Es gibt Sätze, bei denen man zweimal hinschauen muss. „Gespräche ohne Verfahrensbezug“ zum Beispiel. So erklärt das Bundesverfassungsgericht zwei Telefonate seines Präsidenten Stephan Harbarth mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Jahr 2024. Kein Kommentar zum Inhalt, keine nähere Auskunft – dafür das beruhigende Versprechen: Alles ganz harmlos.
Das Problem: Es ist nicht das erste Mal. Und es bleibt nicht bei zwei Telefonaten. Laut einer Auswertung der „Welt“ trafen sich Vertreter des Gerichts und der Bundesregierung im vergangenen Jahr bei 22 sogenannten dienstlichen Anlässen – von Staatsbanketten über Jubiläen bis hin zu Symposien im Luxushotel „Schloss Elmau“. Hinzu kamen fünf juristische Veranstaltungen, mindestens 14 nicht-verfahrensbezogene Schreiben, mehrere Glückwunschkarten und vier weitere Telefonate – diesmal mit dem damaligen Justizminister Marco Buschmann (FDP). Thema: Die „Resilienz der Verfassungsgerichtsbarkeit“. Was auch immer das konkret bedeuten soll.
Und man fragt sich: Warum braucht ein Gericht, das für Unabhängigkeit steht, so viel Austausch mit der Politik?
Der Eindruck: Zwischen Kanzleramt und Karlsruhe ist eine Nähe gewachsen, die mit dem Idealbild der Gewaltenteilung nur noch wenig zu tun hat. Harbarth schickt Geburtstagsgrüße an FDP-Politiker, gratuliert Ministern zur Ernennung, plaudert über Bürokratie mit Staatssekretären – und nennt das Ganze „nicht verfahrensbezogen“. Ein Begriff, der weniger beschreibt als kaschiert.
Natürlich: Nicht jeder Austausch ist ein Skandal. Es spricht nichts gegen einen Empfang oder ein juristisches Fachgespräch. Doch wenn aus gelegentlichen Treffen ein Muster wird – aus Gesprächen eine Kultur der Vertrautheit – dann stellt sich eine grundsätzliche Frage: Wer kontrolliert hier eigentlich wen?
2021 und 2023 hatte es bereits Kritik an gemeinsamen Abendessen von Regierung und Verfassungsgericht gegeben sowie an der großzügiger Bereitstellung von Regierungsflugzeugen für die Richter – ausgerechnet zu Zeiten, in denen Karlsruhe über Corona-Maßnahmen und Klimagesetze urteilte. Damals wie heute heißt es: alles im Rahmen, alles transparent. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache: Einladungen, Absagen, Telefonate, strategische Gespräche über Gesetzesänderungen – in Summe ergibt sich ein Bild von institutioneller Nähe, das mehr mit politischer Koordination zu tun hat als mit neutraler Kontrolle.
Befürworter verteidigen den Austausch: Er sei nötig, damit die Regierung Entscheidungen des Gerichts akzeptiere. Doch genau das ist der Kern des Problems: Wenn Akzeptanz nur durch Nähe entsteht, ist es dann noch Respekt – oder längst Abhängigkeit?
Wie bitte? Sind wir in Honduras? Im Wilden Westen? Seit wann ist Gesetzestreue kein Automatismus mehr, sondern ein Bonus, den man sich mit Glückwunschkarten und Luxushotels erkaufen muss? Wenn Urteile nur dann Wirkung entfalten, wenn der Kanzler vorher mit dem Richter telefoniert hat – was sagt das über unseren Rechtsstaat?
Die Öffentlichkeit erfährt nur Bruchstücke. Und während Harbarth mit dem Kanzler telefoniert, „ohne Verfahrensbezug“, darf der Bürger sich fragen, wie weit der Rechtsstaat reicht – wenn seine obersten Wächter selbst so viele Türen schließen.
Vielleicht braucht es keine Skandale mehr, keine Enthüllungen, keine Affären. Vielleicht reicht schon das Gefühl, dass die letzte Instanz der Demokratie sich zu wohlfühlt im Kreis derer, die sie eigentlich begrenzen sollte. Und dass es niemand mehr genau wissen will, worüber gesprochen wurde.
Wenn Richter lieber mitspielen als pfeifen, endet die Gewaltenteilung nicht mit einem Eklat – sondern mit einem Glas Sekt in der Halbzeit.
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