Manchmal fragt man sich, warum manche Bücher in Deutschland nie richtig ankamen. Bei Ilja Ilf und Jewgeni Petrow ist das besonders bitter: Zwei geniale Satiriker, die in den 1920er- und 30er-Jahren das Sowjetsystem mit einer Mischung aus Lachkrampf und Melancholie porträtierten – und die bei uns bis heute kaum jemand kennt. Dabei gehören ihre Romane „Zwölf Stühle“ und „Das goldene Kalb – die Jagd nach der Million“ für mich ganz persönlich zu den besten Büchern, die ich je gelesen habe. Ich habe sie mehrfach verschlungen, selten so gelacht – und dabei so viel über Macht, Absurdität und menschliche Schwäche gelernt.
Und leider, leider ist jetzt der genau richtige Moment, diese Bücher neu zu entdecken – denn je sozialistischer und sowjetischer unser Alltag wird, desto mehr erkennt man unser Land, viele seiner Akteure und Charakterzüge in den Absurditäten der Bender-Welt wieder. Die Planwirtschaft des Denkens, die bürokratische Phrasendrescherei, die ewige Jagd nach der Sondergenehmigung – all das findet man hierzulande inzwischen täglich, sogar ohne Samowar. Genau deshalb kam mir die Idee für diesen Artikel: Weil ich immer häufiger an Ostap Bender denken muss, wenn ich die Nachrichten aus Berlin lese. Und viele politische Akteure dort betrachte – wie etwa Annalena Baerbock oder Robert Habeck.
Dabei hat Ostap Bender ihnen allen etwas voraus: Stil, Witz – und Selbstironie. Der „große Kombinator“ bewegt sich durch diese Welt wie ein ironischer Seismograf. In einer Szene überzeugt er Beamte, eine angebliche internationale Schachkonferenz zu finanzieren – obwohl es weder ein Turnier noch Spieler gibt. In einer anderen lässt er sich als „Vorsitzender des unterirdischen Übergangskomitees zur Wiederherstellung der Monarchie“ ausgeben – und findet damit sogar Unterstützer.
Solche Grotesken wirken heute nicht mehr wie Satire, sondern wie Protokolle aus Berlin. Man stelle sich Ostap Bender in der Welt der staatsfinanzierten NGOs, der Klima-Stiftungen und Gender-Lehrstühle vor – er würde mit einem Grinsen Förderanträge stellen, Preisgelder kassieren, sich mit Ministerpräsidenten fotografieren lassen und im Namen der Vielfalt neue Einnahmequellen erschließen. Die Realität hätte ihn längst eingeholt – und vielleicht sogar überholt. Ostap Bender wäre wie geschaffen für die formell von der CDU regierte, aber ihrem Wesen nach immer noch zutiefst rot-grüne Hauptstadt und ihre Politik.
Die Parallelen haben aber ihre Grenzen: Ostap Bender ist ein Hochstapler – aber mit Charme, ein Betrüger – aber mit Prinzipien, ein Träumer – aber mit praktischer Intelligenz. Er jagt Reichtum – nicht durch Arbeit, sondern durch Phantasie. Und dabei trifft er auf Beamte, Mitläufer, Ideologen und kleine Leute, die irgendwie in einem System überleben, das niemand so recht versteht. In Russland kennt jedes Kind Ostap Bender. Seine Sprüche sind geflügelte Worte. Etwa: „Die Rettung der Ertrinkenden ist Aufgabe der Ertrinkenden selbst.“ Oder: „Der Westen wird uns helfen.“
“Zwölf Stühle” ist die Ouvertüre, “Das goldene Kalb” die Steigerung: sprachlich pointierter, gesellschaftlich präziser, satirisch noch bissiger. Beide Romane zeigen, wie man ein ganzes System demontieren kann, ohne es direkt zu attackieren. Ilf und Petrow nutzten Witz, Absurdität und groteske Überzeichnung – und entlarvten dabei eine Welt, in der niemand das sagt, was er denkt und alle etwas anderes tun, als sie behaupten.
Erinnert Sie das an etwas?
Die beiden Autoren Ilf und Petrow waren keine Dissidenten, aber auch keine Systemlinge. Sie balancierten gekonnt am Rand der offiziellen Ideologie – und entzogen sich ihr durch literarisches Können. Dass sie nicht verhaftet wurden, lag weniger an Gnade als an Geschick. Ihre Bücher sind kein Protest – aber ein Spiegel. Und was man darin sieht, ist oft erschreckend zeitlos.
Dass diese Werke nun in neuer, vollständiger Übersetzung vorliegen, ist ein Glücksfall. Denn wer Ostap Bender einmal kennengelernt hat, wird ihn nicht mehr vergessen. Und wer Satire liebt, wird selten so gelacht haben – mit einem Kloß im Hals.
Diese Bücher sind mehr als Literatur. Sie sind ein Beweis dafür, dass man in finsteren Zeiten die Wahrheit manchmal am besten durch Gelächter sagen kann. Und dass Erzählungen über einen Hochstapler, wenn sie gut geschrieben sind, mehr über eine Gesellschaft verraten als zehn Leitartikel.
Denn Ostap Bender ist nicht einfach nur eine Figur – er ist ein Prüfstein. Wer ihn versteht, versteht auch, wie Systeme funktionieren, die keiner versteht. Wie sich Macht tarnt, wie sich Dummheit tarnt, wie sich Ideologie in Alltag verwandelt. Bender zeigt, wie man lügt, ohne zu sprechen – und wie man wahr spricht, indem man lügt.
Er ist der elegante Narr in einem Reich der Mittelmäßigkeit. Ein Hochstapler, der die wahren Betrüger entlarvt. Und vielleicht gerade deshalb eine der wahrhaftigsten Figuren der Weltliteratur.
Man kann ihn lieben. Man sollte ihn lesen. Und man wird ihn nicht mehr vergessen.
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