Wie ich zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stehe, daraus habe ich nie einen Hehl gemacht. Meine Einstellung dazu war von Anfang an klar – und sie ist es bis heute. Ich knicke da nicht ein wie manche Kollegen, die sich mit großer Geste gegen Merz und Klingbeil stellen, aber bei Putin – obwohl sie genauso über ihn denken wie ich – plötzlich die Zähne einziehen. Weil sie wissen: Damit macht man sich beim eigenen Publikum unbeliebt. Und verliert Abrufe.
Aber so wenig, wie ich einknicke, will ich Missionar sein. Und ständig zu diesem Thema schreiben, zu dem ich in meinen Augen alles geschrieben habe und mich nur noch wiederholen könnte. Ich sehe meine Aufgabe als Journalist – im Gegensatz zu vielen Kollegen weder darin, zu belehren oder gar zu bekehren, noch darin, meinen Lesern nach dem Mund zu reden.
Anders als die Restles, Reschkes & Co. bin ich nicht so vermessen, mich im Besitz der Wahrheit zu wähnen – und mir bewusst, dass ich mich jederzeit irren kann und dies oft genug getan habe (siehe hier in Sachen Trump). Anders als unsere Systemjournalisten achte und respektiere ich andere Meinungen – selbst dann, wenn ich sie für falsch halte und es mir nicht ganz leicht fällt, sie zu achten. Denn ich finde: Meinungsfreiheit zeigt sich nicht im Umgang mit Gleichgesinnten, sondern mit Widerspruch.
Aber es gibt Momente, in denen ich einfach nicht schweigen kann. Heute ist so einer. Denn der Artikel, den ich heute auf der offiziellen Website der russischen Nachrichtenagentur RIA, entdeckt habe, und der dort am Mittwoch erschienen ist, ließ mir das Blut in den Adern erstarren.
Die Schlagzeile:
„Es gibt keine andere Variante: Kein Einziger darf in der Ukraine am Leben bleiben.“
Darunter ein mit KI erzeugtes Bild des Sensenmanns, der über ukrainischen Panzern schwebt.
Und darunter – kein Satiretext, keine Ironie, kein entlarvender Witz. Sondern ein ideologisches Manifest, das den Satz aus der Überschrift nicht nur wiederholt, sondern mit Argumenten füllt.
In diesem Text ist die Rede von ukrainischen Soldaten als „Labormäusen, die erbarmungslos für Versuche getötet werden“. Es ist von der völligen Aussichtslosigkeit der Ukraine die Rede. Und davon, dass die Zeit der Diskussionen vorbei sei – „Wenn Menschen bereit sind, mit Freude für ihre Herren zu sterben, ist das ihr Problem.“
Das ist kein Ausrutscher.
Das ist keine missverständliche Formulierung.
Das ist ein Aufruf zur vollständigen Auslöschung – veröffentlicht auf einem offiziellen Kanal des russischen Staates.
Und das ist keine Ausnahme. Dieser Vernichtungswille zieht sich wie ein roter Faden durch die russische Kriegspropaganda.
Das Problem ist: Wenn unsere großen Medien – die sonst jeden Tag lügen, was das Zeug hält – über solche Texte berichten, glaubt man ihnen nicht. Was ich bestens verstehe.
Und die Putin-Freunde, die bei vielen „kritischen“ Medien den Ton angeben, würden darüber ohnehin nie schreiben. Oder wenn, dann nur zur Relativierung.
Ich schreibe diesen Artikel nicht, um jemanden zu beschämen. Ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland mit der westlichen Politik hadern. Dass sie den Medien nicht trauen. Der Rüstungsindustrie skeptisch gegenüberstehen. Den Einfluss der USA kritisch sehen. Dass sie nicht in den Chor der Moralisierenden einstimmen wollen – und deshalb anfällig sind für eine Gegenerzählung.
Und ganz ehrlich: Hätte ich nicht 16 Jahre in Russland gelebt, hätte ich nicht das kriminelle Putin-Regime mitsamt seiner Spitze persönlich kennengelernt – ich würde womöglich genauso denken.
Auch ich hätte mich kaufen lassen können. Das Angebot war da. Schmackhaft, von ganz oben, ebenso diskret wie deutlich.
Aber ich lasse mich nicht kaufen.
Weder von den einen, noch von den anderen.
Und ich biege mich auch nicht der Beliebtheit oder den Abrufzahlen zuliebe.
Meine tiefe Überzeugung ist: Die „Gegenerzählung“, die uns viele „alternative“ Medien präsentieren, ist genauso Lüge wie das, was die großen Medien verbreiten – nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Ich spiele dieses Spiel nicht mit.
Weder auf der einen, noch auf der anderen Seite.
Ich wurde zum Kritiker der Bundesregierung, weil ich mir früh sagte:
Ich kann nicht Putin kritisieren und bei Merkel wegsehen.
Heute sage ich mir analog:
Ich kann nicht Merz kritisieren und bei Putin wegsehen.
Ein guter Journalist hat jede Regierung zu kritisieren. Punkt.
Und er muss darauf hoffen, dass seine Leser sich nicht ins Bockshorn jagen lassen – dass Kritik an einer Regierung eben nicht Kritik an einem Land oder gar Hass auf dessen Bevölkerung ist.
Wer Deutschland liebt, muss Scholz, Merz und Merkel kritisieren.
Wer Russland liebt, muss Putin kritisieren.
Und wer seinen Beruf als Journalist ernst nimmt, kann kein Regime in Schutz nehmen, das öffentlich – in seinen eigenen Staatsmedien – zur Vernichtung eines ganzen Landes und seiner Bevölkerung aufruft.
Wenn ich zu so etwas schweigen würde, könnte ich mir selbst nicht mehr in die Augen schauen.
Und das ist der einzige Maßstab, der für mich zählt.
Wenn Sie eine andere Meinung haben, respektiere ich das.
Und ich hoffe, dass Sie genauso meine respektieren.
PS: Ich weiß: Dieser Text wird für manche eingefleischte Putin-Unterstützer wie ein rotes Tuch wirken – vor allem bei denen, die sonst so gern von Wahrheit und Aufklärung sprechen, aber bei Mordaufrufen plötzlich ganz still werden.
Aber ich vertraue auf Sie, liebe Leser – und auf Ihre Urteilskraft. Wegen der sind Sie schließlich hier. Und Sie wissen selbst: Je lauter es wird, desto öfter fehlen die Argumente. Oder, um es mit meinem großen Vorbild Karl Kraus zu sagen: „Was trifft, trifft zu.“
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