Meistens gehe ich allein, so wie meine Frau auch. Jeder nutzt die freie Zeit für sich, wenn der andere gerade unterwegs ist. Zusammen gehen wäre unökonomisch, jedenfalls denkt meine Frau so und ich habe mich daran gewöhnt.
Doch, ich fragte sie einmal, ob sie mitkommt, es war ein sonniger Sonntag. Aber sie schaute mich an, als hätte ich etwas echt Blödes gesagt und meinte, wenn ich gehe, habe sie doch endlich mal Zeit, dieses und jenes zu tun.
Allein auf Hunderunde kam ich neulich an einem Einfamilienhaus vorbei, der Fußweg führt hinten am Garten entlang. Im Garten war eine Frau beschäftigt, die wir schon seit Jahrzehnten kennen. Ihre und unsere Kinder sind gemeinsam vom Kindergarten über die Grundschule bis zur weiterführenden Schule gegangen.
Sie ist eine eher zarte, aber stabile Person. Der Mann ist nur stabil. Aber dafür doppelt. Wer Elternabende mitgemacht hat, kennt diesen Typus: Freundlich burschikos vor der Schule, schnell noch eine Kippe, im Klassenraum auf den viel zu kleinen Stühlen dann gefährlich still und im falschen Moment explodierend, eruptiv laut, wo man fasziniert überlegt: Was ist denn plötzlich in ihn gefahren, während man doch gleichzeitig dieselbe Empörung in geringerer Dosis in sich trägt.
Bei den beiden dachte ich immer: Die ergänzen sich aber gut: Er mag ihr eine grobe Form einer Geborgenheit geben, während sie ihn immer wieder daran erinnert, dass die Welt auch eine sanfte Seite hat. Natürlich wollten beide immer das Beste für ihre Kinder und haben ihre Sache zweifellos gut gemacht.
Sie ist also im Garten beschäftigt und ich bin auf Hunderunde. Wir kommen ins Gespräch, der Hund wuselt derweil ein bisschen herum und nutzt die Gelegenheit, eine Ecke mal etwas intensiver zu beschnüffeln als sonst, wenn wir nur vorbeieilen. Ich frage irgendwann nach ihrem Mann, wie es ihm gehe, was er so mache.
Sie schaut, als hätte es sich längst herumsprechen müssen: Der wohne doch schon lange nicht mehr hier. Als ich darauf mit Bedauern reagiere, ist mir ihre Reaktion beinahe zu lässig, zu selbstverständlich, zu locker: Ach, man habe sich halt auseinandergelebt, er sei jetzt in das Haus seiner verstorbenen Eltern gezogen.
„Man hat sich auseinandergelebt“, über den Satz musste ich dann die restliche Hunderunde nachdenken. Wie passiert so etwas, kann es einfach passieren und dann ist es auch gut so für alle? Passiert es immer in der gleichen Intensität bei beiden Partnern, ist es ein Einvernehmen oder ist es viel öfter eine doch recht einseitige Veranstaltung?
„Wie schade“, hatte ich der Nachbarin geantwortet, aber sie hat nur mit den Schultern gezuckt und gelächelt.
Wie schade, dachte ich weiter für mich. Und ich fragte mich, wie das geht, dass man sich auseinanderlebt. Mit seinen Eltern oder Geschwistern kann man sich ja auch nicht auseinanderleben. Aber es stimmt auch, dass man zu dem einen oder anderen Familienmitglied eine engere Bindung verlieren kann, man lebt sich auseinander.
Nochmal zu den Elternabenden: Ich erinnere mich gut, dass es mal einen Elternabend gab – einen der wenigen an dem ich teilnahm – da waren wir die einzigen Eltern, die noch zusammenlebten. Alle anderen waren schon getrennt oder in sogenannten Patchwork-Situationen neu eingebettet. Die hatten sich alle auseinandergelebt? Wie geht das?
Ich glaube nicht an ein Auseinanderleben, viel mehr an ein endgültiges Aufgeben der täglichen Bemühungen um den anderen. Ich bin davon überzeugt, dass mindestens ein Partner beschließt, sich nicht mehr um den anderen zu bemühen, weil er es für aussichtlos hält oder es leid ist, dass seine Bemühungen nie einen erwünschten Erfolg haben.
Aber wie geht das, sich nicht mehr zu bemühen? Bedeutet bemühen, sich immer wieder positiv für den Partner zu entscheiden? Täglich gibt es ja unzählige Situationen, in denen man die Handlungen des Gegenübers schon automatisch einordnet: War das nun gut oder schlecht für mich, ist das positiv oder negativ für mich, für uns, für die Kinder?
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Ich bin seit über dreißig Jahren verheiratet. Wer behauptet, so eine Strecke sei ein Katzensprung, der weiß nichts von den täglichen Bemühungen, vom Ringen und dem Kampf mit- und umeinander. Es wäre gelogen zu sagen, da gab es nur eine Handvoll Gelegenheiten, sich auseinanderzuleben. Die Kinder spielen eine besondere Rolle: Sie sind der Kit und gleichzeitig die Entfremdung, wenn Paare immer weniger Zeit mit sich allein verbringen.
Es ist wohl so: Paare, die mehr als zwei Kinder haben, werden Getriebene. Die Anforderungen, die Fragen und Herausforderungen reißen nie ab. Es ist ein Mühlstein, aber einer, der rollt und rollt und rollt. Alles bleibt in Bewegung. Gottseidank birgt jedes Problem auch die Gelegenheit eines sich daran anschließenden Erfolgserlebnisses.
Die Nachbarn haben sich auseinandergelebt. Als ich darüber nachdachte, wie so etwas geht, ist mir eingefallen, wie aufwendig es ist, sich nicht auseinanderzuleben. So betrachtet sind Jahrzehnte der Partnerschaft auch ein Meisterstück der sozialen Interaktion, eine laufende Reparatur auch von Verletzungen und immer wieder die Suche nach einem guten Grund füreinander, der weiter Bestand und nicht nur etwas mit den Kindern zu tun hat.
Noch etwas erstaunt mich: Auch viele Konservative leben in Patchwork-Familien oder in der x-ten Partnerschaft mit Kindern von unterschiedlichen Partnern. Aber nicht nur die: Ich habe mich schon bei den vielfach verheirateten Gerhard Schröder und Joschka Fischer gefragt, wie jemand an der Spitze einer Gesellschaft stehen kann, Entscheidungen für alle treffen kann, der sich immer wieder auseinanderlebt.
Angela Merkel hat sich einmal fast mit ihren Deutschen auseinandergelebt, als sie meinte, wenn sich dies oder jenes ändere bzw. nicht ändere, dann sei das nicht mehr ihr Land.
Ein Freund erzählte mit neulich unter den Mantel der Verschwiegenheit, er habe sich unsterblich in jemanden verliebt. Der Freund ist zwar jünger als ich, aber so viel jünger auch nun wieder nicht, Kinder sind auch da.
Nachdem ich viel mehr über die neue große Liebe erfahren hatte, als ich mir gewünscht hätte – war das auch eine Angeberei? – und er auch meinte, er habe sich wohl auseinandergelebt, fragte ich ihn, ob er blöd geworden sei.
Nun in der Annahme, dass er einen Ratschlag wollte, gab ich ihm wiederwillig einen und meinte, er habe überhaupt nur zwei Handlungsoptionen. Erstens: Er macht, was er meint machen zu müssen und lernt darüber die Klappe zu halten und hofft inständig, dass es alle Beteiligten so halten. Oder er soll halt einmal den Rücken durchdrücken und etwas unverzeihlich Grobes zu seiner Angebeteten sagen, damit diese Sache sich von allein erledigt. Die große Liebe sei dann schnell keine mehr, dann lebt man sich auseinander, bevor man gelernt hat, was es für Mühen macht, sich zusammenzuleben.
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Author:
Alexander Wallasch