Von Ekaterina Quehl
In Zeiten des globalen Hitzeschutzes bemüht sich die deutsche Regierung unermüdlich um neue bahnbrechende Maßnahmen, die den Menschen helfen sollen, den kaum noch zumutbaren Sommer mit seinen 19 Grad und Regen zu überstehen. Hitzeschutz- und Hitzeaktionspläne, Hitzeräume und wertvolle Ratschläge zur richtigen Flüssigkeitszufuhr und zur Dichte der Sommerdecke, Warnungen vor „unerwünschten Giften im Gehirn“ und Empfehlungen zum korrekten Lüften sind nur ein Teil des kreativen Maßnahmenpakets, das den Verdacht nahelegt, die „Entscheidungsträger:innen“ würden die Intelligenz der Bürger an ihrer eigenen messen.
„Hitzeschutz ist eine zutiefst solidarische und gemeinschaftliche Aufgabe“ – verkündet uns der Präsident der Ärztekammer, Dr. med. Peter Bobbert, auf Seiten des Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin. Dass es ein solches – selbstverständlich steuerfinanziertes – Bündnis gibt, ist für die Bürger zutiefst beruhigend. Denn den neuesten Erkenntnissen der „Forschenden“ zufolge kann Hitze schon ab einer Mitteltemperatur von 20 Grad zur Gefahr werden. Mehr noch: „Bereits ab einem Mittelwert von 20 Grad können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Anstieg der Sterblichkeit auf die Hitze zurückführen.“
Sollte es tatsächlich mal für ein paar Tage über 30 Grad im Sommer werden, so können sich die Bürger dieses Landes glücklich schätzen, mit millionenschweren Regelwerken und Empfehlungskatalogen gegen die Hitze gewappnet zu sein.
Wirft man jedoch einen Blick auf die Maßnahmen, bei denen man ausnahmsweise eine Wirksamkeit in Erwägung zieht – zum Beispiel Klimaanlagen in öffentlichen Verkehrsmitteln – so fällt das Bild deutlich ernüchternder aus. „Auch neue U-Bahnen fahren ohne Klimaanlage“, erklären der Berliner Senat und die BVG auf eine Anfrage der SPD. Geht man von der oben erwähnten Vermutung aus, die „Entscheidungsträger:innen“ würden die Intelligenz der Bürger an ihrer eigenen messen, erscheinen auch die Gründe dafür plausibel: es sind technische.
„Klimaanlagen benötigten viel Platz und seien meist auf dem Dach oder unter dem Fahrzeug angebracht… Bei den U-Bahnen sei das nicht möglich, da sie in ihrer Größe genau an die Höhe der Tunnel angepasst sind. Zwischen Fahrzeugdach und Tunneldecke verbleiben nur wenige Zentimeter Platz.“ Als weitere Gründe nennen der Senat und die BVG „Überhitzung wegen der Abwärme von Klimaanlagen“.
Man muss kein Fachmann sein, um sich einfühlsam in die Lage des Berliner Senats und der BVG zu versetzen. Immerhin habe man „das Thema mit den Herstellern ohne Ergebnis besprochen“.
Zwar machen die zum Teil über 100 Jahre alten U-Bahntunnel 80 Prozent der Strecken in Berlin aus und es geht lediglich um den Einsatz von 140 neuen Wagen bis zum Jahresende und weiteren 346 im kommenden Jahr. Aber es macht nichts. Denn die neueren U-Bahnen hätten Lüftungssysteme, die die Frischluftzufuhr unterstützen und noch leistungsfähiger und leiser seien als die alten Bahnen es je waren.
Als Laie fragt man sich, wie es Länder wie Italien oder Spanien hinbekommen haben, ihre öffentlichen Verkehrsmittel – inklusive U-Bahn – mit Klimaanlagen auszustatten. Aber gut, in diesen Ländern essen Menschen auch nach 18 Uhr – also schwer vergleichbar. Und es ist möglicherweise auch nicht die Art von Fragen, mit den sich das dafür qualifizierte beziehungsweise verantwortliche Personal in Deutschland beschäftigt. Letztendlich geht es nur um den Einsatz von knapp 500 neuen Wagen in diesem und im kommenden Jahr – und die Ausmusterung aller alten Baureihen bis Anfang der 2030er.
Verzweifeln sollen die Berliner dennoch nicht. Ein Blick ins benachbarte Bundesland zeigt, dass man bei der Berliner U-Bahn nicht automatisch für die Innovationskraft des ganzen Landes sprechen kann. Vielmehr lässt die Kreativität „unserer Forschenden“ hoffen, dass ihnen auch ohne Klimatisierung der U-Bahn eine Lösung gegen 20-Grad-Hitze gelingen wird.
Darauf hoffen lässt ein bahnbrechendes Pilotprojekt „Kühle Spur“ – Deutschlands erster klimaresistenter Radweg, der kürzlich in der Brandenburgischen Lausitz eröffnet wurde. Die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelte 30 Kilometer lange Strecke verfügt über Trinkbrunnen, Schattenspender und Badestellen.
Vielleicht sollte der Berliner Senat Abhilfe aus Brandenburg holen und eine akademische Lösung für die Berliner U-Bahn entwickeln. Zum Beispiel alle Berliner Tunnel einfach ausbohren, dort Bäume einpflanzen und Trinkbrunnen aufstellen. So können die Berliner endlich allesamt auf Fahrräder umsteigen. Wäre das nicht eine bahnbrechende (oder eine tunnelbrechende) Lösung? Sollte es an Fördergeldern fehlen, könnte man doch eine Hitzeschutz-Steuer einzuführen. Denn wir alle – wie bei jeder „zutiefst solidarischen und gemeinschaftlichen Aufgabe“ – sollen auch beim Hitzeschutz brav an einem Strang ziehen.
P. S.: Die im Artikel benutzte Gender-Sprache dient ausschließlich dem Zweck der Satire.
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Sie arbeitet für reitschuster.de.
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