Bonn (ots)
In der Sendung „phoenix persönlich“ spricht Theo Koll mit dem Psychologen Stephan Grünewald über den Zustand der Gesellschaft, den Vertrauensverlust der Menschen in die Gestaltungsmöglichkeit der Politik und die Möglichkeit der Politikerinnen und Politiker, gegenzusteuern.
„Die Menschen haben angesichts dieser vielen Krisen das Gefühl, wir kommen da nicht mehr raus“, sagt der Psychologe Stephan Grünewald mit Blick auf die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger beim Thema Sicherheit, Wohlstandsverlust, Klimakrise oder Krieg in der Ukraine. Die Krisen würden von den Menschen als „unwandelbar“ erlebt und seien mit großen „Ohnmachtsgefühlen“ verbunden, so Grünewald weiter. „Und die Menschen reagieren auf diese Krisen-Permanenz durch eine große Rückzugsbewegung, sie ziehen sich in ihr privates Schneckenhaus zurück.“ Grünewald führt mit seinem rheingold Institut für Marktforschung jährlich etwa 5000 Tiefeninterviews durch.
Mit Verweis auf die von Bundeskanzler Olaf Scholz zitierte Zeitenwende, konstatiert Grünewald, dass wir in keiner „Aufbruchstimmung“ seien: „In unseren Tiefeninterviews stellen wir fest, diese Zeitenwende hat psychologisch betrachtet gar nicht stattgefunden.“ Die Menschen würden hoffen, dass die Zustände, die ihnen vertraut seien, „noch ein paar Monate, vielleicht ein oder zwei Jahre“ aufrechterhalten werden könnten. „Das führt natürlich insgesamt zu einer konservativen Bewegung, die wir auch bei den Wahlen erleben. Wir merken, dieser visionsarme Lebensraum, diese Aufbruchslosigkeit, die wird kompensiert durch eine Art Retro-Trend. Das heißt, die Menschen recyceln Aufbruchsstimmungen, Geborgenheitserfahrungen der 70er, 80er und 90er Jahre, um diese innere Leere zu füllen.“
Den Vertrauensverlust in die Politik, erklärt Grünewald auch mit dem „Zank“ innerhalb der Regierung. „Zank ist psychologisch betrachtet etwas anderes als Streit. Beim Streit geht es immer um den Perspektivwechsel. Streit öffnet den Blick und sucht eine produktive Lösung in Form eines Kompromisses.“ Beim Zank hingegen würde es nur darum gehen, „Bitternis abzusondern, den anderen schlecht zu machen, sein Mütchen zu kühlen.“ Einmal sei es der Ampel gelungen, so Grünewald, aus diesem „zänkischen Modus“ herauszukommen. „Das war vor gut zwei Jahren bei der Energiekrise, weil auf einmal ein Problem klar benannt wurde. Da wurde nicht gesagt, es wird alles gut, wir machen einen Doppelwumms, sondern da wurde ganz klar gesagt, da ist ein massives Problem, wir haben zu wenig Gas, und wir müssen jetzt gemeinsam verhindern, dass wir in einen kalten Winter, in einen Blackout reinrauschen.“ Wenn die Probleme klar benannt würden, es eine klare Zielvorgabe gäbe, es müssten 20 % der Energie eingespart werden und die Menschen einen eigenen Beitrag leisten könnten, stellt das für Grünewald ein Beispiel für zukünftiges politisches Handeln dar. „Jeder hatte den starken Arm, um an der Armatur, am Thermostat zu drehen. Das stärkt die Selbstwirksamkeit. Wenn gleichzeitig noch das Gefühl da ist, es geht gerecht zur Sache, alle leisten ihren Beitrag, die Industrie, die besser Begüterten, der Sparsinn ist sozusagen kollektiviert, dann kommt es zum Erfolg.“
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