Angela Merkel stellt im Deutschen Theater in Berlin Ihre Autobiografie vor. Auch eine Auslandstournee ist vorgesehen. Kein geringerer als Obama soll bei einem Termin an Merkels Seite stehen.
Für diejenigen allerdings, die in der Kanzlerin die Verursacherin für die Massenzuwanderung erkennen, die in ihr das Corona-Regime mit allen negativen Folgen erkennen, die Merkel möglicherweise sogar eine gewisse Mitschuld an der Entwicklung hin zum Ukrainekrieg zugestehen, ist all das, was in diesen Tagen rund um dieses Buch passiert, nur schwer erträglich.
Und es wird diesen Kritikern sicher nicht leichter gemacht, dass es ausgerechnet Anne Will ist, welche gestern die Buchvorstellung moderiert hat. Will hat als Journalistin tatsächlich mehr als nur einen Sündenfall begangen. Gemessen am Gewicht ihrer Talkshow zur besten Sendezeit am Sonntag nach dem Tatort, hat sie wie wohl kaum eine andere Beschäftigte beim öffentlich-rechtlich Fernsehen die Nähe zur Bundesregierung gesucht und gefunden, Opposition konsequent ausgegrenzt und jeder Diffamierung willfährig Vorschub geleistet.
Krönend hier sicherlich ihre Einzelsitzungen mit Angela Merkel, als diese noch Kanzlerin war. Eine Einzelgesprächssituation, die einen absoluten Tiefpunkt des ÖR-Journalismus markierte, da hatte selbst noch Sandra Maischberger im Gespräch mit dem Alt-Kanzler Helmut Schmidt kritischere Fragen gestellt. Von Will und Merkel war demnach wenig bis nichts zu erwarten. Für Kritiker also eine echte Hürde, die Übertragung im Öffentlich-Rechtlichen überhaupt einzuschalten.
Die Neue Zürcher Zeitung hat es getan und war verblüfft über so etwas, wie das Gegenteil von einem Kuschelkurs: „Moderatorin Anne Will überrascht mit beinharten Fragen.“ Frau Will soll hier alles andere als nur die Stichwortgeberin gewesen sein. Zwar habe Anne Will mit einer wahren Kaskade an Freundlichkeiten begonnen, aber dann sei etwas passiert. Eine Art Journalismus-Anfall. Die NZZ schreibt, plötzlich sei Will ihre Interviewpartnerin „frontal“ angegangen.
Und das, obwohl die Zeitung weiß, dass das Gespräch am Vorabend vorbereitet wurde. Allein das wäre ein Grund gewesen, dieser Veranstaltung nicht zu folgen, in welcher Merkel schon im Vorfeld weiß, was sie gefragt wird. War auch die angebliche „Härte“ eine Inszenierung? Die NZZ sah dennoch eine über die Fragen in einer zweiten Runde verblüffte Angela Merkel. Anne Will habe ein vernichtendes Urteil über Merkels Ukrainepolitik gefällt. Sie sie es gewesen, die 2008 den Nato-Beitritt der Ukraine verhindert habe, so Will.
Das überrascht, weil auf Merkels Tanzkarte – oder Ablasszettel – ganz oben zweifelsfrei ihre Zuwanderungs- und ihre Coronapolitik stehen. Aber da hatte auch Anne Will immer wieder über Jahre und etliche Sendungen hinweg Einvernehmen signalisiert.
Weiter die NZZ:
„Will fragte, ob es nicht so sei, dass Merkel in ihrem Buch zwar kleine, belanglose Fehler zugebe, zu den großen Fehlern ihrer Amtszeit aber schweige. Merkel fand das nicht.“
Jetzt wäre es falsch, anzunehmen, Anne Will habe zum Journalismus zurückgefunden. Gefunden hat sie vielmehr zielsicher jenen Punkt, der sie mit der Politik von Merz, Scholz und Habeck neu verbindet. Will liefert hier ein Bekenntnis zur Ukrainepolitik der Ampel ab, mehr nicht. Sie bleibt sich und ihrem Gefälligkeitsjournalismus einfach treu.
Die NZZ schreibt:
„“Auch im Rückblick sehen Sie keinen Fehler?“ fragte Will. Nein, sagte Merkel. Dafür gab es vom freundlichen Publikum Applaus. Ob es denn für das Einräumen von Fehlern eine Art Gütesiegel gebe, fragte Merkel …“
Und die Zeitung schafft es beinahe, es aussehen zu lassen, als habe Will hier eine Art Abbitte geleistet, was natürlich vollkommener Unsinn ist, gemessen daran, dass die Massenzuwanderung und das Corona-Regime die Waterloos dieser Kanzlerin waren, sicher nicht ihre Ukraine-Politik: „Dass Will und Merkel es schafften, sich nach diesem Austausch in aller Höflichkeit zu trennen, sprach für beider Selbstbeherrschung.“
Merkel las auch selbst aus ihrer Autobiografie vor. Das wirkte dann phasenweise so, als lese die nette Großmutter ihren Enkelkindern zum Abend etwas aus einem Märchenbuch vor. Aber Merkel war 16 Jahre lang Bundeskanzlerin. Diese Zeit kann man nicht in einer Märchenstunde aufarbeiten.
Nun gibt es immer dieses eine Zitat, dass besonders hervorsticht. Kluge Selbstvermarkter setzen es selbst, Merkel soll es an diesem Abend herausgerutscht sein, auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) beschäftigt sich in ihrer Aufarbeitung des Abends damit:
„’Stellen Sie sich mal vor‘, so Merkel zu Will, ‚ich würde jetzt Sensationen veröffentlichen, was man über mich sagen würde! Man würde sagen, die hat uns die ganze Zeit belogen!’“
Sätze, die alles und nichts über Merkel aussagen, solange eben nicht dort nachgebohrt wird, wo sich die echten Leichen im Keller verbergen. Etwa entlang der RKI-Files oder im Herbst 2015, in den Wochen vor der planvollen Verweigerung, die vorbereitete Grenze zu schließen.
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Die FAZ sieht als Hauptbotschaft des Abends: „Ich, Angela Merkel, war immer ‚ehrlich‘ und habe alle Entscheidungen so getroffen, dass ich sie auch im Rückblick wieder so treffen würde.“ Damit erscheint Merkel als eine Person, die unfähig ist zur Selbstkorrektur, die einen Kontrollzwang unterliegt, die keine Fehlerkultur zulassen kann.
So etwas ist im Alltag der Menschen durchaus tragisch. Es muss ja nicht Reue sein, zu unserem Wertesystem gehört aber mindestens die Einsicht, dass niemand fehlerlos ist. Auf der Bühne sitzt aber eine Fehlerlose, die generalstabsmäßig und mit großem Team im Hintergrund an ihrem Denkmal baut.
Die FAZ schreibt folgerichtig am Morgen danach: „Dass es bei der politischen Gestaltung von Zukunft Fehlentscheidungen geben kann, mag anderen passieren, aber offenbar nicht Angela Merkel.“
Auch die über 16 Jahre treu ergebenen Öffentlich-Rechtlichen üben sich in der Kunst der Kritik. Die Tagesschau schreibt über den Abend:
„’Ich könnte jetzt mal auspacken‘, sagt die frühere Kanzlerin Merkel bei der Vorstellung ihrer Memoiren. Tut sie aber nicht. Sensationen finden sich in ihrem Buch keine – und ihre Selbstkritik bleibt spärlich.“
Die Tagesschau hat noch einen anderen Satz aufgeschrieben, der den Abend stellvertretend abbilden soll:
„’Ich könnte jetzt mal auspacken‘, sagt sie unter dem Gelächter der Zuschauer. ‚Aber ich packe auch schnell wieder ein. Es bringt ja nichts.’“
Die Wahrheit bringt ja nichts. Da muss man Merkel vielleicht ein stückweit in Schutz nehmen. So eine Autobiografie lebt davon, abzubilden, wie die Person im Mittelpunkt der Erzählung selbst auf sich schaut. Wie sie möchte, dass andere auf sie schauen. Und so werden dann gerade die Leerstellen und die Auslassungen besonders interessant. Eine Autobiografie ist immer mehr Roman, als Biografie. Es gehört zum Genre dazu, dass ist nicht nur bei Merkel so.
Was sagt die Bildzeitung als immer noch größte deutsche Tageszeitung über Merkels Auftritt? Bild erinnert sich zunächst daran, dass Merkel vor zwei Jahren auf dieser Bühne gesagt habe, sie wohle von nun an nur noch „Wohlfühltermine“ machen. Damals hatte ein willfähriger Spiegel-Redakteur die Fragen angereicht.
Der Zeitung ist gestern eine Bemerkung von Merkel über Merz aufgefallen:
„Bis heute zeige sich, Merz habe ‚den unbedingten Willen zur Macht – deshalb gönne ich es ihm‘.“
Bei wem das jetzt allerdings so geklungen hat, als sei das bei Merkel anders gewesen, der kennt die Mechanismen der östrogengesteuerten passiven Aggressivität nicht, die durchaus eine Variante ist, einen unbedingten Willen zur Macht zu stützen. Möglicherweise – oder ganz sicher – mit Blick auf 16 Jahre Merkel-Kanzlerschaft, die erfolgreichere Variante.
Was kann man abschließend sagen? Dieser Abend birgt eine große Gefahr: Er hinterlässt selbst noch in der Kritik an Merkel ein partiell rührseliges Bild einer Alt-Kanzlerin, das mehr einer klugen vorlesenden Großmutter ähnelt, als jener Machtpolitikerin, die Merkel tatsächlich war.
Man darf sich nicht täuschen lassen. Wenn es heute beim Blick in die Zeitungen zeilenweise so ausschaut, als haben sich die regierungsnahen Blätter entschlossen, ihrer Kanzlerin mal kritischer auf die Finger zu schauen, dann ist das eine Fehleinschätzung. Denn gemessen daran, was Merkels Politik aus diesem Land gemacht hat, ist das, was man heute an läppischer Kritik vernimmt, sogar eine Verhöhnung des Journalismus.
Diese Frau dort auf der Bühne hat Deutschland abgewickelt. Sie hat vorbereitet, was Leute wie Habeck, Merz und Scholz nur noch zu vollenden haben: Die Überführung Deutschlands und der Deutschen als Volk in die Geschichte. Merkel war es, die sagte, man könne die Grenzen nicht schützen. Merkel war es, die sagte, jeder habe doch Migrationshintergrund, einschließlich sie selbst.
Anne Will hat gestern nicht danach gefragt, woher Merkels Hass auf Deutschland und die Deutschen kommt. Denn Hass muss es ja gewesen sein, wenn Unvermögen hier nicht ausreicht, diese Zerstörungen auszulösen. Es passierte planmäßig und über viele Jahre hinweg. Und es wurde sekundiert von Anti-Journalisten wie Anne Will.
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Author:
Alexander Wallasch