Es war eine private Feier in einem Dortmunder Vereinsheim. Acht Männer zwischen 22 und 42 Jahren, allesamt bislang unbescholten, feiern ausgelassen. Doch gegen 23 Uhr kommt es zu mehreren Polizeieinsätzen – zunächst wegen Ruhestörung. Beim dritten Einsatz eskaliert die Lage. Was dann geschieht, ist ein weiterer Beleg dafür, wie schnell in Deutschland aus einer privaten Veranstaltung ein Fall für den Staatsschutz werden kann. Und wie weit wir uns von freiheitlicher Demokratie entfernt haben und in Richtung DDR entwickeln.
Wörtlich heißt es in der offiziellen Polizeimeldung der Polizei Dortmund:
„Bei dem dritten Einsatz um 23:59 Uhr nahmen die eingesetzten Kräfte dann über Lautsprecher abgespielte NS-Propaganda wahr.“
Was genau wurde gehört? Welcher Satz, welche Parole, welches Lied? Fehlanzeige.
Keine Angabe. Keine Quelle. Kein Beweis. Stattdessen: Wahrnehmung. Und das genügt.
Und weiter heißt es in der Polizeimeldung:
„Eine Befragung der Zeugen ergab zudem, dass diese das mit rechtsextremen Inhalten übertönte Lied aus den 90ern ‚L’amour toujours‘ wahrnahmen.“
Wahrnahmen. Durch „Zeugen”, die verärgert sind über die Ruhestörung.
Das reicht – zusammen mit den vagen Wahrnehmungen der Beamten selbst – offenbar aus, um acht Personen festzunehmen, ihre Handys zu beschlagnahmen und sie erkennungsdienstlich zu behandeln. Die Tat? Bleibt im Nebel. Kein Zitat. Kein Tonmitschnitt. Keine belegte Parole. Nur die Behauptung, etwas „rechtsextrem“ Übertöntes sei wahrgenommen worden.
Und nun?
Nun sitzen acht Männer in Ermittlungsakten – mit Staatsschutz-Stempel und Volksverhetzungsverdacht. Nicht, weil sie nachweislich Hetze betrieben hätten. Sondern weil etwas gehört wurde, das als „rechtsextrem“ empfunden wurde.
Was genau gilt heute eigentlich als rechtsextrem?
Ein Lied aus den 90ern?
Ein Spruch aus dem falschen Mund?
Ein Artikel von dieser Seite?
Warum nennt die Polizei nicht Ross und Reiter?
Warum keine konkrete Aussage, kein Zitat, kein Titel, keine Passage?
Vielleicht, weil dann offensichtlich würde, dass das alles juristisch auf wackligem Boden steht. Vielleicht auch, weil man mit maximaler Diffusität maximale Abschreckung bei den Menschen im Lande erzeugen will: Lieber nichts riskieren, lieber die Musik ändern, lieber den Mund halten – wer weiß, wer mithört.
Denn das Lied „L’amour toujours“ steht längst unter Generalverdacht – nicht weil es gewalttätig wäre, sondern weil es in der „falschen Szene“ beliebt ist. Bereits in der Vergangenheit kam es wegen dieses Liedes zu absurden Polizeieinsätzen: Beim Schlagermove in Hamburg, auf offener Straße in Berlin, selbst in Privatautos. Und erst kürzlich entschied die Polizei in Berlin: Der Satz allein ist nicht strafbar.
Das war eine Kehrtwende – allerdings keine juristische, sondern eine polizeiliche. Denn juristisch ist längst höchstrichterlich bestätigt: „Ausländer raus“ mag geschmacklos, provozierend oder dumm sein – strafbar ist es in der Regel nicht. Genau das macht den aktuellen Fall umso skandalöser. Denn wenn selbst solche Rufe nicht automatisch Volksverhetzung darstellen – wie kann dann die bloße Wahrnehmung diffuser Inhalte zur Festnahme führen?
Aber Differenzierungen scheinen im neuen Klima nicht mehr gefragt zu sein.
Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange sagt jetzt:
„Rechtsextremistischer Hass und Hetze gegen Minderheiten bedroht unser Zusammenleben in Freiheit und Gleichheit.“
Das klingt dramatisch. Doch es ist ein Dammbruch. Einer, der leider seit Jahren alltäglich ist, und an den wir uns schon fast gewöhnt haben. Leider. Denn: Hass ist ein Gefühl. Und die Polizei ist nicht dazu da, Gefühle zu beurteilen – sondern Straftaten. Der Satz „Hass darf keinen Platz haben“ klingt moralisch gut. Aber wenn daraus folgt, dass man wegen der bloßen Wahrnehmung einer Stimmung festgenommen werden kann, dann ist das nicht mehr Demokratie – das ist ein Gesinnungsstaat.
Private Feier ist private Feier. Wer zu Hause oder im Vereinsheim feiert, darf sich dort – solange keine konkrete Gefahr für andere besteht – grundsätzlich auch danebenbenehmen, laut sein, saufen, schlechte Musik hören oder dumme Witze machen. Wenn der Staat aber plötzlich inhaltlich beurteilt, was bei einer privaten Party gesagt oder gespielt wird, wird es brandgefährlich.
Diese Sätze sollte man sich einrahmen. Denn sie markieren den Punkt, an dem sich unser Rechtsstaat leise selbst abschafft. Nicht mit einem großen Knall, sondern durch kleine Schritte – und durch den Satz: „Zeugen nahmen etwas wahr.“
Und morgen dann vielleicht der erste Hausbesuch – wegen der falschen Playlist.
Vielleicht sollten wir beim nächsten Mal einfach vorher fragen, was noch erlaubt ist. Und wem.
Willkommen in der Republik der Wahrnehmungen.
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