Aber sie ist es vor allem auch deshalb, weil ich die versammelten bedröppelten Gesichter der Etablierten so bisher noch nicht gesehen habe. Der Verdienst von Vance war es, dass endlich jemand von internationalem Rang und Einfluss an einer herausragenden Stelle in Deutschland etwas gesagt hat, was die neuen Medien und etwa Politiker der AfD schon sehr lange so sagen und dafür zu „Nazis“ abgestempelt wurden.
Aber nicht nur mit mir sind die Pferde ein stückweit durchgegangen, weitere Journalisten haben aus der Rede von Vance eine Heiligenverehrung gemacht, die heute einen Tag nach dem Auftritt von Vance durchaus geeignet sein kann, eine Katerstimmung zu erzeugen wie nach einem besonders feuchtfröhlichem Gelage.
Eine Kollegin vergleicht den Auftritt von Vance mit der Befreiung Deutschlands von 1945 durch die Alliierten. Richard von Weizäcker berühmte Rede von 1985 wird zitiert. Aber da ist die Verklärung schon passiert. Denn für Millionen Deutsche war das damals alles andere als eine Befreiung: Hunderttausende Zivilisten waren von einem jahrelangen Bombenterror hingerichtet worden, für hunderttausende Frauen begann die Befreiung mit tagelangen Gruppenvergewaltigungen und die Vertreibungen der Deutschen aus den Ostgebieten kostete weiteren Hunderttausenden das Leben und Millionen unwiederbringlich die angestammte Heimat.
Von all dem nichts wissend schreibt die junge Kollegin, in der Gestalt von JD Vance versuchten die Amerikaner heute, die „Deutschen (erneut) zu befreien“. Der US-Vizepräsident J. D. Vance habe im Saal „den Geist einer neuen Freiheit“ beschworen.
Das hat er tatsächlich in weiten Teilen. Aber es war nichts darüber zu hören, welche Rolle die USA in der Ukraine gespielt haben und noch spielen, Als Vance auf dieses Thema zu sprechen kam und welche schmutzigen Deals sein Präsident aktuell mit Selenskyj um Rohstoffe des Landes und hier insbesondere um die begehrten seltenen Erden einfädelt im Tausch gegen weitere Aufrüstung der Ukraine. Seltene Erden für die E-Mobile von Elon Musk?
Amerika ist tatsächlich alles andere als ein heiliger Gral als Garant der Meinungsfreiheit und Demokratie. Und an einer Stelle sagt es Vance auch, wenn er selbstkritisch mit seinem Amerika wird, dass unzweifelhaft Keimzelle dieser ganzen Verwerfungen und eines Wokismus made in USA ist:
„Und in Sachen Höflichkeit – und auch der Wahrheit halber – gebe ich zu, dass die lautesten Rufe nach Zensur manchmal nicht aus Europa, sondern aus meinem eigenen Land gekommen sind.“
Aber da war dieser charismatische Politiker noch nicht im Zentrum seiner selbst angekommen. Der zum Katholizismus konvertierte 40-Jährige teilt das Schicksal vieler Konvertiten, er lebt seinen Glauben besonders intensiv. So wurde die Rede von Vance über weite Strecken auch zu einem eindringlichen Gebet. Schwer religiös und bedingungslos amerikanisch.
Schon die Amtseinführung von Trump wurde zum Gottesdienst und damit für viele Europäer zu einem fremdartig überhöhten Akt voller Kreuzpathos und fernab jeder Nüchternheit. Trump selbst brachte dabei die Vorsehung ins Spiel, als er davon berichtete, wie er ein Attentat überlebt habe. Aber auch JD Vance weiß, dass man mit Pathos allein nicht durchregieren kann.
Religiös bis zum Anschlag: Der Vize-Präsident der USA beendete seine Münchner Rede mit einem Verweis auf den polnischen Papst, den Vance einen der „außergewöhnlichsten Verfechter der Demokratie auf diesem oder jedem anderen Kontinent“ nennt. Der amtierende Papst Franziskus hatte sich zu Vance allerdings bereits eindeutig geäußert: Vance vertritt in seinen Augen ein mittelalterliches, katholisches Konzept.
Tatsächlich hatte sich unterhalb der fundamentalen Kritik von Vance an antidemokratischen links-grün-woken Regierungen eine religiös-fundamentalistische Ausrichtung Raum geschaffen, die am Folgetag nachwirkt wie ein Kater.
Nur unglücklich gewählt, oder absichtsvoll gesetzt? Jedenfalls hat JD Vance in seiner Münchner Rede als Beispiel für den Rückgang der Meinungs- und Redefreiheit besonders umfassend den Fall eines Abtreibungsgegners geschildert, der in Großbritannien verurteilt wurde, weil er in den nächsten Umgebung zu einer Abtreibungsklinik demonstriert hatte.
Der Mann heißt Adam Smith-Connor und er soll nur still gebetet haben. Das greift allerdings zu kurz und missachtet die vielen Fälle eines aggressiven Auftretens von Abtreibungsgegnern gegenüber diesen innerlich so zerrissenen Frauen.
JD Vance ignoriert hier die hunderttausenden Opfer seiner Kirche über viele Jahrhunderte hinweg, die als Unverheiratete unter einer rigiden Sexualmoral und dem Verbot der Empfängnisverhütung ihr Leben und das ihres Ungeborenen bei einer Engelmacherin ließen oder in den Suizid getrieben wurden. Die Kriminalgeschichte des Christentums hat auch hier viele besonders düstere Kapitel geschrieben.
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Die Neuen Medien in Deutschland wissen es genau: Um Angriffe gegen die Meinungsfreiheit zu erzählen, muss man auf der Münchner Sicherheitskonferenz nicht zu einer englischen Abtreibungsklinik hin ausweichen. Aber JD Vance hat dieses und weitere Beispiele ganz bewusst gewählt. Hier offenbart sich, dass Meinungsfreiheit für Vance zuallererst die Freiheit ist, sich unbedrängt und an jedem Ort der Welt zu seinem christlichen Glauben zu bekennen. Die Freiheit des offenen Bekenntnisses.
In Deutschland und Europa kennen wir allerdings vor allem die Freiheit, uns nicht zu irgendeinem Glauben bekennen zu müssen. Der Amtseid der Vertreter der Bundesregierung lässt den Amtsinhabern ausdrücklich die Freiheit, auf ein Bekenntnis zum christlichen Gott zu verzichten.
JD Vance ignoriert zudem, dass sich Europa die Meinungsfreiheit unter einem hohen Blutzoll erst gegen die Kirche erkämpfen musste.
Bei aller Begeisterung über die grandiose Standpauke von JD Vance gegen die versammelten Feinde der Meinungsfreiheit:
Der Gründungsmythos der USA ist ein anderer, als jener Europas. Das geistige Erbe der Pilgerväter prägt die USA bis heute. Jetzt könnte man einwenden, Europas Werte sein ebenfalls christlich-jüdische. Aber der europäische Gründungsmythos ist in seinem Kern doch ein anderer: Er findet seinen Widerhall in Gustav Schwabs „Sagen des Klassischen Altertums“.
Wenn der Vice President der USA die Geburtsstätte Europas besuchen will, dann sei ihm eine Reise nach Athen oder gleich ins griechische Epidauros empfohlen hin zu diesem monumentalen antiken Theater mit weitem Blick über die uralten Olivenhaine hinweg auf die Berglandschaft der Argolis im Sonnenuntergang.
Dort kann Vance dann mit seiner Gattin fünf Stunden lang unter freiem Himmel mit zehntausenden Gleichgesinnten aus aller Welt einer Aufführung der Troerinnen auf Altgriechisch lauschen. Die Wiege des Guten liegt in diesem Moment nicht in Bethlehem, sondern ganz tief im Herzen Europas. Irgendwo dort liegt auch dieser mythische unterirdische See, dieses Reservoir der europäischen Seele, dass bisher noch jeden Sturm überstanden hat – auch oder insbesondere den christlichen – der über ihn hinweggebraust ist.
Der Journalist und ehemalige Kulturchef des Spiegels, Matthais Matussek, schrieb heute im Bann der Rede von JD Vance, er habe gerade einen „historischen Epochenschnitt“ erlebt. Und dann schreibt Matussek auf, warum er so verzuckert ist vom kraftvollen Auftritt des Charismatikers JD Vance:
„Er hat mit dem Christentum und seinem Menschenbild, einem Leben in Freiheit, die Gott seinen Geschöpfen zum Geschenk gemacht hat, in Europa die Kulturhoheit zurückerobert. Das ist das Wichtigste überhaupt.“
An der Stelle bringt sich dann unweigerlich die graue Eminenz der Grünen ins Spiel, die Vizebundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt, die Ende 2015 im Angesicht einer millionenfachen illegalen Massenzuwanderung unter dem Jubel einer grünen Delegiertenversammlung ausrief:
„Es wird bunter werden, wie wunderbar ist das, das haben wir uns immer gewünscht. Wahrscheinlich wird es auch religiöser werden, na klar!“
Religiöser? Was bei Matussek der magische Kinderglaube ist, gespeist aus einer eindrucksvollen katholischen Liturgie, wird von der ehemaligen EKD-Oberen Göring-Eckardt zu einem Akt der Selbstaufgabe eines ganzen Volkes pervertiert, eine protestantische Selbstgeißelung.
Aber wo steht hier JD Vance? Der Vice President sagte einmal über seine Großmutter in seinem Buch „Hillbilly Elegy: A Memoir of a Family and Culture in Crisis“:
“Mamaw always had two gods: Jesus Christ and the United States of America. I was no different, and neither was anyone else I knew. I’m”.
(„Mamaw hatte immer zwei Götter: Jesus Christus und die Vereinigten Staaten von Amerika. Ich war nicht anders, und auch sonst niemand, den ich kannte. Ich bin“.)
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Author:
Alexander Wallasch