Es ist eine kleine Meldung, die große Fragen aufwirft. Ein ehemaliger Staatssekretär für Migration sagt in einem Interview mit der „NZZ am Sonntag“ sinngemäß: Ja, 2015 haben wir in der Schweiz bewusst Asylverfahren eröffnet, obwohl Dublin galt. Ja, es war ein Bruch mit der offiziellen Linie. Ja, das wurde von der damaligen Bundesrätin Simonetta Sommaruga öffentlich anders dargestellt. Und nein, das wurde nie wirklich offen kommuniziert.
Man liest diesen Satz – und denkt sofort an Deutschland. Und an die absurde Behauptung, 2015 sei „keine Grenzöffnung“ gewesen, sondern bloß eine „Sondersituation“. Dass alles völlig korrekt gelaufen sei. Dass der Rechtsstaat nie ausgesetzt wurde. So stand es in Regierungserklärungen, in ARD-Faktenchecks, in Gerichtsurteilen. Und wer das bezweifelte, galt als Verschwörungstheoretiker, Populist oder Schlimmeres.
Und nun sagt ein ranghoher Schweizer Beamter, was hierzulande bis heute nicht gesagt werden darf.
Ein Geständnis – zehn Jahre später. Aber nicht in Berlin.
Natürlich: Die Schweiz ist nicht Deutschland. Aber beide Länder haben sich 2015 ähnlich verhalten – und ähnlich gerechtfertigt. Der Unterschied ist: In der Schweiz darf man heute offenbar offen aussprechen, was war. In Deutschland ist selbst das Nachfragen noch tabu.
Dabei geht es längst nicht mehr nur um das, was 2015 war. Es geht um die politische Kultur von heute. Um die Frage, wie man mit Fehlern umgeht. Und vor allem: Wie man mit denen umgeht, die sie benannt haben, lange bevor es offiziell wurde.
Denn das wirklich Erschreckende ist nicht die Entscheidung von damals – sondern die Verlogenheit danach. Die Repression gegen Kritiker. Die mediale Abrissbirne gegen alle, die vom „Rechtsbruch“ sprachen. Man kann über Horst Seehofer denken, was man will – aber als er sagte, „wir haben eine Herrschaft des Unrechts“, sprach er etwas aus, das heute sogar Schweizer Behördenvertreter bestätigen würden. Nur: In Deutschland hat man ihn damit politisch zerlegt.
Wer die Wahrheit sagt, braucht ein Ausreisevisum. Oder schweigt.
Es ist diese Verweigerung, die Deutschland so anders macht als andere Demokratien. Es gibt keine echte Aufarbeitung. Keine Reue. Keine späte Ehrlichkeit. Stattdessen: Denkverbote. Selbstgerechtigkeit. Und die Weigerung, sich auch nur der Möglichkeit eines Fehlers zu stellen.
Die Schweiz zeigt, dass es anders geht. Spät, leise, aber immerhin. In Deutschland dagegen hält man eisern an einem Narrativ fest, das mit der Wirklichkeit nicht mehr viel zu tun hat – aber mit der Macht umso mehr.
Vielleicht ist das die eigentliche Lehre aus der kleinen Meldung von nebenan: Dass die Wahrheit nicht verboten werden kann. Aber sie kann entwertet werden – durch Schweigen, Verharmlosung, und durch eine Gesellschaft, die sich lieber täuscht als zweifelt.
Und wer das ausspricht, wird weiter als „rechts“ beschimpft – auch wenn es längst von ganz links in der Schweiz bestätigt wurde.
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Bild: Screenshot ZDF Mediathek
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