München (ots)
Bundestagspetition des Kinder- und Jugendrates von SOS-Kinderdorf:
„Therapie? Frag doch deine Eltern!“
Laut UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder das Recht auf das höchst erreichbare Maß an Gesundheit – und auf Beteiligung. Wollen sie jedoch eine Psychotherapie beginnen, hängt ihre mentale Gesundheit oftmals von der Zustimmung ihrer Sorgeberechtigten ab. Dass dies eine große Hürde sein kann, wissen vor allem junge Menschen aus der stationären Jugendhilfe: „Meine Mutter hat selbst schwere psychische Probleme, ich höre oft lange nichts von ihr. Als ich eine Therapie beginnen wollte, war sie einfach nicht erreichbar und ich musste daher lange auf professionelle Hilfe verzichten. Ich weiß, dass ich kein Einzelfall bin“, erklärt Alex*, 14, der in einer Wohngruppe von SOS-Kinderdorf lebt. Der SOS-Kinder- und Jugendrat, der aus aktuellen und ehemaligen SOS-Betreuten besteht, fordert daher in einer Petition beim Deutschen Bundestag, dass einsichtsfähige junge Menschen selbst über den Start einer Therapie entscheiden dürfen. Die Petition „Therapiemöglichkeit für einsichtsfähige Kinder und Jugendliche ohne vorherige Zustimmung der Sorgeberechtigten“ kann bis 30.7.2025 unterzeichnet werden.
Aktuelle Studien zeigen, dass sich bei etwa der Hälfte der Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen erste Symptome schon vor dem 14. Lebensjahr zeigten. Gleichzeitig sind sich Expert*innen einig: Wer schon in jungen Jahren professionelle Hilfe erhält, hat deutlich bessere Chancen auf Stabilisierung und Heilung. „Frühzeitige Hilfe bei psychischen Problemen kann entscheidend sein – für Lebenswege, Bildungschancen und soziale Entwicklung. Daher ist es umso wichtiger, dass junge Menschen, sobald sie einsichtsfähig sind, selbst darüber bestimmen können, Psychotherapie oder kinder- und jugendpsychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen“, bekräftigt Univ.-Prof. Dr. Michael Kölch, der die Petition des SOS-Kinder- und Jugendrates unterstützt. Einsichtsfähig bedeutet, dass junge Menschen in der Lage sind, die Art, Bedeutung und Tragweite der Behandlung zu verstehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Berufsverband der Deutschen Psycholog*innen unterstützt Petition
„Wenn ein Kind weiß, dass es dringend Hilfe braucht, sollte dies nicht daran scheitern, dass Erwachsene psychische Probleme nicht ernst nehmen, im Trennungsstreit stecken oder erst klären müssen, wer zuständig ist“, sagt auch Diplom-Psychologe Ralph Schliewenz, Vizepräsident des Berufsverbands Deutscher Psycholog*innen. Auch der Berufsverband weiß um das Problem: Viele Therapeut*innen berichten, dass sie Kinder wieder wegschicken mussten, weil die Zustimmung der Sorgeberechtigten fehlte – obwohl die Kinder einsichtsfähig waren und dringend Hilfe wollten.
SOS-Kinder- und Jugendrat handelt aus eigener Erfahrung heraus
Das Problem ist vielschichtig und betrifft vor allem Kinder, die in der stationären Jugendhilfe aufwachsen. Denn bei vielen jungen Menschen, die in Wohngruppen oder Kinderdorffamilien leben, verbleibt das medizinische Sorgerecht bei den leiblichen Eltern. Manche Eltern sind aber schlecht greifbar, überfordert oder sehen die Belastungen ihrer Kinder nicht. Auch staatlich bestellte Vormünder können überlastet sein: Manche sind für sehr viele junge Menschen gleichzeitig verantwortlich und können nicht immer sofort verfügbar sein. So bleiben gerade diese jungen Menschen, die auf Grund ihrer Vorgeschichte oftmals traumatisiert sind, auf der Strecke. Und selbst Jugendlichen ab 15, die einen sozialrechtlichen Anspruch auf Therapie haben, wird ihr Selbstbestimmungsrecht auf Therapie oftmals verwehrt. Aus Vorsicht vor juristischen Konsequenzen stimmen viele Therapeut*innen und Versicherungen auch dann einer Behandlung nicht zu.
Junge Menschen fordern Orientierung am Kindeswohl – und rechtliche Klarheit
Daher fordert die Petition des Kinder- und Jugendrates rechtliche Klarheit: „Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, die klarstellt, dass alle einsichtsfähigen Kinder und Jugendlichen eine Therapie beginnen dürfen – und zwar unabhängig vom Alter. Wir fordern, dass alle relevanten Rechtsfragen so geklärt werden, dass ein selbstbestimmter Zugang für junge Menschen zur Therapie auch in der Praxis wirklich funktioniert. Wir dürfen nicht vergessen, dass die derzeitige Rechtslage auch für Therapeut*innen eine schwierige Grauzone darstellt“, so Lea aus dem SOS-Kinder- und Jugendrat.
Die Petition „Therapiemöglichkeit für einsichtsfähige Kinder und Jugendliche ohne vorherige Zustimmung der Sorgeberechtigten“ kann bis 30.7.2025 unterzeichnet werden: https://epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2025/_05/_19/Petition_181466.html
Weitere Informationen zur Petition finden Sie hier: https://www.sos-kinderdorf.de/ueber-uns/politische-arbeit/petition-selbstbestimmte-therapie-fuer-jugendliche
*Name geändert
Der SOS-Kinderdorf e.V.: SOS-Kinderdorf bietet Kindern in Not ein Zuhause und hilft dabei, die soziale Situation benachteiligter junger Menschen und Familien zu verbessern. In SOS-Kinderdörfern wachsen Kinder, deren leibliche Eltern sich aus verschiedenen Gründen nicht um sie kümmern können, in einem familiären Umfeld auf. Sie erhalten Schutz und Geborgenheit und damit das Rüstzeug für ein gelingendes Leben. Der SOS-Kinderdorfverein begleitet Mütter, Väter oder Familien und ihre Kinder von Anfang an in Mütter- und Familienzentren. Er bietet Frühförderung in seinen Kinder- und Begegnungseinrichtungen. Jugendlichen steht er zur Seite mit offenen Angeboten, bietet ihnen aber auch ein Zuhause in Jugendwohngemeinschaften sowie Perspektiven in berufsbildenden Einrichtungen. Ebenso gehören zum SOS-Kinderdorf e.V. die Dorfgemeinschaften für Menschen mit geistigen und seelischen Beeinträchtigungen. In Deutschland helfen in 39 Einrichtungen insgesamt rund 5.200Mitarbeitende. Der Verein erreicht und unterstützt mit seinen 830 Angeboten gut 123.000 Menschen in erschwerten Lebenslagen in Deutschland. Darüber hinaus ist der deutsche SOS-Kinderdorfverein in 110 Ländern aktiv und finanziert 433 Standorte in 19 Fokusländern über Patenschaften und Unterhaltszahlungen.
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