• 12. April 2025

Raus aus dem Schützengraben – Wir sprechen mit Deniz Yücel

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Apr. 11, 2025
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Der Journalist Deniz Yücel wurde 2017 festgenommen und musste ein Jahr lang in der Türkei in U-Haft sitzen. Bei Tichys Einblick war wir uns damals einig: „Für seine Freiheit einzutreten, ist uns selbstverständlich.“

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Bis heute steht Yücel bei Konservativen in der Kritik für zwei über ein Jahrzehnt alte Artikel in der „taz“. Eine grobe Beleidigung gegen Autor Thilo Sarrazin bereute der Autor, wie die „taz“ später berichtete. In einem weiteren „taz“-Artikel schrieb der Kolumnist, der baldige Abgang der Deutschen sei „Völkersterben von seiner schönsten Seite“.

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Darüber ist nun viel Zeit vergangen. Deniz Yücel ist seit mittlerweile zehn Jahren Autor und Korrespondent bei der „Welt“.  Alexander-Wallasch.de kennt keine Brandmauern. Im Gespräch mit dem 51-jährigen Flörsheimer deutsch-türkischen Journalisten sprechen wir über Yücels Kritik am Urteil gegen Bendels, über Ausgrenzung und auch über die Frage, ob Alexander Gauland ein echter Punk ist.

Wie geht es Ihnen, wird man ruhiger im Alter, friedlicher, kooperativer, dem Menschen zugewandter?

Es gibt solche und solche. Ob ich ruhiger und kooperativer geworden bin, können andere besser beurteilen. Nach meinem Gefühl – ja, schon ein bisschen, meistens jedenfalls.

Wenn ich Sie gleich zu Beginn frage wie man Ihren Nachnamen korrekt ausspricht, ist das schon beispielhaft für das Leben von Deutschtürken in Deutschland?

Ich würde dem nicht zu viel Bedeutung beimessen, ich kann ja auch keine polnischen Namen richtig aussprechen. Und wie viel Wert man selbst auf die korrekte Aussprache legt, ist eine individuelle Geschichte. Ich persönlich möchte, dass man meinen Nachnamen einigermaßen richtig ausspricht. Aber der natürliche Gang von Einwanderung ist, dass aus Martin Scorsese [italienisch ausgesprochen] irgendwann Martin Scorsese [englisch ausgesprochen] wird. Das braucht ein paar Generationen.

Von 2017 bis 2018 waren Sie in den Medien einer der meistbeachteten deutschen Journalisten, weil Sie in der Türkei ein Jahr lang inhaftiert waren. Was ist Ihnen davon geblieben? Ein Trauma oder ein zweites Leben?

Weder noch. Das war eine Form von Journalistenpreis, der in der Türkei vergeben wird, womit dieses Regime auch sehr großzügig umgeht. Ich bin nicht der einzige Journalist, der dort wegen seiner Arbeit verhaftet wurde. Nachdem das einmal passiert war, dachte ich: Das Wichtigste ist nicht, so schnell wie möglich hier rauszukommen, sondern das Ganze so unbeschadet wie möglich zu überstehen.

Ich wollte mein Leben, meine Freiheit, meine Normalität zurück. Das hieß auch: Ich wollte nicht als wandelndes Beispiel für Meinungs- und Pressefreiheit durch die Gegend laufen, was ja auch Unfreiheit bedeutet, weil man so den Knast immer mit sich schleppt.

Aber was ich nicht vorhergesehen habe, war, dass durch diese Popularität plötzlich eine Verantwortung auf mich zukam. Wenn mich zum Beispiel der Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza“ aus Warschau anruft, weil ein Kollege in Belarus im Gefängnis sitzt, und mich bittet, einen Brief an diesen Kollegen zu schreiben, der dann auf Deutsch in der „Welt“ und auf Polnisch in der „Gazeta Wyborcza“ erscheint, um dem Fall ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, ist das natürlich kein journalistisches Format. Aber wenn ich damit einem Kollegen ein kleinwenig helfen kann, dann mache ich natürlich. Aus diesem Verantwortungsgefühl habe ich zugesagt, als ich gefragt wurde, ob ich als Präsident des deutschen PEN kandidieren möchte. Daraus wurde später PEN Berlin.

Ein „zweites Leben“ ist das aber nicht, ich war auch nur ein Jahr im Gefängnis. Aber das eine oder andere habe ich davon mitgenommen. Ich bilde mir ein, dass ich zuvor schon sensibel beim Thema Meinungsfreiheit war. Aber durch diese Gefängniserfahrung bin ich an diesem Punkt noch empfindlicher geworden – empfindlich bei Einschränkungen der Meinungsfreiheit, aber auch empfindlich, wenn leichtfertig mit Vorwürfen wie „Diktatur“ um sich geworfen wird. In Deutschland laufen manche Dinge in diesem Zusammenhang schief. Aber dieses Land ist keine Diktatur und auch nicht auf dem Weg dorthin. Wer das denkt, weiß nicht, was eine Diktatur ist.

Sie solidarisieren sich in einem X-Post mit David Bendels, dem Chef des Deutschlandkurier, der wegen eines Faeser-Memes zu sieben Monaten Haft verurteilt wurde.

Ich habe mich nicht solidarisiert, ich habe etwas kritisiert. Es geht mir nicht um den „Deutschlandkurier“ und den Chefredakteur. Und wenn ich danach gehen würde, wie die über mich geschrieben haben, als ich im Gefängnis saß, dann wäre das Netteste, was ich machen könnte, nichts zu alledem zu sagen. Mache ich aber, obwohl der „Deutschlandkurier“ mir zuwider ist, so wie mir die Partei, der sie nahesteht, zuwider ist. Wenn sie die Gelegenheit dazu bekäme, würde sie mit politischen Gegnern ähnlich umgehen wie ihr Idol Wladimir Putin. Mir geht es in solchen Fällen immer ums Prinzip. Um die Meinungsfreiheit.

Aber warum machen Sie es so groß und gehen bis Putin? Gehen Sie doch erst mal zu Frau Faeser. Da wird es doch schwieriger für die Argumentation.

Sie können mir doch meine Ansichten überlassen.

Ich frage nach.

Ich habe dieses Urteil kritisiert, weil ich es für falsch halte. Weil es ich das für eine besonders schlechte Auslegung eines schlechten Paragraphen – 188 Strafgesetzbuch – halte.

Dabei verstehe ich, warum der 2021 verschärft und auch Kommunalpolitiker unter diesen besonderen Schutz gestellt wurden. Wir wissen aus vielen Studien und Berichten: Politiker, vor allem Kommunalpolitiker, stehen in Deutschland unter Druck. Sie sind oft Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt – nicht nur, aber meistens von rechtsextremer Seite oder von irgendwelchen rechten Wutbürgern. Insbesondere ehrenamtliche Bürgermeister geben entnervt auf, es wird schwieriger Leute zu finden, die bereit sind, dieses Ehrenamt zu übernehmen.

Aber das spiegelt sich doch eins zu eins in der Erfahrung der AfD-Politiker. Das ist doch ein zweischneidiges Schwert.

Sie haben recht, laut Statistiken sind AfD-Politiker am häufigsten von Gewalttaten betroffen. Aber die Gesamtzahl von Straftaten gegen Politiker kommt zum größeren Teil aus der rechten und rechtsextremen Ecke. Das erzählt Ihnen beinahe jeder Bürgermeister, nicht nur in Ostdeutschland übrigens.

Aber das hat womöglich auch damit zu tun, dass die Bürgermeister in der Regel die sind, die im Kleinen das abbilden, was die Regierung repräsentiert. Ich versuche zu ergründen, warum Sie da eine Solidarität – nein, nicht eine Solidarität. Wie nennen Sie das?

Kritik. Noch mal zurück: Die Probleme, über die ich gerade gesprochen habe, sind real, deshalb verstehe ich es, dass der Gesetzgeber hier Handlungsbedarf gesehen hat und Kommunalpolitiker schützen wollte. Und vielleicht hat dieses Gesetz sogar dazu beigetragen, dieses Problem ein wenig zu lindern.

In der allgemeinen Wahrnehmung aber ist dieses Gesetz – durch die exzessiven Strafanzeigen aus den Reihen der Bundesregierung – als „Schwachkopf-Paragraf“ bekannt geworden, oder als Majestätsbeleidigung. Das ist eine Fehlentwicklung und auch kontraproduktiv. Ich verstehe jeden Bürgermeister, der sagt: „So, reicht, das lasse ich mir nicht länger gefallen.“ Ein Mitglied der Bundesregierung muss aber muss mehr aushalten. Und dieses Faeser-Meme war nicht einmal ein Grenzfall, sondern klar als Meme erkennbar. Das als Verleumdung auszulegen, ist abenteuerlich.

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Sie haben damit auch etwas losgestoßen. Beispielsweise Erik Marquardt, der ist EU-Abgeordnete der Grünen, hat sich via X jetzt ähnlich zum Fall geäußert.

Ricarda Lang ebenfalls. Das gehört zur Kernaufgabe von Journalismus: Politiker auf Dinge aufmerksam machen, die schieflaufen – was manchmal vielleicht sogar klappt. Aber ich sehe auch: Es gibt grundsätzlich ein Problem von Verrohung der politischen Kultur. Und die geht von der AfD aus. „Wir werden sie jagen“, hat Alexander Gauland angekündigt. Genau das passiert: Jagd. Zugleich sind, wie schon gesagt, AfD-Politiker selbst auch Gegenstand von gewalttätigen Übergriffen.

Aber die werden seit Jahren kaum in Talkshows eingeladen und wenn, dann um Sie vorzuführen. Das ist ja nicht nur die Reduzierung auf die Gewalt. Es findet doch seit 2015 eine massive Ausgrenzung dieser Partei und dieser Politik statt.

Diese Rede von „Altparteien“ und „Systemparteien“ … wer so spricht, der grenzt sich selbst aus. Und so, wie die AfD demokratisch gewählt ist, ist es das gute Recht einer jeden anderen Partei zu sagen: Mit denen möchten wir nicht zusammenarbeiten.

In welchem Zusammenhang jetzt bitte?

Weil Sie von „Ausgrenzung“ gesprochen haben.

Ausgrenzung meint doch hier, dass eine gesellschaftliche Stimmung erzeugt wird, die ein Bekenntnis zur AfD sofort stigmatisiert, die jemandem, der die AfD wählt diffamiert, die überhaupt die gesamte Kommunikation im Grunde genommen kastriert.

So wird aus diesem Interview eine Kontroverse – können wir alles machen, aber dann brauchen wir mehr Zeit. Was ich sagen möchte: Mancher Ihrer Leser wird glauben, dass es eine böswillige, bewusst betriebene Hinwendung in Richtung eines autokratischen Regimes gibt.

Nicht?

Nein. Es gibt reale Probleme, und darauf versucht man, Antworten und Lösungen zu finden. Und manchmal legt man sich auf Sachen fest, ohne zu fragen, ob diese verhältnismäßig sind oder zweckmäßig sind. Oft prüft man nicht einmal hinterher, ob alles so aufgeht wie gedacht. Nach genau diesem Muster lief es in der Corona-Pandemie. Und die Verschärfung von 188 StGB hat in der Praxis nicht geholfen, jedenfalls nicht mit Blick auf die Kommunalpolitik.

Und noch mal: Kein Mensch muss alles aushalten, aber – und das ist nicht nur meine Meinung, das steht im Einklang mit der laufenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – je mehr man im öffentlichen Leben steht, je mehr Macht man ausübt, umso mehr muss man aushalten. Die Dünnhäutigkeit, die viele Mitglieder der Bundesregierung in den letzten Jahren an den Tag gelegt haben, finde ich erstaunlich. Übrigens anders als Angela Merkel, die in dieser Hinsicht eine absolut makellose Bilanz hat: 16 Amtsjahre, null Anzeigen wegen Beleidigung.

Aber nicht nur diese Strafanzeigen von Robert Habeck, Nancy Faeser und anderen finde ich befremdlich. In der Exekutive gibt es die Tendenz – Stichwort „Compact“-Verbot, Stichwort Fördergeld-Affäre – Grundrechte so zu behandeln, als ginge es um das Kleingedruckte auf dem Beipackzettel. Und das geht nicht. So sehr ich Anliegen wie Bekämpfung von Rechtsextremismus oder Bekämpfung von Antisemitismus teile, rechtfertigen sie nicht, Grundrechte beiseite zu wischen.

Das weiß die Gegenseite allerdings schon zehn Jahre länger als Sie. Da brauche ich Sie kaum fragen, ob rechts und konservativ das neue Punk ist. Ich glaube, die Antwort haben Sie gegeben.

Der neue Punk? Alexander Gauland?

Sie sind in Westdeutschland und der Kohl-Ära aufgewachsen. Wer da nicht links war, der war auf Ecstasy. Medien und Demonstrationen richteten sich immer gegen die Herrschenden. Seit Jahren sind Demonstrationen immer pro Regierung, die Antifa macht parallel die Prügeltruppe und jeder Kritiker ist automatisch „Nazi“. Was ist da passiert?

An diesem Satz stimmt vieles nicht, ich belasse es bei einem Punkt: Auch in der alten Bundesrepublik gab es in den sechziger und siebziger Jahren Demonstrationen, die CDU und SPD gemeinsam gegen die Studentenbewegung oder den RAF-Terror organisiert haben. Demonstrationen gegen Rechtsextremismus gab es auch schon in den Achtzigern. Dagegen sprichts nichts, wie auch nichts gegen Demonstrationen gegen islamistischen Terror spricht. Aber ich finde: Politiker sollten sich Demonstration grundsätzlich zurückhalten, sie haben einen anderen Job.

Aber nochmal zurück zum Deutschlandkurier. Was war denn Ihr eigentliches Anliegen? Was wollten Sie bewirken?

Was ich im Rahmen meiner Möglichkeiten immer versuche: Wenn ich denke, dass in diesem Bereich – Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit – etwas schiefläuft, schreibe ich dazu in der „Welt“ oder äußere mich als Sprecher des PEN Berlin. Manchmal schreibe ich auch nur was auf Twitter. Sofern ich glaube, einen konkreten Sachverhalt beurteilen zu können, ist mir egal, ob’s ein AfD-Blatt geht oder um die „junge Welt“. Ich habe in der „Welt“ deren Beobachtung durch den Verfassungsschutz kritisiert – unabhängig davon, dass ich davon überzeugt bin, dass wir die Ukraine unterstützen müssen, ihre Freiheit und ihren Frieden gegen die russische Aggression zu verteidigen, während die „junge Welt“ das, na ja, anders sieht.

Da brauchen wir doch gar nicht so weit weg wandern. Was, wenn Ihr Interviewer hier ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachtet wird? Mit welchem Recht?

Wenn Sie nichts anderes machen als Journalismus, dann würde ich dafür genau dasselbe sagen, was ich für die „junge Welt“ sage. Oder auch für andere Medien, deren Ansichten mir eher fernstehen.

Wie stehen Sie zur Institution Verfassungsschutz? Entbehrlich?

Der Verfassungsschutz ist mir schon wegen der bis heute nicht aufgearbeiteten Verwicklung des Verfassungsschutzes – vor allem der Landesbehörden Hessen und Thüringen – in den NSU-Skandal suspekt. Aber ich finde die Aufgabe grundsätzlich richtig, die Demokratie, die Freiheit des Einzelnen und die Grundrechte auch durch nachrichtendienstliche Mittel zu schützen, inklusive der Terrorabwehr. Was ich befremdlich finde, ist, dass Leute, mit denen ich politisch oft einer Meinung bin, sich neuerdings so gerne auf den Verfassungsschutz beziehen, um die AfD zu bewerten. Dass die AfD eine verklemmt rechtsextremistische Partei ist, weiß ich auch ohne Stempel und Siegel des Verfassungsschutzes.

Haben Sie das Gefühl, dass sich innerhalb des Selbstverständnisses – Stichwort Deutungshoheit – der sogenannten Mainstreammedien, an denen Sie ja teilnehmen, etwas verändert hat? Der Beschuss scheint weniger geworden. Fast scheint es so, als müssten sich die Neuen Medien vor Assimilierung oder Fraternisierung schützen.

Das klingt so sehr aus dem Schützengraben heraus. Ich bin nicht im Schützengraben, deswegen kann ich hier nicht antworten.

Aber der Mainstream ballert doch aus allen Rohren, dass andere in den Schützengraben springen müssen. Jene, denen man dann vorwirft, sie sitzen im Schützengraben. Da passt was nicht.

Das ist eine Wahrnehmung aus dem Schützengraben. Nicht meine.

Danke für das Gespräch!

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Author:
Alexander Wallasch

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