Stellen Sie sich vor: Sie werden in eine Fernsehsendung eingeladen, rechnen mit harmlosen Fragen – und dann hält Ihnen der Moderator plötzlich private Partyfotos, peinliche Videos oder alte Social-Media-Posts unter die Nase. Nicht ein Hacker-Kollektiv, nicht ein Geheimdienst, sondern das zwangsfinanzierte Gebührenfernsehen – live und in Farbe, mit Studiolicht, Applaus und Ihrer Privatsphäre als Pointe.
So funktioniert „Lass dich überwachen!“, die neue ZDF-Show von Jan Böhmermann. Der gleiche Böhmermann, der jahrelang mit erhobenem Zeigefinger gegen „Überwachung“ wetterte, während er nun selbst den Spähtrupp spielt – nur eben im Glitzeranzug der Unterhaltung. Die Gäste denken, sie sitzen in einer normalen Ausgabe seines „ZDF Magazin Royale“. In Wahrheit ist es eine Falle mit Ansage: persönliche Daten, im Netz zusammengesammelt, werden live präsentiert. Wer hätte es gedacht – das Internet vergisst nichts. Und Böhmermann vergisst offenbar noch schneller, wogegen er gestern mit seiner Pseudomoral gepredigt hat.
Das klingt auf den ersten Blick wie eine harmlose Spielerei. Auf den zweiten ist es ein öffentlicher Pranger – und zwar inszeniert von einem Mann, der sich in der Rolle des großen Aufklärers gefällt, tatsächlich aber vor allem ein selbstverliebter Egoperformer ist. Er verpackt genau die Methoden, die er angeblich bekämpft, in grelles Entertainment. Was als „Satire“ verkauft wird, ist in Wahrheit die pure Freude am Herabsetzen anderer.
Natürlich haben die Gäste zugestimmt, könnte man einwenden. Aber wie frei ist diese Zustimmung wirklich, wenn Kameras laufen, das Publikum lacht – und der Gastgeber Deutschlands bekanntester Medien-Selbstgerechtigkeits-Beauftragter ist? Ein Nein zu sagen erfordert mehr Mut, als die meisten in dieser Situation aufbringen können.
Ironisch ist auch, dass die Sendung genau den Mechanismus bedient, den sie angeblich entlarven will: die Lust am Voyeurismus. Das Publikum schaut gebannt zu, wie Menschen entblößt werden – im sicheren Wissen, dass es diesmal die anderen trifft. Das ist der „Bildungsauftrag“ im Jahr 2025: öffentlich-rechtlich finanzierter Pranger als Prime-Time-Vergnügen. Und das Tragische: Wir haben uns so sehr an diesen Verfall gewöhnt, dass es kaum noch jemanden aufregt.
Das ZDF selbst bewirbt den Pranger so: „Ein unvergesslicher Abend – fürs Showpublikum. In der preisgekrönten Primetime-Show überrascht Jan Böhmermann seine ahnungslosen Studiogäste mit nachgebauten Jugendsünden, inszenierten Online-Fails und jeder Menge digitalem Fremdscham.“ Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: „preisgekrönt“ – für das öffentliche Bloßstellen. „Primetime“ – für Millionen auf der Couch. Und „Fremdscham“ als Unterhaltungsversprechen. Das ist kein Ausrutscher, das ist der neue Normalzustand im gebührenfinanzierten Fernsehen.
In Zeiten, in denen Gesichtserkennung, Bewegungsprofile und Datenhunger real wachsen, wirkt so eine Show wie eine verharmlosende PR für die Lust an der Entblößung. Sie schärft nicht das Bewusstsein für Datenschutz – sie normalisiert den gläsernen Menschen. Der Zuschauer lernt hier nicht, wie man sich schützt, sondern dass es schick ist, wenn die eigenen Schwächen auf einer ZDF-Bühne ausgeschlachtet werden.
Die Moral von der Geschichte: Es braucht gar keinen Staat, keine Konzerne, um die Menschen ihrer Privatsphäre zu berauben. Es reicht ein eitler Selbstdarsteller mit Studiolicht und einem guten Cutter – den Rest erledigen Applaus, Quote und eine Gebühreneinzugszentrale (auch wenn die jetzt nicht mehr so heißt), die das alles zwangsfinanziert. Mit Ihrem Geld.
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