Ein Beitrag von Götz Kubitschek für Sezession
1. In einer Lage, die so desaströs ist wie die Deutschlands, ist es kein Verdienst, jeden fünften Wähler zu gewinnen. Es ist selbst dann kein Verdienst, wenn man die Mobilisierung der Zivilgesellschaft, ihr Gerede von der Brandmauer und die Kriminalisierung der AfD in Rechnung stellt. Jeder fünfte: Das ist das, was schon seit drei Jahren vorhanden ist, eine Mischung also aus Merkeljahren und Ampelversagen, die Folge eines Realitätsschocks, das Ergebnis der naheliegenden Suche nach einer Alternative.
2. Die AfD war nicht in der Lage, eine Strategie zu formulieren und Regierungsfähigkeit auf allen Ebenen zu signalisieren. Welche symbolpolitischen Handlungen am Tag nach der Wahl, welche Schritte in den ersten hundert Tagen? An welchen Stellschrauben kann und wird sofort gedreht werden? Wer wird Innen‑, wer Außen‑, wer Wirtschafts- und wer Finanzminister? Man kann Gegner und Medien mit Kraftsignalen und Expertise beschäftigen. Vor allem aber kann man aus strategischer Klarheit Leitsätze, Bildsprache, Stoßrichtung und Markenkern ableiten: So will man aussehen, so will man wirken.
3. Wenn das, was nun erreicht wurde, schon seit rund drei Jahren vorhanden ist, heißt das: Neues Potential wurde nicht erschlossen. Hart ausgedrückt: Die Partei stagniert in ihrer Entwicklung. Daß die CDU das Programm der AfD kopiert habe, kann als Ausrede nicht herhalten: Wer 20 Prozent hält, darf eine solche Herausforderung nicht nur hilflos beschreiben, sondern muß klassisches CDU-Potential links liegenlassen und dort angreifen und abgraben, wo sich Risse zeigen: überall dort nämlich, wo die Lebenswirklichkeit nicht mehr recht bewältigt werden kann und sich zu Wort meldet. Dazu Bestandspflege und Ausbau: Jungwähler, Selbständige, kleine Leute.
4. Man hat die Jungwähler aus der Hand gegeben, hat ihr sprunghaftes Wahlverhalten nicht zur Voraussetzung einer Kampagne gemacht, ging also davon aus, daß dieses ein Mal gewonnene Feld nicht noch einmal neu erobert werden müsse. Daß die AfD anderthalb Monate vor der Wahl ihre Jugendorganisation auflöste, war in diesem Zusammenhang der entscheidende Fehler. Die JA verknüpfte die Partei mit dem kreativen, experimentellen, mitreißenden Vorfeld in den Sozialen Medien, sie ließ die AfD provokativ, beweglich, zukünftig wirken und nahm ihr das Gesetzte. Sie verkörperte die “Partei anderen Typs”, die “Bewegungspartei”. Von dieser Ausstrahlung war nicht mehr viel zu spüren.
5. Das Verhältnis zwischen den “gebrauchten Bundesländern” (Kneipe) und den “frischen” ist dasselbe wie das zwischen erfolgreichen Landesverbänden und Bund: Man hat nicht viel miteinander zu tun. Die Unterschiede sind gewaltig. Vielleicht haben die Auftritte von Elon Musk und zuletzt die von J. D. Vance das Feuilleton, die politische Klasse und Großstadtblasen irritiert. Der typische AfD-Wähler aus dem Saalekreis und dem Erzgebirge hat sich eher die Frage gestellt, warum die klareren Worte zur sozialen Frage von der Linkspartei kommen.
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Author: Bartolomäus Bootsmann
Journalistenwatch