Belgien ändert seinen Kurs. Während das Land seit über 20 Jahren den Atomausstieg plante, vollzieht die neue Regierungskoalition eine Kehrtwende und setzt auf eine Laufzeitverlängerung von mindestens zwei Reaktoren und die Förderung neuer Anlagen (bfmtv: 04.02.25).
Ein Beitrag von Blackout-News
Abkehr vom Atomausstieg
2003 beschloss Belgien, schrittweise aus der Kernenergie auszusteigen – ähnlich wie Deutschland. Doch die neue Regierung, eine breite Koalition mit dem Namen „Arizona“, nimmt Abstand von diesem Vorhaben. Parteien wie der Mouvement Réformateur (MR), die flämischen Nationalisten der N-VA, die Zentrumspartei Les Engagés, die Christdemokraten des CD&V sowie die sozialdemokratische Partei Vooruit unterstützen die Laufzeitverlängerung sicherheitskonformer Reaktoren.
Laut Koalitionsvertrag bleiben Doel 4 und Tihange 3 zehn Jahre länger am Netz. Bereits die Vorgängerregierung „Vivaldi“ hatte sich mit Engie auf eine Verlängerung bis 2035 geeinigt. Der französische Energiekonzern zeigt sich jedoch skeptisch gegenüber einer Laufzeit bis 2045:
„Die Produktion von Strom aus Kernenergie gehört nicht mehr zu unseren strategischen Prioritäten“, erklärt Vincent Verbeke, Leiter von Engie Belgien. Stattdessen liege der Fokus auf erneuerbaren Energien und Netzflexibilität.
Trotzdem könnten weitere Reaktoren länger betrieben werden. Engie Electrabel plant, die drei ältesten Anlagen (Doel 1, Doel 2 und Tihange 1) noch in diesem Jahr abzuschalten. Die Koalition hat angekündigt, mit den Betreibern über alternative Lösungen zu sprechen. Auch die belgische EDF-Tochter Luminus, die 10 % an Doel 4 und Tihange 3 hält, sowie EDF Belgium mit 50 % an Tihange 1 sollen in diese Gespräche einbezogen werden.
Kehrtwende in Belgien – Bau neuer Reaktoren geplant
Die Regierung will nicht nur bestehende Kraftwerke länger nutzen, sondern auch neue Reaktoren errichten. Ziel ist es, den Anteil der Kernenergie auf 4 Gigawatt zu erhöhen. Um den Bau zu beschleunigen, sollen Hindernisse beseitigt werden – unter anderem durch die Abschaffung des Atomausstiegsgesetzes von 2003.
Zudem unterstützt die Koalition die Gründung eines internationalen Konsortiums für die Entwicklung eines kleinen modularen Reaktors (SMR) der vierten Generation in Belgien. Diese Technologie wird von mehreren Ländern, darunter Frankreich, China und die USA, für industrielle Anwendungen und Wärmeerzeugung getestet. Einige SMR-Modelle basieren auf bestehenden Druckwasserreaktoren, viele befinden sich jedoch noch in der Entwicklungsphase.
Frankreich als zentraler Stromlieferant
Belgien bezieht zunehmend Strom aus Frankreich. 2024 stiegen die französischen Exporte in alle Nachbarländer, darunter Deutschland, Italien, Großbritannien, die Schweiz und Spanien. Laut dem Netzbetreiber RTE exportierte Frankreich allein nach Belgien und Deutschland 27,2 Terawattstunden Strom.
Seit dem Ukraine-Krieg leidet Europa unter hohen Energiekosten, da günstiges russisches Gas fehlt. Die EU muss ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern, um die Industrie zu schützen.
„Wir müssen unsere Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen und in einigen Ländern aus Kernkraft weiter ausbauen“, betonte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Januar in Davos. Damit rückte sie erstmals die Rolle der Atomkraft in den Fokus – ein Thema, das lange in Brüssel umstritten war.
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Author: Bettina Sauer
Journalistenwatch