• 2. Juli 2025

Nicht unterkriegen lassen: Ein Loblied auf die Freuden des Lebens

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Juli 2, 2025
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Was für ein wundervolles Leben! Wie dankbar muss man sein, in einer Zeit zu leben voller Komfort, Bequemlichkeiten und Reise- und Unterhaltungsmöglichkeiten.

Jedenfalls dann, wenn man die Gegenwart mit jenen Umständen vergleicht, mit denen die vorangegangenen Generationen zu kämpfen hatten. Bei allen Verwerfungen der letzten Jahre erscheint es mir überlebenswichtig, einmal auf die schönen Dinge des Lebens zu schauen, die man viel zu schnell als selbstverständlich abtut.

Umso mehr an einem so wundervollen Tag vor dem Rechner arbeitend mit Blick in den Garten. In der Ferne höre ich die Geräusche einer vorbeifahrenden Eisenbahn. So wie meine mittlerweile erwachsenen Kinder keine Schallplatten mehr kennen, haben sie auch keine Dampflok mehr kennengelernt, die noch rauchend an mir vorbeifuhr.

Neulich fuhr ich mit meinem Zwillingsbruder mal wieder durch das Harz-Vorland, als rechts von uns zwischen entfernt liegenden Feldern eine Eisenbahn fuhr und der Bruder sich spontan daran erinnerte, dass wir auf Fahrten mit den Eltern immer zuerst ganz aufgeregt den Rauch der Dampflok sahen.

Gerade fliegt ein Flugzeug hoch oben vorbei, jemand schrieb mir mal, es gebe eine Internetseite, wo man nachschauen könne, welches Flugzeug es sei und wohin es fliegt.

Die Terassentür ist offen, in der Ferne hupen Autos. Unsere Hündin war schon am Morgen auf ihrer Hunderunde und hat es sich jetzt auf einem schmalen Streifen Sonnenlicht bequem gemacht. Ihr ist es offenbar noch nicht zu heiß, sie träumt mitten am Tage: ihre Beine zappeln, sie läuft offenbar gerade über eine Wiese oder verfolgt einen flinken Hasen.

Ein älterer Journalistenfreund hat mir einmal gesagt, es sei wichtig, mindestens die gleiche Zeit, die man mit der Arbeit verbringt, mit sich selbst zu verbringen, zu verarbeiten und auch um Dinge abzuhaken und zu verwerfen. Das ist sicher alles wahr, auch wenn es für mich nach Müßiggang klingt, dafür habe ich leider ein ADHS-Molekül zu viel auf der Synapse. Aber es steckt doch Wahrheit in der zunächst so banal klingenden Weisheit.

Ist doch klar: Wer sich die Zeit nimmt, die erlebten Dinge zu verarbeiten, zu reflektieren und zu verinnerlichen, der speichert sie viel umfassender. Und dann tritt ein Effekt ein, den man erst nach Jahren oder Jahrzehnten erkennt: Wer den Dingen Zeit gelassen hat, einzusickern, der blickt auf ein reichhaltigeres Leben zurück, dem ist die Zeit nicht durch die Finger geglitten. Allein die Fülle der Erinnerungen schafft hier eine Qualität, die das Leben rückblickend bereichert. Und das, obwohl man die gleiche Zeit zur Verfügung hatte, wie jeder andere auch!

Auch wenn man im Alter schauen muss, dass man einigermaßen finanziell versorgt ist, so verliert Geld doch zunehmend an Bedeutung, zwei weitere Währungen drängen sich unaufhaltsam in den Vordergrund: Die Zeit an sich und die Erinnerungen. Sie sind der Reichtum des Älteren. Aber auch mit ihnen muss man umgehen können.

Was für ein wundervolles Leben auch in den einfachsten Dingen. Die wenigsten müssen noch auf den Hof raus, die Toiletten sind im Haus, anbei eine Badewanne, eine Dusche mit wahlweise kaltem oder heißem Wasser frei Haus. In der Küche summen Kühl- und Gefrierschrank, im Keller eine vollautomatische Waschmaschine. Und wenn der Kühlschrank leer ist, dann erreicht man zu Fuß den nächsten Discounter, dessen Angebotspalette unsere Ahnen so nicht einmal zu träumen gewagt hätten.

Und damit sind wir noch nicht einmal bei der Freizeitgestaltung angekommen. Ich bin auch dankbar, dass ich in der Kino-Ära lebe. Ich liebe Filme, meine Großmutter sprach noch von „bewegten Bildern“. Ich bin dankbar für meine Jugend in Westdeutschland, für diese Freiheit in jeder Hinsicht, die bis heute mein Koordinatensystem ausmacht. Wer schon mit 16 Jahren mit Interrail mit Freunden und Freundin durch Griechenland reist, der weiß, was Freiheit ausmachen kann. Freiheit zu leben, verbindet dich mit der ganzen Welt!

Mit den Erinnerungen ist es eine komische Sache: Ich erinnere mich bis heute daran, dass ich einmal von einer Telefonzelle auf einem sonnenüberstrahlten Platz auf der Insel Zakynthos mit meiner Mutter zu Hause telefonierte und ihr berichtete, dass alles in Ordnung sei. Ich bilde mir ein, dass ich sogar noch weiß, wie heiß der Telefonhörer am Ohr war. Damals gab es noch lange kein öffentlich zugängliches Internet oder gar WhatsApp — die Stimme der Mutter kam aus weiter Ferne und es war so schön, sie zu hören. Und ich sage es mit Bedacht: Was für ein wundervolles Leben für junge Menschen ganz befreit von erdrückenden Moralvorstellungen der Vorfahren.

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Ich sprach neulich länger mit einem guten Freund, der über eine viel zu lockere Moral der Hippies der 1970er und 1980er Jahre sprach. Das habe ich damals nicht so empfunden. Ich will sogar behaupten, wir sind besonders sorgsam und feinfühlig miteinander umgegangen.

Ich kann mich an keinen Moment erinnern, wo Mädchen oder Frauen respektlos behandelt wurden. Sicher können Frauen das rückblickend besser beurteilen, mag sein, ich irre mich, aber das glaube ich nicht. Wenn doch mal ein Freund verbal übergriffig wurde, wurde er sofort von der Gruppe gerügt und gemaßregelt. Gruppen und Cliquen hatten vor ein paar Jahrzehnten überhaupt eine viel größere Bedeutung.

Es gab nur einen Grund, das in Westdeutschland anders zu erleben: Man musste seine Angst vor der Freiheit überwinden. Und das gelang nicht jedem. Denn es bedeutete, dass man unweigerlich auch mal eigene Grenzen erreichte, dort, wo die Selbstdisziplin für den Moment versagte, die individuellen Grenzen verwischten und Freiheit etwa in einer Drogensucht einbetoniert wurde.

Und noch etwas: Wie traurig wäre die Vorstellung, in einer Zeit aufzuwachsen, in der es nicht so leicht gewesen wäre, mit Mädchen und Frauen zusammenzukommen. Und hier ist wohl die Schnittmenge mit Landsleuten, die in der DDR aufgewachsen sind, am größten: Wenn es auch keine Reisemöglichkeiten gab, wenigstens hier gab es keine Beschränkungen, berichten mir Freunde, die es erlebt haben.

Das Paradoxon dieser Rückschau: Schaut man auf die problematischen Lebensphasen zurück, sind es zu einem besonders hohen Prozentsatz Lebenspartner gewesen, die für die tragischen und traurigen Tage verantwortlich gemacht werden können. Aber auch hier vergisst man mit heruntergezogenen Mundwinkeln das Wesentliche: Sie waren noch viel mehr der Grund für eine überschwängliche Lebensfreude, für Glück und Zufriedenheit.

Natürlich ist das alles viel zu sehr durch die rosarote Brille geschaut. Und man muss sich auch fragen, was hier Opium für das Volk ist von Fernsehen bis Fressen. Die Erfahrungen unter dem Corona-Regime sind besonders für Ungeimpfte der größte Einschnitt in ihrem Leben. Aber auch dieser brutale Einschnitt kann niemandem mehr wegnehmen, was er schon erlebt und in seinen Erinnerungen abgespeichert hat.

Diese individuellen Erinnerungen sind die allerbeste Versicherung zu beurteilen, was der neuen Jugend in den Corona-Jahren vorenthalten wurde. Erst die eigene Erinnerung ermöglicht den Vergleich mit der jetzigen, die sich zu bestimmten Uhrzeiten nicht mehr auf bestimmte Plätze traut. Zeit und Erinnerungen sind die Währung des Alters – was für ein Reichtum bei vielen! Und sie haben eine wichtige Aufgabe auch mit Blick auf die Jugend.

Aber man darf darüber bitte nicht vergessen – noch eine große Banalität, Entschuldigung! – dass das Leben weitergeht. Und das ist heute um ein Vielfaches leichter zu sagen, als etwa 1945 für unsere Großeltern oder Eltern.

In der Hoffnung, Sie nicht zu sehr gelangweilt zu haben, gehe ich jetzt an die vollautomatische Kaffeemaschine, die mir oben auf meinen Espresso noch einen riesigen Berg Milchschaum zaubert – Was für ein wundervolles Leben!

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Author:
Alexander Wallasch

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