Regie führte der für seine intensiven Recherchen bekannte Regisseur Andres Veiel – er soll ein echter Maulwurf sein, der sich tief eingräbt. Etwa die Times wird später von einem „meisterhaften Dokumentarfilm“ schreiben.
Was beim Zuschauer nach knapp zwei Stunden hängen bleibt, ist eine große Irritation über die Nachkriegsdeutschen und „ihre“ Leni Riefenstahl. Nach Filmen wie „Triumph des Willens“ und „Olympia“ hätte es doch eigentlich ausgeschlossen sein müssen, dass die Macherin hinter diesen Propagandafilmen für das Dritte Reich jemals wieder eine öffentliche Rolle oder gar Anerkennung genießen kann.
Man muss nicht darüber streiten, ob die 1902 geborene Riefenstahl ein Nachkriegsleben in Wohlstand verdient hat oder nicht. Aber was – jedenfalls aus heutiger Sicht – ausgeschlossen hätte sein müssen, war die Huldigung und Heldenverehrung gegenüber einer Frau aus der direkten Entourage des Führers und größten Brandstifters des 20. Jahrhunderts – die Blutspur zog sich durch ganz Europa, die industrielle Vernichtung der Juden war ein beispielloser Völkermord.
Von Talkshow-Auftritten, einer Bestseller-Autobiografie über Rammsteins Riefenstahl-Ästhetik bis hin zu einer persönlichen Geburtstagsparty der Betagten mit Siegfried und Roy ist diese totalitäre Kulisse des Nationalsozialismus in ihrer ersten Souffleuse als eine Art Zombie-Grusel immer weiter am Leben erhalten worden.
Möglicherweise wurde ja dieses Ringen mit persönlicher Schuld deshalb zu einem öffentlichen Ereignis mit zahlreichen Fernsehauftritten, weil Leni Riefenstahl hier stellvertretend für viele kleinere deutsche Täter eine Art Rehabilitationslegende vorlebte.
Unerträglich wird dieser Film dort, wo aus dem Nachlass Gespräche mit Hitlers Architekten und späterem Rüstungsminister Albert Speer veröffentlicht werden, und die beiden, die sich wohl mal seelenverwandte Künstler verstanden hatten, im vertrauten Gespräch über die beste Vermarktung ihrer Biografien palavern. Riefenstahl bekommt angeblich tausende D-Mark für TV-Auftritte, Speer gibt sich bescheidener und spricht von ein paar hundert Mark.
Dazu passt eine Szene, die der jüdische Überlebende und spätere Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki in seinem bewegenden Buch „Mein Leben“ schilderte. Da wurde der Kritiker zur Buchpremiere von „Hitler. Eine Biographie“ von Joachim Fest eingeladen und traf dort unerwartet auf Albert Speer, den Intimus von Adolf Hitler, den sich Verlag und Autor hier als Überlebenden des Regimes platziert hatten.
Diese tief gespenstische Szene mag stellvertretend sein für eine Gesellschaft, die sich eingerichtet hatte in dem Satz „Ach, hör doch auf mit den alten Geschichten“ und die jeden Strohhalm nutzte, der NS-Zeit und dieser kollektiven Massenpsychose noch irgendetwas Positives abzugewinnen. Der Hype um Riefenstahl war die Verlängerung der Aussage: Aber er hat doch die Autobahnen gebaut!
Die kontinuierliche wie beharrliche Propaganda in eigener Sache zählt zweifellos zu den größten Leistungen dieser Massenmanipulatorin, gipfelnd in „Expeditionen“ zu schlanken nackten Afrikanern als Inszenierung einer modernen – schon schwer in die Jahre gekommenen – Jane Porter aus „Tarzan“.
Jede Szene die unfreiwillige Suggestion eines Kolonialpornos. Leni Riefenstahl als weibliche Siegfried & Roy – nur anstelle der Raubkatzen ist Riefenstahl die Dompteuse der Wilden. Sie sagt es in einem Interview selbst: Die muskulösen Krieger vom Stamm der Nuba wären ihr wie Raubkatzen vorgekommen. In der Wolle gefärbter Rassismus.
Die Rolle der Riefenstahl im Hitlerdeutschland war eine überragende. Ihrer Propagandaarbeit ist es zu verdanken, dass Hitler vor der Welt in aller Seelenruhe seine kommende totale Erschütterung eben dieser Welt vorbereiten konnte. Sie schuf die gewaltigen Bilder, die ursächlich waren für eine Massenpsychose einer Mehrheit der Deutschen bis tief hinein in die Vernichtung von Millionen.
Den groben Charakteren der Nazi-Schergen auf den deutschen Straßen setzte Riefenstahl einen Übermenschen im Triumph des Willens entgegen und schuf so erst das rassistische Leitbild des Nationalsozialismus für die Leinwand.
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Wahrheit oder Legende? Auf jeden Fall vorstellbar, wenn Riefenstahl unter anderem erzählt, sie sei von Propagandaminister Goebbels in dessen Wohnzimmer sexuell überfallen worden. Aber da schwante wohl selbst der Filmpropagandistin, dass das für eine Opferrolle nicht ausreichen kann. Bis hin zu einer brutalen Entjungferung durch einen Tennisspieler erzählt diese Doku alles. Erzählt Riefenstahl alles.
Beeindruckend auch der Hochmut, die Sturheit und dieses übergroße Maß an Verdrängungsbereitschaft. Schaut man sich die Nachkriegsauftritte dieser Frau an, erscheint es aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, dass dieses trotzige „Und wenn schon“ nicht sofort von jedem Zuschauer als solches entlarvt wurde.
Aus heutiger Sicht – denn damals gab es diese Biografien in vielen unterschiedlichen Skalierungen. Viele Deutsche hatten während des Nationalsozialismus ihre Riefenstahl-Momente, die sie später als Last mit sich herumschleppten. Die Bedeutung der Riefenstahl-Auftritte bestand nun darin, öffentlich zu demonstrieren, dass man sich selbst alles verzeihen kann und den Kopf bloß nicht senken soll. So gingen die Parolen der Nachkriegszeit zwischen Margarinestulle und Heimatfilm: Auferstanden aus Ruinen, es muss ja irgendwie weitergehen, Kopf hoch und durch, es war doch nicht alles schlecht …
Die große Gnade, die dieser Frau widerfahren ist, die das Hitlersche Regime propagandistisch festigte wie keine andere, bestand darin, dass sie unbehelligt und in Wohlstand weiterleben durfte.
Aber damit gab sich Leni Riefenstahl nicht zufrieden. Sie gierte einfach weiter nach der gewohnten Anerkennung und gestattete sich selbst eine vollumfängliche Freisprechung von allen Sünden. Und parallel eröffnete der „Spiegel“ bald Woche für Woche mit einem neuen Titel zum Dritten Reich und der Faszination des Unsagbaren. Die Nachkriegsachse vom Träger des Eisernen Kreuzes zweiter Klasse hinüber zum persönlichen Reichsparteitag der Hitlerfilmerin. Von Rudolf Augstein zu Leni Riefenstahl.
Die Propaganda-Filmerin versucht sich – entlang älteren Filmmaterials aus dem Nachlass – an einer Stelle als eine Art Chronistin ihrer Zeit zu verkaufen. Hier ist die Frau, die sich nicht von ihrem Selbstbild trennen möchte, in maximaler Entfernung zu ihrer tatsächlichen Rolle angekommen:
Leni Riefenstahl war eine Täterin. Sie hat den Rassenwahn illustriert und dem Nationalsozialismus seine Lichtdom-Kirche gebaut. Ohne Riefenstahl hätte es diese religiöse Verehrung des Grauens in dieser Dimension kaum gegeben.
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Author:
Alexander Wallasch