Von Kai Rebmann
Deutschland hat ein Problem: Für Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger wird ihr Beruf immer öfter zum Spießrutenlauf. Erst vor wenigen Tagen musste reitschuster.de einmal mehr über die zunehmende Gewalt in deutschen Kliniken und Arztpraxen berichten. Daraufhin hat sich ein Leser bei uns gemeldet, der seit Jahrzehnten in der Arbeitssicherheit tätig ist, und darauf hingewiesen, dass die Ursachen noch weitaus tiefer lägen, als in diesem Artikel dargestellt.
Ja, niedrig gebildete Migranten seien eine der Tätergruppen, die bei Gewalt gegen medizinisches Personal eine Rolle spielten – aber eben bei weitem nicht die einzige. Neben diesem Phänomenbereich, der vor allem in den letzten Jahren noch einmal stark angewachsen sei, habe es schon immer physische wie auch verbale Angriffe von Demenz-Kranken, psychiatrischen Patienten, Kindern sowie Patienten gegeben, die unter Alkohol- und Drogeneinfluss standen. Hinzu kommen Angehörige, die ihre Liebsten aus subjektiver Sicht in Ausnahme- oder gar lebensbedrohlichen Situationen wähnen.
Kurzum: Das von Patienten – und teils auch deren Angehörigen – ausgehende Gewaltpotenzial steigt immer dann, wenn diese nicht verstehen, was gerade um sie herum und mit ihnen geschieht. Bei Migranten kommt neben der Sprach- und Verständnisbarriere der oben genannten Personengruppen oft noch eine Kulturbarriere dazu.
Der Sicherheitsingenieur veranschaulicht dies an einem konkreten Beispiel: „Der Vater eines kleinen Patienten mit Migrationshintergrund hat mit dem Notrufknopf nach einer Krankenschwester geklingelt und diese dann aufgefordert, ihm Tee zu bringen. Die hat dann versucht, ihm begreiflich zu machen, dass die Klingel nur für medizinische Notfälle gedacht ist und ihm gesagt, wo er die Teeküche findet. Daraufhin hat der Vater die Schwester unvermittelt bewusstlos geschlagen.“
Berufsgenossenschaft schlägt Alarm
Fakt ist: Im Zeitraum von 2019 bis 2022 hat die Zahl sogenannter „Rohheitsdelikte“ in medizinischen Einrichtungen um rund 20 Prozent auf insgesamt 6.894 Angriffe zugenommen, rechnerisch also 19 pro Tag. Diese Zahlen stammen aus einer „Spiegel“-Umfrage bei den 16 Landeskriminalämtern und decken sich mit den Angaben der zuständigen Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege. Die BGW registriert rund 5.300 Übergriffe pro Jahr, die eine anschließende Fehlzeit der Opfer von mehr als drei Tagen zur Folge haben – Tendenz stark steigend!
Besonders häufig kommt es demnach in Notaufnahmen, Psychiatrien und Seniorenheimen zu Angriffen auf medizinisches Personal. Der Insider sieht seit etwa 10 Jahren dennoch ein etwas differenzierteres Bild. Während berufstypische Verletzungen durch Stiche und Schnitte – etwa beim Nähen einer Wunde, Blutabnahme oder Verabreichen einer Injektion – abgenommen hätten, sei im selben Zeitraum eine deutliche Zunahme von berufsuntypischen Verletzungen durch Schläge, Hiebe, Bisse und Tritte zu beobachten.
„Die Zündschnur der Leute ist viel kürzer geworden“, fasst der Leser die Eindrücke aus seiner täglichen Arbeit zusammen. Das gelte mal mehr, mal weniger über alle Bevölkerungsgruppen hinweg und habe viele Ursachen. Als Hauptgrund nennt der Sicherheitsingenieur den gravierenden Mangel an Fachärzten in Deutschland. Das wiederum führe dazu, dass die Notaufnahmen seit Jahren hoffnungslos überlaufen seien – nicht selten auch durch Patienten mit vergleichsweise marginalen Beschwerden – und es dort mitunter zu stundenlangen Wartezeiten komme: „Und dann gibt es eben die Patienten oder Angehörigen, die nicht verstehen können oder wollen, dass ein Schlaganfall schneller behandelt werden muss als jemand mit Hautausschlag, auch wenn derjenige vielleicht schon länger wartet als der andere.“
Neben der richtigen Kommunikation komme es aber auch auf die Frage an: „Wie lasse ich die Leute warten?“ Oftmals seien es kleine Dinge, die da schon wahre Wunder bewirken könnten, argumentiert der Leser und nennt Wasserspender und Snackautomaten, bequeme Sitzgelegenheiten, eine Spielecke für Kinder oder Informationsmaterial als konkrete Beispiele.
Deeskalationsmanagement und Selbstverteidigungskurse
In letzter Konsequenz komme es aber auf das richtige Deeskalationsmanagement des Personals vor Ort an, weshalb dieses entsprechend geschult werden soll. Als zentralen Punkt nennt der Experte dabei das STOP-Konzept, das sich aus Substitution sowie technischen, organisatorischen und persönlichen Maßnahmen zusammensetzt.
Substitution bezeichnet dabei das Ausschalten der potenziellen Gefahrenquelle. Das wird beim Patienten selbst aus naheliegenden Gründen zwar nicht gehen, im Zweifelsfall aber sehr wohl bei dessen aufgebrachten Angehörigen.
Technische Maßnahmen können darin bestehen, das Personal am Empfang hinter eine Sicherheitsglasscheibe zu setzen, Rückzugsräume und Fluchtmöglichkeiten zu schaffen oder die Mitarbeiter mit Personen-Notsignal-Geräten auszustatten.
Organisatorische Maßnahmen zielen darauf ab, Deeskalations- und Notfallkonzepte zu etablieren. Überall dort, wo es zu kritischen Kontakten zwischen Patienten und medizinischem Personal kommt, könnten vor allem kräftige männliche Kollegen eingesetzt oder etwa der Zutritt für maximal zwei Personen (Patient plus eine Begleitung) erlaubt werden.
Persönliche Maßnahmen konzentrieren sich auf die Teilnahme an Deeskalations- und/oder Selbstverteidigungskursen sowie die entsprechende Ausstattung der Ärzte und Pfleger, etwa mit einem direkt am Mann getragenen Notrufknopf oder sogar das Tragen von Stichschutz-Westen, wie sie mancherorts bereits im Einsatz sind.
Als Ultima Ratio bleibt nicht selten nur noch der direkte Personenschutz des medizinischen Personals. Dieser ist aber natürlich sehr kostenintensiv und für viele ohnehin schon defizitär arbeitende Krankenhäuser kaum zu stemmen. Deshalb konzentrieren sich viele Klinikleitungen im Bedarfsfall auf den etwas günstigeren Objektschutz. Auch hier liefert der Insider ein Beispiel aus der Praxis: „Ein Kollege aus Hamburg hat mir von einem Krankenhaus berichtet, das auf den Stationen Wachleute positioniert hat, damit ihnen die Medikamentenschränke nicht ständig ausgeräumt werden.“
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: Shutterstock, Symbolbild
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