Es ist bekanntermaßen eine linksgrün-ideologische Taktik, bestimmte Themen aus der Debatte zu nehmen und die Diskussion darum rigoros zu einem Tabu zu erklären. Das gilt für die Migrationsdebatte ebenso wie für die Frage, wer oder was den unbestrittenen Klimawandel verursacht. Und es gilt auch für die Ukrainefrage. Wer gegen Waffenlieferungen ist, ist automatisch ein Russlandversteher.
Gibt es eine moralische Fallhöhe, die bestimmte Debatten ausschließt? Die Bundesrepublik kennt solche roten Linien, wenn der Verdacht der Volksverhetzung besteht. In jüngerer Zeit hinzugekommen ist etwa eine verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates, die weitere Debattenräume schließen will.
Soll man generell über alles reden dürfen? Ist alles erlaubt, was nicht unmittelbar zu einer Straftat auffordert oder diese gutheißt? Angela Merkel hatte 2015 einen millionenfachen Rechtsbruch und eine „Herrschaft des Unrechts“ mit einem „humanitären Imperativ“ zumindest moralisch legitimieren wollen.
Das implizierte dann automatisch, dass, wer gegen die Aufnahme von Millionen illegalen Zuwanderern ist oder diesen Bestrebungen kritisch gegenübersteht, sich grundsätzlich verdächtig macht, inhuman zu sein und unmenschliche Forderungen zu stellen.
Daran musste ich denken, als ich heute eine Umfrage via X startete, die erwartbar auch die eigene Follower-Blase in Zwiespalt bringt. Bisher haben weit über 700 X-User abgestimmt. Das Ergebnis hat mich in seiner Klarheit überrascht. Und, das gebe ich zu, auch etwas schockiert.
200.000 wehrfähige Ukrainer sollen …
– sofort an die Front
– hier gut geschützt sein
– nur Arbeitsfaule an die Front
Schockiert war ich darüber, dass gerade einmal ein Drittel (34 Prozent) der Teilnehmer der Auffassung sind, dass diese jungen männlichen und wehrfähigen Ukrainer „hier gut geschützt sein“ sollen.
40 Prozent der Teilnehmer stimmten zu, diese 200.000 wehrfähigen Ukrainer sofort an die ukrainisch-russische Front auszuliefern. Die verbleibenden 26 Prozent wollen das Bleiberecht mit einem Zwang zur Arbeit verbinden. Wer nicht arbeiten will, kommt an die Front.
Jetzt frage ich meine Leser: Wie ist so etwas möglich? Kann man heute Debatten darüber führen, ob wir Menschen in den sicheren bzw. maximal wahrscheinlichen Tod schicken dürfen?
Sicherlich abhängig davon, ob es sich dabei um besonders schwer umkämpfte Frontabschnitte handelt, gibt es erschütternde Berichte, die von nur wenigen Stunden Überlebenschance berichten. Ein ehemaliger US-Marine, der an der Seite der ukrainischen Streitkräfte in der Ostukraine kämpfte, berichtete, dass die durchschnittliche Lebenserwartung eines Frontsoldaten dort nur vier Stunden betrage.
Aber selbst, wenn es an einem anderen Frontabschnitt ein paar Tage, vielleicht wenige Wochen sind, macht es in der Grundeinschätzung keinen Unterschied und mündet in besonders banalen Sätzen: Kriege töten. Krieg ist tödlich!
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Deshalb nochmal gefragt: Was geht in zwei Drittel der Teilnehmer meiner Umfrage vor, die 200.000 wehrfähige Ukrainer in diesen sicheren Tod schicken wollen bzw. zynisch anbieten: Arbeite oder stirb!
Manch einer ist sich nicht einmal zu schade, darüber eine Neiddebatte anzustoßen: Diese jungen Männer fahren doch dicke SUV-Autos, lese sich. Und das klingt dann so, als hätte das eine Relevanz in der Frage, ob man sich vor dem Heldentod in Sicherheit bringen darf oder nicht: Die Armen ins Töpfchen, die Reichen in den Schützengraben – peng, peng.
Finden Sie, dass ich moralisiere? Kann man die Sorge um 200.000 Menschenleben moralisierend nennen?
Ein Nutzer schlägt vor: „Kein Bürgergeld mehr bekommen“. Offenbar will er die betroffenen jungen Männer nicht an die Front schicken, aber sie sollen sehen, wie sie sich hier durchschlagen. Aber ist tatsächlich für jeden eine Arbeitsstelle verfügbar? Was sollen diejenigen ohne Arbeit machen? Am Flaschencontainer froh sein, dass sie nicht an die Front zum Verrecken müssen?
Wie schafft man das? Ein User erklärt – offenbar in Abwesenheit irgendwelcher menschlichen Regungen: „Front verweigern, aber uns nicht auf der Tasche liegen und hier auf dicke Hose machen.“ Oder mit anderen Worten: Die deutschen Lebensretter verlangen maximale Demutsgesten.
Einer Userin ist es „völlig Latte“, was die machen. Sie will nur, dass unsere Regierung endlich damit aufhört, „denen deutsches Steuergeld hinterher zu schmeißen.“
Eine andere Userin ist entsetzt: „Mein Gott, 40 Prozent wollen Menschen in den Krieg schicken? Unfassbar!“
Man schafft es kaum, die Kommentare von Usern zu lesen, die ohne mit der Wimper zu zucken, sofort 200.000 jungen ukrainischen Männer in den sicheren Tod schicken wollen. Wie soll das passieren? Mit Güterwaggons? Gefesselt, damit sie unterwegs nicht entwischen? Oder mit dem Wissen, dass ihren Frauen und Kindern etwas zustößt, sollten sie sich dem sicheren Verrecken entziehen?
Ich gebe zu, dass ich an der Stelle an meine Grenze gestoßen bin, was die Akzeptanz dieser Debatte angeht. Der die Waffen liefernde Westen nimmt für sich in Anspruch, die Ukrainer zu unterstützen, die gegen Russland unsere westlichen Werte verteidigen. Aber wie ist es mit unseren Werten vereinbar, 200.000 Menschen in die Vernichtungsgräben zu deportieren?
Zwei Drittel der Teilnehmer meiner Umfrage finden offenbar nichts dabei. Bei eintausend Teilnehmern sind das 666 Personen. Was wäre, wenn ich mit diesen Leuten beim Kartoffelsalat und beim Bier über Deportationen an die Ostfront diskutiere? Ich verbiete mir gerade, darüber weiter nachzudenken.
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Author:
Alexander Wallasch