Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Wäre die Geschichte erfunden, müsste man sie wohl als Burleske bezeichnen und nicht einmal als eine besonders gute. Ich würde sie auch nicht noch einmal aufgreifen, hätte ich nicht Grund zu der Annahme, dass Gloria von Thurn und Taxis meine Entschuldigung verdient hat.
Die ursprüngliche Geschichte der Ausladung von Alice Weidel anlässlich eines Konzerts von Vicky Leandros bei den Regensburger Schlossfestspielen muss ich nicht noch einmal erzählen, man kann sie in einem früheren Beitrag nachlesen. Von meinen Bemerkungen zu den Denkmethoden der Sängerin habe ich nichts zurückzunehmen. Doch ich hatte auch geschrieben: „Die Fürstin kuschte, die Einladung an Weidel zog sie zurück“, womit ich mich auf die Bild-Zeitung verlassen hatte, bei der man lesen konnte: „Die Unternehmerin zog die Einladung daraufhin zurück, die Politikerin wird doch nicht im Publikum sitzen.“
Doch anscheinend war es nicht ganz so. Ich darf zunächst darüber berichten, wie sich Teile der Presse zu der Affäre geäußert haben. Weidels Sprecher, so liest man bei der „Welt“, teilte mit, sie sei nicht explizit ausgeladen worden, sondern habe sich entschieden, nicht hinzugehen. Die Fürstin hingegen ließ verlauten, die Polizei habe die Sicherheit auf dem Gelände nicht garantieren können, weshalb Weidel entschieden habe, die Show und das Festspiel-Restaurant nicht zu besuchen, „um den Gästen den Abend nicht zu verderben.“ Dem hat zwar die örtliche Polizei nicht zugestimmt, die Demonstration von etwa 900 Menschen gegen Weidels Besuch sei friedlich gewesen, aber das ist kaum überzeugend, denn niemand kann wissen, wie 900 ideologisch Gefestigte reagiert hätten, wenn sie tatsächlich auf das Objekt ihres Hasses getroffen wären.
Und nun das! Sie war ja doch da! Im Nachgang hat die Bild-Zeitung „exklusive Fotos“ veröffentlicht, „die belegen, dass Alice Weidel am Montagabend, dem Abend des Konzerts von Vicky Leandros, ausgerechnet Stuhl an Stuhl mit der Gastgeberin Gloria sitzt! Auf einem Foto, das BILD exklusiv zeigt, kippt die AfD-Partei-Vorsitzende gemütlich einen Sekt herunter. Fürstin Gloria sitzt neben ihr, unterhält sich locker mit den Gästen.“ Der Artikel versteckt sich hinter einer Bezahlschranke, ist aber bereits archiviert, was die Zugänglichkeit etwas vereinfacht. Glaubt man der neuen Variante, so saß Weidel in einem privaten Raum, direkt neben Gloria von Thurn und Taxis in aller Gemütlichkeit Sekt schlürfend. Das zeigen die beiden publizierten Bilder, die mit der Urheberbezeichnung „Foto: privat“ charakterisiert wurden.
Sowohl Bild als auch der Spiegel machen eine große Sache daraus. Bild schreibt: „Weidels Sprecher Daniel Tapp hatte der Deutschen-Presse-Agentur noch gesagt, dass seine Chefin eingeladen worden sei, sich aber entschied, nicht zu kommen.“ Das hat er wohl nicht, sondern allenfalls mitgeteilt, sie werde weder die Show noch das Festspiel-Restaurant besuchen, und auch diese Information beruht auf Pressemitteilungen. Doch so war es auch, sie saß nicht unter dem Publikum, sondern in einem privaten Raum, der nicht zum Showbereich gehörte, wie das bei privaten Räumen üblich ist. Der Spiegel dagegen verkündet in bester Relotius-Manier, „dass Weidel dennoch vor Ort war – obwohl sie selbst zuvor anderes versprach.“ Um dann im nächsten Satz festzustellen, was laut Presse wirklich versprochen worden ist: „Zuvor hatte Weidel beteuert, trotz Einladung weder die Show noch das Festspiel-Restaurant zu besuchen.“ Beim Spiegel liest man nicht einmal die eigenen Texte. Am schönsten ist aber die Bild-Schlagzeile: „Während Vicky sang, versteckte sich Alice Weidel im Schloss.“ Ja sicher, sie saß verängstigt im Keller, während sich draußen das vielfältige Leben „unserer Demokratie“ auf der Bühne austobte. Erstaunlicherweise zeigt das so sehr aufgebauschte Foto der Bild-Zeitung, dass nicht nur Weidel und Thurn und Taxis die Privatheit des Verstecks genossen, sondern auch noch mindestens drei andere, zwei Männer und eine Frau, dazu noch zwei Männer vom Personal im Hintergrund. Verstecken sieht anders aus. Im Übrigen ist bei Bild, sofern man die eigene Schlagzeile ernst nahm, wohl niemandem die Frage in den Sinn gekommen, wohin wir schon geraten sind, wenn sich manche Politiker verstecken müssen, weil in den bekannten und berüchtigten Kreisen Toleranz zum unverstandenen Fremdwort geworden ist, von Vernunft ganz zu schweigen.
Thurn und Taxis sah das ähnlich. „Der Wirbel zeigt sehr schön“, so meinte sie, „wie es um die Meinungsfreiheit in unserem Land bestellt ist, dass noch nicht einmal ein Privatbesuch einer demokratisch gewählten, erfolgreichen Politikerin mehr möglich ist.“
Schon auf der Basis dieser Presseberichte, denen man Vertrauen schenken kann oder auch nicht, muss ich also meine Einschätzung zurücknehmen. Nicht über Vicky Leandros, ihre Worte sprechen für sich. Aber über Gloria von Thurn und Taxis, die ich nach derzeitigem Stand der Dinge zu Unrecht des Kuschens beschuldigt hatte. Nein, gekuscht hat sie nicht, sie hat die linken Überzeugungstäter mit Verachtung gestraft und konnte zu ihrem Wort und zu ihrer Einladung stehen. Dem zunehmend totalitär werdenden Klima in Deutschland – ein echter Klimawandel, sogar menschengemacht, den man in linken Kreisen begrüßt statt ihn zu fürchten – hat sie sich auf ihre eigene Weise entgegen gestellt.
Dafür meinen Respekt!
Die Geschichte ist jedoch nicht zu Ende, denn inzwischen hat sich Gloria von Thurn und Taxis selbst zu Wort gemeldet. Bei NIUS Live hat man sie nicht nur interviewt, sondern auch in aller Ausführlichkeit zu Wort kommen lassen, man kann ihren Bericht etwa ab der Minute 32 hören.
Sie hatte ihre Freundin Alice Weidel eingeladen, wovon keiner etwas hätte wissen sollen, weil alle sich darüber im Klaren waren, wie die üblichen Kreise reagieren würden. Als man im kleinen Kreis beim Tee saß, erfuhr man, das Festspiel-Restaurant habe dem Veranstalter geschrieben, man werde die etwa 50 geladenen Gäste nicht bedienen, wenn Frau Weidel dabei sei. Weidel schlug daraufhin in aller Gelassenheit vor, man könne ja im Schloss bleiben, solche Attacken sei sie gewöhnt. Doch in der Zwischenzeit hatte sich Leandros bei der Bild-Zeitung gemeldet. Thurn und Taxis rief sie an, und Leandros beharrte auf ihrem Standpunkt: Sie werde am Abend von der Bühne herunter vorlesen, dass sie nicht einverstanden sei. Die Fürstin stellte die völlige Vergeblichkeit jedes weiteren Gesprächs fest, weil die Sängerin völlig verbohrt war, was ihr aber nicht so sehr viel ausmachte, denn „wir hatten sowieso keinen Bock auf das Konzert.“ Im Schloss hat man sich noch gewundert, weil ein Lied wie „Ich liebe das Leben“ sicher nicht von Linken gehört werde und die Fans von Leandros eher potentielle AfD-Wähler als Linksbewegte seien.
Daraufhin kam eine Email des Veranstalters, der sich ebenfalls in Drohungen erging. Ihre engeren Freunden bat Thurn und Taxis nun, weiteren Freunden zu erklären, sie könnten, sofern sie die Show nicht besuchen wollten, nach dem Essen ins Schloss kommen, wo man den Abend genießen könne. Ein Teil der Angesprochenen kam ins Schloss, viele haben fotografiert, was niemanden störte, und einer der Beteiligten schickte dann das oben angesprochene Foto an die Bild-Zeitung. Man hatte einen schönen Abend unter etwa 25 Leuten und das Konzert hat niemand vermisst. Eine eigene Protestaktion verdient besondere Erwähnung: „Unsere spanischen Freunde haben sogar eins gemacht, die sind rein, haben sich in die erste Reihe gesetzt, und kaum hat sie angefangen zu trällern, sind sie aufgestanden, ostentativ, und rausmarschiert.“
Die Bewertung der Fürstin: „Es ist einfach unsäglich, dass wir heute wie im Mittelalter Menschen vogelfrei stellen. Menschen, die im Grunde genommen unbescholtene Bürger sind, werden durch die Politik und die ihr hörige Presse als rechtsradikal dargestellt, was ja mitnichten stimmt.“ Die Bild-Zeitung und andere Teile der Presse wollen die Leute gegeneinander aufhetzen. Was den Restaurant-Betrieb betrifft, so hatte er der Gastgeberin mitgeteilt, die Polizei könne für die Sicherheit der Gäste nicht garantieren. Die Polizei behauptet nun das Gegenteil. In jedem Fall prozessierten die Demonstranten um den Schlosskomplex herum, krakeelten und warfen Bierflaschen in den Garten, „aber was soll ich Ihnen sagen: Schweinegrunzen dringt nicht bis zum Mond!“
So weit die Darstellung von Gloria von Thurn und Taxis, vorgetragen im Tonfall völliger Gelassenheit und ohne jede Spur jenes Schaums vor dem Mund, der bei den Verfechtern „unserer Demokratie“ so oft zu bemerken ist. Dass sie nicht eingeknickt ist, war schon den nicht allzu vertrauenswürdigen Presseberichten zu entnehmen. Nun steht es endgültig fest.
Und was Vicky Leandros betrifft: „Theo, wir fahrn nach Lodz“ ist der Titel eines ihrer größten Erfolge. Es wäre kein großer Verlust, wenn sie tatsächlich mit welchem Theo auch immer dorthin führe und dann auch bliebe.
Ob man das in der polnischen Stadt Lodz auch so sieht, ist eine andere Frage.
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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
Bild: Screenshot ARD, Youtube, Ekaterina Quehl
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