• 6. September 2025
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Vorwort

Der folgende Text stammt von einem meiner treuesten und langjährigsten Gastautoren: Thomas Rießinger ist scharfzüngig, eigenwillig, streitbar – und gerade deshalb schätze ich ihn außerordentlich. Er schreibt, was er denkt. Und ich lasse ihn das auch – selbst dann, wenn ich es anders sehe.
So auch in diesem Fall.

Ich lasse in meinen Artikeln kaum ein gutes Haar an Friedrich Merz und halte seine Politik für verheerend. Klare Worte gegenüber Putin schätze ich indes – meine Überzeugung nach 16 Jahren in Russland und direkter Beobachtung des Kreml-Herrschers ist: Er versteht nur Härte.

Ich denke bei diesem speziellen Thema in vielem ganz anders als Thomas Rießinger, teilweise sogar entgegengesetzt.

Warum ich den Text trotzdem veröffentliche?

Gerade deshalb! Weil Meinungsvielfalt für mich mehr ist als ein Etikett. Weil ich überzeugt bin, dass echte Debatte auch dann stattfinden muss, wenn sie unbequem wird. Weil niemand im Besitz der Wahrheit ist – und jeder Blickwinkel seinen Platz haben sollte, auch wenn man ihn nicht teilt. Und weil ich gerade deshalb keine Zensur üben will – schon gar nicht bei Autoren, die mir seit Jahren mit Loyalität und klarem Kompass zur Seite stehen.

Dieser Text ist ein Kommentar. Keine redaktionelle Linie, kein offizielles Statement – sondern eine persönliche Sicht. Man kann sie teilen oder ablehnen. Aber man sollte sie kennen – wenn man verstehen will, wie unterschiedlich die Dinge gesehen werden. Selbst im eigenen Lager. Vielleicht ist das ja das beste Argument für diesen Text: Dass er von einem Autor stammt, der auch dann gelassen bleibt, wenn so ein Vorwort für seinen Text kommt. Für diese aufrichtig demokratische und pluralistische Grundhaltung gilt ihm mein besonderer Dank.


Wie hat er sich doch gefreut, unser Bundeskanzler des Äußeren, als er nach Washington fliegen durfte, um zusammen mit anderen europäischen Geistesgrößen im Oval Office um den Schreibtisch von Donald Trump herumzusitzen wie eine Gruppe auffällig gewordener Schüler im Zimmer des Direktors. Seine Erwartungen seien „eigentlich nicht nur getroffen, sondern übertroffen worden“, erzählte er hinterher stolz den Pressevertretern, und man wolle in sehr engem Kontakt bleiben, „um die Initiative, die begonnen hat, zu einem guten Ende zu führen“.

Hehre Worte! Nun sind wir es von Merz schon seit längerer Zeit gewöhnt, dass er seinen Worten Taten folgen lässt, wenn auch nicht immer solche, die den vorherigen Worten entsprechen. Manchmal folgen auf Worte aber auch nur Worte, wir reden schließlich von Friedrich Merz. Wirft man aber einen Blick auf einige seiner jüngsten Äußerungen, gerät man ein wenig in Verlegenheit, sofern man sich auf die Suche nach einem nachvollziehbaren Sinn machen will. Im Gegensatz zu alten Zeiten haben auch Politiker die Gelegenheit, ihre aktuellen gedanklichen Entwicklungen in aller Schnelle unters Volk zu bringen, obwohl es für manche vielleicht besser gewesen wäre, sie hätten von der Existenz verschiedener Plattformen nie etwas gehört. Merz beispielsweise verwendet gerne Elon Musks X, um sich in seiner Eigenschaft als deutscher Bundskanzler zu Wort zu melden. „Bundeskanzler Friedrich Merz“ nennt er sich dort, und das darf er auch, denn noch bekleidet er das Amt des Kanzlers.

Man darf also annehmen, dass sich unter diesem Account nicht der Privatmann Merz äußert, sondern eben Friedrich Merz in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler. Und in dieser Eigenschaft hat er am 2. September das Folgende geäußert:

Nun ist es aber eine Sache, ob Günther Müller auf seinem privaten X-Account äußert, Putin sei nicht nur ein Kriegsverbrecher, sondern „vielleicht der schwerste Kriegsverbrecher unserer Zeit“, bei dem „Nachgiebigkeit fehl am Platz“ sei – wer auch immer Günther Müller sein mag – oder ob man solche Formulierungen auf dem X-Account des deutschen Bundeskanzlers findet, wo sie als offizielle Äußerung gewertet werden müssen. Denn Günther Müllers Auffassung muss keinen interessieren, solange er nicht deutsche Politiker als Schwachköpfe bezeichnet, was gelegentlich mit frühmorgendlichen Haussuchungen quittiert wird. Doch Friedrich Merz leitet die Politik dieses Landes und es wäre immerhin vorstellbar, dass auch er an einem Frieden in der Ukraine interessiert ist. Wie auch immer dieser Friede herbeigeführt werden kann – der Vorwurf, der Machthaber Russlands sei der „schwerste Kriegsverbrecher unserer Zeit“ ist nicht unbedingt ein Musterbeispiel an Diplomatie und wird nicht zum Erreichen des Friedens beitragen. 

Ähnlich Intelligentes hat Merz schon vor seiner Kanzlerzeit von sich gegeben. So konnte man – ebenfalls auf X, das damals noch Twitter hieß – unter seinem privaten Account am 10. März 2022 lesen: „Wladimir Putin ist mittlerweile ein schwerer Kriegsverbrecher, Herr Lawrow auch, von daher habe ich große Zweifel, ob die beiden jemals wieder am Verhandlungstisch einer Staatengemeinschaft sitzen werden. Aber zugleich müssen wir miteinander reden.“ Er hat es wohl schon damals nicht verstanden. Zwei Kriegsverbrecher, mit denen man nicht an einem Verhandlungstisch sitzen will – aber reden muss man miteinander. Immerhin war er damals noch kein Kanzler und konnte seinem diplomatischen Talent freien Lauf lassen. Dazugelernt hat er seither allem Anschein nach nichts.

Dabei weiß er es gelegentlich besser. Einen Tag vorher, am 1. September, freute er sich sichtlich an seinem Antrittsbesuch in Nordrhein-Westfalen, und schrieb auf X:

Ich sehe einmal davon ab, dass er keinen Grund hat, sich bei Hendrik Wüst für seine Gastfreundschaft zu bedanken, denn die Rechnung für die unnötige Veranstaltung hat sicher nicht Wüst bezahlt, sondern der deutsche Steuerzahler. Dennoch blitzt hier ein leichtes Verständnis für echte Außenpolitik durch, denn der Münsteraner Friedenssaal steht im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden tatsächlich für Dialog und Verständigung, auch wenn es manchmal schwer ist und manchmal unmöglich erscheint. Wer aber den russischen Staatschef bei aller verständlichen Antipathie als schwersten Kriegsverbrecher bezeichnet, versteht nicht, wie man an der „Gestaltung einer friedlichen Zukunft“ arbeitet. Es spielt dabei keine Rolle, ob er inhaltlich recht hat oder nicht: So betreibt man keine erfolgversprechende Diplomatie, auch wenn man sie an anderen Tagen als wohlfeiles Lippenbekenntnis im Munde führt.  

Hat Merz kein Interesse an einem Ende des Krieges in der Ukraine? Fast muss man es befürchten, denn wiederum einen Tag vorher, am 31. August, gab er auf X das Folgende zum Besten: 

Auf einen langen Krieg in der Ukraine stellt er sich ein, der Bundeskanzler der Deutschen, und gibt sich dabei einem Alternativ-Radikalismus feinster Sorte hin. Wäre es nicht denkbar, dass territoriale und politische Zugeständnisse den Krieg schneller beenden könnten? Es muss nicht gleich eine Kapitulation sein, viele, wenn auch nicht alle Kriege wurden beendet durch Verhandlungen und durch Zugeständnisse verschiedenster Art und niemand hat dabei von Kapitulation gesprochen. Aber dazu gehören wieder diplomatische Bemühungen und von denen will unser Kanzler wohl nichts wissen, denn mit schwersten Kriegsverbrechern kann man keine diplomatischen Gespräche führen. Im Übrigen ist nicht so recht klar, warum „morgen das nächste Land dran“ sein sollte „und übermorgen wir“. Die russische Armee, die es in mehr als drei Jahren nicht geschafft hat, den Krieg zu ihren Gunsten zu entscheiden, soll in kürzester Zeit alles zwischen der Ukraine und Deutschland überrennen und eben dieses Deutschland dann erledigen können? Und damit ganz nebenbei einen Bündnisfall der NATO auslösen? Hat Merz eigentlich militärische Berater? Diplomatische Unterstützung scheint ihm ja nicht zur Verfügung zu stehen. 

Man muss Putin weder mögen noch schätzen, um die Merzschen Einlassungen ein wenig unterkomplex zu finden. Ob Putin und Selenskyi etwas zu einem baldigen Frieden beitragen können, weiß ich nicht. 

Aber Friedrich Merz kann es nicht.  

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

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