Ich weiß nicht, wann genau Miles & More gestorben ist.
Vielleicht in dem Moment, als ich zum fünften Mal vergeblich versuchte, mit über Jahre gesammelten Meilen einen simplen Flug zu buchen – und statt eines Platzes nur die kalte Schulter eines Algorithmus bekam.
Vielleicht auch, als Lufthansa begann, von „dynamischer Preisgestaltung“ zu sprechen – einem Euphemismus, der klingt wie Flexibilität, in Wahrheit aber bedeutet: Der Kunde soll weiterhin sammeln, aber darf nie wissen, was er dafür bekommt.
Oder es war der Moment, als ich als Journalist eine sachliche Presseanfrage stellte – zur geplanten Umstellung des Programms – und über vier Monate keine Antwort erhielt. Kein Kommentar. Keine Zahlen. Keine Gesprächsbereitschaft. Nur eine Empfangsbestätigung – und dann: Funkstille.
Wie bei einer Beerdigung.
Man hat fast den Eindruck, bei Lufthansa glaubt man: Je weniger man sagt, desto weniger kann man sich vorwerfen lassen.
Man fragt sich: Werden heute nur noch Journalisten bedient, die garantiert keine kritischen Fragen stellen?
Was passiert da eigentlich?
Vom 2. auf den 3. Juni 2025 stellt Lufthansa ihr Vielfliegerprogramm radikal um.
Das Versprechen von Miles & More war früher einfach: Wer regelmäßig flog, wer Meilen sammelte, wurde belohnt – mit buchbaren Flügen zu festgelegten Meilenwerten. Planbar. Transparent. Berechenbar. Für 35.000 Meilen gab es einen Hin- und Rückflug in der Economy-Klasse innerhalb Europas, für 50.000 Meilen in dem, was Lufthansa Business-Class nennt, sich aber von der Bestuhlung her so gut wie gar nicht unterscheidet. Früher sogar noch mit „Smart-Tickets“ für 15.000 Meilen in der Economy und 25.000 in der Business – ein Angebot, das mittlerweile sang und klanglos verschwunden ist. Aber diese letzte Verhöhnung der Kunden ist schon so gut wie vergessen.
Künftig gelten diese Regeln nicht mehr. Statt klarer Tabellen gibt es eine „dynamische“ Preisgestaltung – also schwankende Meilenpreise, die angeblich von Angebot und Nachfrage abhängen, in Wahrheit aber völlig intransparent sind.
Bis heute wissen Kunden nicht, was ein Flug künftig kosten wird.
Ob ein Prämienflug nach Asien morgen 90.000 oder 290.000 Meilen kostet – das hängt vom Wind, vom Wochentag oder der Tagesform des Revenue-Managements ab. Die Preisgestaltung ist ein größeres Geheimnis als die Papstwahl.
Auch zur Verfügbarkeit alter, heute noch gebuchter Tickets schweigt sich der Konzern aus. Umbuchungen sind zwar theoretisch möglich – aber nur, wenn exakt dieselbe Buchungsklasse („I“) auf einem neuen Flug noch verfügbar ist. Und das ist schon jetzt oft nicht der Fall – und wird künftig wohl gezielt ausgedünnt. Die „Umbuchungsgarantie“ ist damit eine juristische Fußnote – kein echter Kundenvorteil.
Die Hotline-Mitarbeiter wirken ratlos, das System instabil. Selbst online zu buchen, ist ein Geduldsspiel – Lufthansa kann Internet schlechter als ein griechisches Katasteramt – und das will was heißen. Im Jahr 2025 wirkt die IT des Konzerns, als wäre sie auf einem DOS-Rechner von 1993 entstanden.
Ein Programm, das einst auf Vertrauen und Verlässlichkeit setzte, wird so zur reinen Verrechnungseinheit ohne realen Gegenwert.
Was Lufthansa da betreibt, ist keine Weiterentwicklung, sondern eine kulturlose Zerschlagung eines Loyalitätsmodells, das in der analogen Welt gewachsen ist – und nun von Excel-Magiern zu dynamisch monetarisiertem Restwert verarbeitet wird.
Es war einmal ein stilles Gentlemen’s Agreement: Wer flog, wurde belohnt. Wer loyal war, konnte zählen. Heute? Wird der Vertrag einseitig aufgekündigt – ohne ein Wort der Erklärung.
Aus Kundenbindung wurde Kundenabschreckung.
Meilen werden zu Phantomwährung.
Warum das Ganze? Ganz einfach: Excel. Und Bilanzkosmetik.
Jede gesammelte Meile ist für Lufthansa eine Rückstellung – ein finanzieller Anspruch des Kunden. Solche Rückstellungen erscheinen in der Bilanz auf der Passivseite.
Und: Je mehr Meilen im Umlauf, desto größer diese „Schuld“.
Was also tun? Entwerten.
• Meilen schwieriger einlösbar machen
• den Gegenwert senken
• Umbuchungen erschweren
• weniger Transparenz, mehr Frust
→ Die Folge: weniger Einlösungen, mehr Verfall, niedrigere Rückstellungen – und ein hübscher Buchgewinn.
Die Meilen, die einmal Bindung schufen, sind heute Altlasten. Und alles, was zählt, ist ihre lautlose Entsorgung.
Für die Kunden ist das ein windiges Hütchenspiel, gefühlter Betrug.
Aber für die Manager ist es ein Fest.
Denn ihre Boni hängen nicht von Kundenbindung ab – sondern von kurzfristigen Effekten in der Gewinn- und Verlustrechnung.
Langfristiges Vertrauen?
Zukünftige Buchungszahlen?
Die Loyalität der Vielflieger?
All das steht nicht im Bonusmodell. Und wenn der Konzern in fünf Jahren brennt, ist längst ein neuer CEO da.
Vielleicht liegt das Problem noch tiefer:
Ein Unternehmen, das sich in der Corona-Krise vom Staat retten ließ, ohne echte Konsequenzen zu spüren, könnte dabei eine gefährliche Lektion gelernt haben – nämlich, dass es sich auch ohne Rückhalt der Kunden über Wasser halten lässt.
Verlässlichkeit? Bindung? Vertrauen?
Wozu noch – wenn ohnehin der Steuerzahler einspringt?
Das Ergebnis:
Ein Vielfliegerprogramm wird rasiert – zugunsten von PowerPoint-Zahlen, die im Quartalsbericht glänzen.
Und am Ende steht:
Eine buchhalterisch motivierte Enteignung, die in meinen Augen ganz klar Betrug ist – verpackt als Modernisierung.
Was bleibt?
Ein Konto mit Zahlen ohne Bedeutung.
Ein Programm ohne Substanz.
Ein Konzern ohne einen Hauch von Respekt für die, die ihn getragen haben.
Ich war lange treu. Ich habe Meilen gesammelt, Flüge gebucht, mich durch die Tücken des Systems gearbeitet.
Heute verabschiede ich mich. Ohne Zorn, aber mit klarem Blick.
Miles & More ist tot.
Was bleibt, ist ein Verwaltungsinstrument – und das ungute Gefühl, dass Kundenbindung in diesem Konzern nur noch dann zählt, wenn sie sich in Excel rentiert.
Epilog
Wahrscheinlich wird dieser Nachruf bei der Lufthansa ebenso wenig gelesen wie Presseanfragen von kritischen Journalisten beantwortet werden.
Dafür wird es PowerPoint-Präsentationen geben, in denen die einen Lufthansa-Manager den anderen auf die Schulter klopfen und intern stolz verkünden, dass das neue System „gut gestartet“ sei.
Dann möge man sich erinnern:
Der Exodus kam nicht von ungefähr.
Er war hausgemacht.
Ruhe in Frieden, Miles & More.
Wir hatten gute Zeiten zusammen.
Aber Deine Verwalter haben Dir leider den Todesstoß verpasst.
Nachtrag: Der Skandal im Skandal
Offiziell sollte die Umstellung vom 2. auf den 3. Juni erfolgen – mit einer angekündigten Pause der Prämienbuchungen ab Montagmorgen, 6 Uhr. Doch schon am Sonntag war online nichts mehr buchbar. Die Seite stürzte ab, die Systeme kollabierten. Selbst bei der Senator-Hotline, einst Premium-Adresse für treue Kunden, lief nur noch die Bandansage: „Ihre aktuelle Warteposition ist die 30.“ Wer dort anruft, gehört eigentlich zur obersten Vielflieger-Kaste – mit exklusivem Zugang, privilegierter Betreuung und direkter Durchwahl. Wenn aber selbst diese Kundengruppe so abgefertigt wird, wie viele Chancen haben dann normale Kunden noch, ihre teuer erflogenen Meilen in letzter Minute einzulösen? Keine. Der Zugang war faktisch dicht. Die Entwertung vollzogen.
Was da passiert ist, war kein technisches Schluckauf – es war die letzte Entzauberung. Ein Konzern, der Milliarden bewegt, schließt seine Systeme just in dem Moment, in dem tausende Kunden ihre Meilen retten wollen – ob das ein Kollaps war oder Kalkül, ist fast schon zweitrangig. Das Ergebnis ist dasselbe: ein digitales Kesseltreiben auf offener Strecke.
Statt sauberem Übergang: Torschlusspanik, Chaos, Funkstille. Wer noch versuchte, in letzter Minute seine Meilen zu retten, stand vor digitalen Trümmern. Und wie reagierte Miles & More? Gar nicht. Keine Erklärung. Kein Hinweis. Kein Wort.
Es ist der letzte Beweis: Die Lufthansa hat mit dem alten Versprechen von Miles & More nicht nur gebrochen. Sie hat es beerdigt – mit einem Absturz, der sinnbildlicher kaum sein könnte.
Und die Medien? Größtenteils: Schweigen. Kein Brennpunkt, kein Aufmacher, kaum ein Kommentar. Dabei handelt es sich um den GAU beim größten Kundenbindungsprogramm Europas – bei der größten deutschen Luftfahrtgesellschaft. Ein Debakel von öffentlichem Interesse, behandelt wie eine Randnotiz. Als gäbe es heimlich eine Meilen-Klasse für Nachrichten: Economy für die Kunden, Business für die PR.
Nur wenige Redaktionen – darunter „Bild“ – griffen das Thema überhaupt auf. Der Rest schaute weg. Vielleicht aus Desinteresse. Vielleicht aus Gewohnheit. Vielleicht auch, weil Kritik an Großkonzernen in Deutschland nicht mehr chic ist, wenn sie nicht zufällig amerikanisch oder britisch sind.
Was bleibt, ist der Eindruck eines doppelten Systemversagens: bei Lufthansa – und im Journalismus.
Miles & More ist tot. Und sein Ende war würdelos.
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