Von Martin Sonneborn via X @MartinSonneborn
UNPERSON OF THE YEAR
Der ukrainische Präsident Selenski wurde in westlichen Hauptstädten über Jahre als Symbol demokratischer Widerstandsfähigkeit gefeiert. Diese Bewunderung ist einigenorts offenbar einem gewissen Unbehagen gewichen, das einer realistischeren Bestandsaufnahme geschuldet ist. In englischsprachigen Medien sind in den letzten Tagen kritische Berichte (über Selenski & die Ukraine) erschienen, die noch vor Wochen von denselben Medien als „russische Propaganda“ zurückgewiesen worden wären. Ausführlich legt etwa die „Financial Times“ dar, dass Selenski allem Anschein nach kein Demokrat, sondern ein (kleiner) autoritärer Herrscher sei – und zitiert Oppositionspolitiker, führende zivilgesellschaftliche Vertreter und Diplomaten, die übereinstimmend zu Protokoll geben, dass Selenski und seine Berater die ihnen im Rahmen des Kriegsrechts gewährten Befugnisse nutzten, um „politische Gegenspieler und Kritiker an den Rand zu drängen, die Zivilgesellschaft mundtot zu machen und ihre eigene Kontrolle zu festigen“. Ein Befund, der mit einem Bericht des „Economist“ korreliert, in dem der Kiewer Regierung attestiert wird, in Ränke, Intrigen und interne Machtkämpfe mit regelrechten „Säuberungsaktionen“ verstrickt zu sein, deren Ausmaß das Staatsgefüge von innen zu zerbrechen drohe.
Der US-Thinktank „Freedom House“ detektiert eine „Verschlechterung der politischen und bürgerlichen Rechte der Ukrainer“, während das Online-Nachrichtenportal „Ukrainska Pravda“ dem Präsidenten bescheinigt, „seine ersten, aber selbstbewussten Schritte in Richtung eines korrupten Autoritarismus unternommen“ zu haben. Der „Spectator“ erklärt schon in seiner Schlagzeile, dass „die Ukrainer das Vertrauen in Selenski verloren“ hätten und zitiert einen ehemaligen hochrangigen ukrainischen Regierungsbeamten mit den Worten: „Wenn der Krieg weitergeht, wird es bald keine Ukraine mehr geben, für die man noch kämpfen könnte.“
Der US-Investigativjournalist und Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh berichtet schließlich – wie immer unter Bezugnahme auf Quellen in der US-Administration -, die USA wollten die „Ära Selenski“ nun beenden, um endlich auch den Krieg in der Ukraine beenden zu können. In Washington wolle man Selenski nun endgültig weghaben, um ihn durch den ehemaligen Befehlshaber der Streitkräfte, jetzigen Botschafter in London und (laut offizieller Version) angeblichen Urheber des Nordstream-Terroranschlags zu ersetzen: Waleri Saluschni, den einer jüngst durchgeführten Meinungsumfrage zufolge mehr Ukrainer zum Präsidenten wählen würden als den amtierenden. Sollte Selenski sich weigern, sein Amt aufzugeben, was sehr wahrscheinlich sei, dann müsse er „mit Gewalt“ entfernt werden, so ein in die Planung involvierter US-Beamter: „Selenski wird nicht freiwillig gehen, sondern mit den Füßen voran.“
Weiterlesen nach der Werbung >>>
Selbst die „Deutsche Welle“ überraschte nun mit einer Berichterstattung zu Behinderten, deren Einberufung in der Ukraine gang und gäbe ist, und räumt die Existenz von 3500 offiziellen Beschwerden wegen massiver Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Mobilisierung ein – von Epileptikern, Schizophrenen, Soldaten „mit Tuberkulose“ oder „ohne Zähne“.
Sieht uns ganz nach dem Anfangsstadium eines dieser berühmten „Narrativwechsel“ aus. Von deutschen Medien, diesen notorischen Nachzüglern aus dem Tal der Ahnungslosen, erwarten wir zu folgenden Themen in Bälde eine ausschweifende Berichterstattung, als gäb’s kein Morgen: „Abartige Einberufungsspraxis & Zwangsmobilisierungen“ (SZ), „Abartige Autoritätsstrukturen & diktatorialer Staatsaufbau“ (FAZ, Lokalteil), „Pervers: Geisteskranke an der Front! Zahnlos!“ (Bild); sowie vor allem zum ukrainischen Evergreen „Abartige Korruption“ – inkl. Wiederaufnahme der Selenski betreffenden Erkenntnisse aus den Panama Papers, Smiley! – (Spiegel, Task Force „Slow Research“). Und natürlich: „Die abartigen Klamotten von seiner Frau“ (Bunte) Wir stoppen ab jetzt mal die Zeit. 3, 2, 1
Zur Quelle wechseln
Author:
Alexander Wallasch