Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Es ist ein Jammer, dass die Menschen nicht wissen, was gut für sie ist, vor allem in Würzburg.
Unter Aufbietung all ihrer Möglichkeiten hat die Stadt Würzburg Anfang Juli „ein Hitze-Telefon eingeführt“, das als „Vorwarnsystem“ dienen soll. Der Grund ist einfach: „Die heißen Tage in Würzburg haben mal wieder gezeigt, dass viele Menschen Hilfe und Abkühlung brauchen.“ Abkühlung brauchen sie sicher, Hilfe vielleicht weniger, weil die meisten Menschen auch von alleine wissen, dass man bei brütender Hitze, wenn sie einmal vorliegen sollte, nicht unbedingt auf Turnübungen im Freien bestehen sollte.
Dennoch muss man sie „warnen und unterstützen“ mit dem Ziel, „dass ältere Menschen über die Herausforderungen aufgeklärt werden. Außerdem sollen sie Tipps für den richtigen Umgang mit der Hitze mit an die Hand bekommen“. Das ist löblich, denn gerade die Älteren unter uns haben noch nie heiße Tage erlebt und stehen diesem völlig neuen Phänomen des Klimawandels hilflos gegenüber. Doch angemeldet muss der Bürger sein, sei es online, mithilfe eines in Arztpraxen und Apotheken herumliegenden Flyers oder auch einer Telefonnummer.
Ist er das nicht, dann ist er verloren, denn direkt anrufen kann er im Falle einer Frage beim Hitzetelefon nicht, nur Angemeldete „werden dann an Wärmetagen zwischen 08:30 Uhr und 10:00 Uhr von Ehrenamtlichen angerufen“. Und im Rahmen eines solchen Anrufs geschieht Erstaunliches: „Im Gespräch sollen sie darüber aufgeklärt werden, dass es warm wird, sie auf sich achten und genug trinken sollen.“ Aber warum denn erst ab 8 Uhr 30? Kann es nicht schon um 8 Uhr warm sein? Werden nicht gerade die Frühaufsteher unter den Älteren mit dem Klimawandel ganz allein gelassen?
Erstaunlicherweise trifft das großartige Angebot auf keine überbordende Gegenliebe. Mehr als ein Monat ist seit der Initiierung vergangen, und man muss zugeben, dass sich noch nicht die Mehrheit der Bevölkerung für die Warnungen des Hitzetelefons anmelden wollte, nicht einmal die Mehrheit der Senioren. „Wie ein Verantwortlicher des Hitze-Telefons auf Anfrage mitgeteilt hat, haben sich bisher nur drei Personen angemeldet.“ Das ist überschaubar. Und woran liegt es? Zum Glück haben die Verantwortlichen die Gründe bereits im Visier: „Zum einen sei die Hürde, sich bei dem Angebot anzumelden, für viele Menschen zu hoch. Und: Sie haben Sorge vor Telefontrickbetrügern und bleiben bei Anrufen skeptisch.“ Das leuchtet ein. Der Würzburger im Allgemeinen und Besonderen ist allem Anschein nach nicht in der Lage, seinen Namen irgendwo einzutragen oder eine bestimmte Telefonnummer anzurufen, um sich registrieren zu lassen. Man fragt sich, wie die Bewohner dieser Stadt wohl sonst durchs Leben kommen und beispielsweise einen Tisch im Restaurant reservieren.
Aber die Trickbetrüger? Die pflegen selbstverständlich im Rahmen ihrer Tätigkeit Senioren anzurufen, um ihnen mitzuteilen, dass es heiß ist. Es ist nicht vollständig einzusehen, wie man im Zusammenhang mit einem Anruf, in dem die Adressaten „darüber aufgeklärt werden, dass es warm wird, sie auf sich achten und genug trinken sollen“, auf das Problem der Trickbetrüger kommt, es sei denn, die Betreiber des Hitzetelefons haben vor, ihre Hitzewarnung mit dem Hinweis zu versehen, man müsse auch die Wertgegenstände vor der Hitze schützen und sie am besten dem vertrauenswürdigen Hitze-Wertsachen-Experten übergeben, der gleich an der Tür klingeln werde.
Die Stadt Würzburg hält ihre Bürger für verblödet. Das kann man nicht ganz von der Hand weisen, denn immerhin hat man in Würzburg im Mai 2025 einen Grünen zum Oberbürgermeister gewählt, und das auch noch mit 65% der abgegebenen Stimmen. Aber so tief ist man auch in Würzburg wohl doch nicht gesunken, dass man nicht bemerkt hätte, wie unsinnig dieses Hitzetelefon ist. Die Leute melden sich nicht an, weil sie es nicht brauchen, und nicht aus irgendwelchen phantasievoll erfundenen Gründen.
Aber die Meinung der Bürger interessiert in Deutschland schon lange keinen mehr.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
Bild: Screenshot Tiktok
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