzung gegenüber absolut angemessen formuliert (beide Kommentare im Anschluss ungekürzt).
Reichelt hat hier alle negativen Narrative der Etablierten in die Waagschale geworfen und sich ihrer bedient, um seine radikale Agenda der kriegerischen Eskalation im Nahen Osten zu bedienen und um der AfD seine Lesart aufzuzwingen. Aber die Deutungshoheit eines auflagenstarken BILD-Chefs ist eine andere als die von jemandem, der mit Roland Tichy und Boris Reitschuster um ein paar Millionen konservative Leser buhlt.
Es ist tatsächlich schrecklich für jene, die Nius gern regelmäßig lesen und das Portal – zu Recht – als große Stütze begreifen: Aber Julian Reichelt hat sich für einen viel zu langen Moment auf die Ebene von Kriegstreibern wie Roderich Kiesewetter (CDU) begeben. Mit Blick auf die Ukraine-Haltung von Ronzheimer, Poschardt, Reichelt und Co. war der Nius-Chef allerdings schon immer auf dieser Ebene unterwegs, wollte es seiner Klientel gegenüber nur nie in vollem Umfang kommunizieren.
Reichelt hat ein gigantisches Problem. Und dieses Problem teilt er mit einer Sahra Wagenknecht der Vorwahlzeit: Seine Fans sind höchstwahrscheinlich überwiegend AfD-Wähler. Solche, die zwar um die Herkunft und das Vorleben von Reichelt wissen, aber angesichts seiner populären Zuwanderungskritik allzu gern bereit sind, darüber hinwegzusehen. Ein nobler Zug! Reichelt hat sogar glühende Verteidiger unter AfD-Wählern, er ist der Konvertit mit dem Bekenntnis für Deutschland. Ja, Reichelt ist richtig gut in dem, was er tut.
Reichelts Aufregung über die kurze Stellungnahme von Chrupalla und Weidel ist länger geraten als die knapp gehaltene Stellungnahme der AfD-Führung selbst. Und die geht so:
„Stellungnahme der AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla und Dr. Alice Weidel Berlin, 18. Juni 2025. Die kriegerischen Handlungen zwischen Israel und Iran führen zur weiteren Eskalation des Nahost-Konflikts. Diese Eskalation macht uns Sorgen und bedroht die Sicherheit Deutschlands, Europas und der ganzen Welt. Die Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz, der den Krieg als „Drecksarbeit (…) für uns alle“ bezeichnet hat, weisen wir in aller Schärfe als pietätlos und schädlich für Deutschlands Ansehen zurück. Aktiv zum Krieg beizutragen, ist nicht im Interesse Deutschlands und Europas. Wir rufen die Kriegsparteien zur Mäßigung auf und hoffen, dass die USA nicht in den Krieg eintreten müssen. Europas Politiker müssen ihre Bürger vor negativen Auswirkungen des Nahostkonflikts wie Migrationsbewegungen oder Anschlägen schützen und diplomatisch zur Friedensfindung beitragen.“
Mal ganz ehrlich: Wer käme überhaupt auf die Idee, hier Kritik zu üben? Die einzige Kritik, die man üben könnte, läge darin, dass, wenn man die Kriegsbemalung schon im Gesicht hat, man sich Sorgen darum machen könnte, dass die große Schlacht am Ende ausfällt. Mehr nicht!
Aber Julian Reichelt explodiert förmlich wie ein Rumpelstilzchen an dieser kurzen und passablen Erklärung der AfD-Führung: Es sei eine „katastrophale programmatische Fehlentscheidung der AfD.“ Aber herrje, welches Programm will Reichelt hier herausgelesen haben?
Der Nius-Chef schreibt, die AfD könne nicht „zuhause gegen den Kopftuchzwang sein und dann schützende Worte für die islamistischen Schutzpatronen des Kopftuchzwangs finden.“
Geht es eigentlich billiger? Das ist primitiv suggestiv und beleidigt damit seine Leser. Ausgerechnet der ehemalige Propagandachef der Kanzlerin samt „Refugees Welcome“-Kampagne verknüpft hier die Kopftuchdebatte in Europa und Deutschland mit der Frage, ob das islam-religiöse Regime in Teheran die Bombe baut, um Israel zu vernichten.
Und Reichelt sagt hier klar, was er – jedenfalls zu Russland und Ukrainekrieg – seinen AfD-Lesern in der Form bisher noch nicht klar gesagt hat: Entweder bist du Feind oder Freund. Dazwischen lässt Reichelt nichts gelten:
„Wenn man sich um politische Verantwortung bewirbt, kann man sich auch nicht einfach in den Isolationismus und die Neutralität flüchten.“
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Und damit seine unhaltbaren Anwürfe den richtigen Dampf bekommen, hat der Dampfplauderer den ultimativen Vorwurf – analog zu „Putinversteher“ im Ukrainekrieg – gleich noch obendrauf gepackt:
„Man kann nicht mit Worten Terroristen und ihre Finanzstrukturen beschützen, wenn man für innere Sicherheit und äußere Sicherheit stehen will.“
Unabhängig davon, dass die Vereinten Nationen und viele internationale Vereinbarungen der Nachkriegszeit seit ihrem Bestehen viele Krisen nicht verhindern konnten, so bleiben sie doch der Gegenentwurf zur darwinistischen Idee davon, dass sich der Stärkere schon durchsetzen werde.
Aber niemand würde auf die Idee kommen, die Gerichte abzuschaffen, nur weil das Verbrechen zugenommen hat. Besonders tragisch: Wie sehr muss die persönliche Feinjustierung in Sachen Menschenrechte und Völkerverständigung eigentlich gelitten haben, wenn jemand dazu bereit ist, mit einem Handstreich jede internationale Vereinbarung und Völkerverständigung, die aus den Lehren des Grauens des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust entstanden sind und um die so viele ehrenwerte Diplomaten und Politiker vieler Länder gerungen haben, einfach vom Tisch zu wischen?
Reichelt erklärte vorgestern gleich mal die Baumeister einer Völkerverständigung zu Dummköpfen:
„I hate to break it to you, aber: Völkerrecht existiert nicht. Hat es nie, wird es nie. Ist ein vollkommen wertloser Zettel, der schon immer nur Unholde und Diktaturen beschützt hat. Wer mit Völkerrecht argumentiert, ist schlicht nicht besonders schlau.“
Um zu verdeutlichen, was Reichelt hier gegen die AfD auffährt, muss man den Spieß einfach mal umdrehen und versuchen, wie Reichelt zu argumentieren. Das klänge dann vermutlich ähnlich schrecklich wie hier:
Reichelt will den totalen Krieg, die Ausrottung des Kopftuchs gleich mit dem Kind darunter, denn es könnte ja die Mutter der kommenden Atombombenbastler sein.
Hier die Erwiderung von Julian Reichelt auf die Stellungnahme der AfD-Parteichefs Chrupalla und Weidel:
„Diese Stellungnahme ist eine katastrophale programmatische Fehlentscheidung der AfD. Man kann nicht glaubhaft gegen Islamismus sein, ohne gegen Islamisten zu sein. Der Islamismus, der nach Deutschland einwandert und in Deutschland wütet, ist direkt und untrennbar verbunden mit islamistischen Strukturen im Ausland. Der Islamismus ist kein deutsches Migrationsphänomen, sondern eine globale Bedrohung, die gegen alle (bürgerlichen) Werte steht, für die die AfD vorgibt zu stehen.
Man kann nicht zuhause gegen den Kopftuchzwang sein und dann schützende Worte für die islamistischen Schutzpatronen des Kopftuchzwangs finden. Wenn man sich um politische Verantwortung bewirbt, kann man sich auch nicht einfach in den Isolationismus und die Neutralität flüchten, wenn es um Atomwaffen in den Händen von Terroristen geht. Man kann nicht mit Worten Terroristen und ihre Finanzstrukturen beschützen, wenn man für innere Sicherheit und äußere Sicherheit stehen will.
Wer bereit ist, Atomwaffen in den Händen von Islamisten zu dulden, die transnational und auch in Deutschland operieren, ist kein Patriot, sondern ein Pazifist Marke Wagenknecht. Und man kann sich nicht glaubhaft zum Existenzrecht Israels bekennen, ohne Israels Recht und Pflicht anzuerkennen, sich gegen eine existenzielle Bedrohung zu wehren. Mit diesem Statement geht die AfD vielleicht in den Wettbewerb mit dem BSW, aber nicht in den politischen Kampf um konservativ-bürgerliche Wähler. Auf die wirkt das abschreckend. Außerdem klingt das ganze Statement so, als hätte Frank-Walter Steinmeier den X-Account der AfD gehackt.“
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Author:
Alexander Wallasch