Seit einigen Monaten werden Kredite wieder günstiger, dafür aber werfen viele Sparprodukte nicht mehr so viel Rendite ab. Dazu stiegen die Preise im Supermarkt innerhalb weniger Jahre drastisch. All das geht meist auf gesamtwirtschaftliche Entwicklungen zurück, die tief in den Alltag hineinwirken. Ein zentraler Stellhebel dabei: der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB).
Die meisten Menschen haben in ihrem Alltag keine direkte Berührung mit der Europäischen Zentralbank und doch hat ihre Geldpolitik auf jeden Verbraucher spürbare Auswirkungen. Mit jeder Zinsentscheidung beeinflusst die EZB, wie viel beispielsweise Kredite kosten, ob sich Sparen zur Altersvorsorge lohnt und wie sich Preise für Dinge des täglichen Bedarfs mittel- bis langfristig entwickeln. Daher spielt der Leitzins gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten eine große Rolle.
Direkte Auswirkungen
- Kosten für Kredite
- Rendite bei Sparanlagen
- Preise im Supermarkt
Betroffene Bereiche
- Baufinanzierung
- Altersvorsorge
- Tägliche Ausgaben
Zeitliche Dimension
- Kurzfristige Effekte
- Mittelfristige Anpassungen
- Langfristige Planung
Einfach erklärt: Der Leitzins und seine Rolle in der Geldpolitik
Der Leitzins ist der Zinssatz, zu dem sich die Geschäftsbanken wie Deutsche Bank, Commerzbank, Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken oder ING bei der Europäischen Zentralbank Geld leihen können.
Der wichtigste dieser Zinssätze ist der Hauptrefinanzierungssatz. Wenn die EZB diesen anhebt oder senkt, verändert sich damit der Preis, zu dem Banken frisches Kapital erhalten. Da die Institute dieses Geld wiederum an Privatpersonen oder Unternehmen in Form von Krediten weitergeben, wirkt sich der Leitzins auch auf die Konditionen für Verbraucher aus. Steigt der Leitzins, wird es auch für Endkunden teurer, sich Geld zu leihen – sinkt er, werden Kredite günstiger.
So beeinflusst die EZB mit dem Leitzins die gesamte Wirtschaft
Die Hauptaufgabe der EZB besteht darin, die Preisstabilität im gesamten Euroraum zu schützen. Das bedeutet konkret, die Inflation möglichst dicht am Optimalziel von 2 % zu halten. Dafür muss aber abhängig von der aktuellen Wirtschaftslage der Leitzins angepasst werden.
Finanzielle Planung
Quelle: @ahn
Bei einer hohen Inflation
wird der Leitzins erhöht, um die Kreditvergabe zu bremsen, Investitionen zu dämpfen und die Geldmenge zu reduzieren.
Bei schwachem Wachstum
oder sehr niedriger Inflation wird der Leitzins gesenkt, um Investitionen anzuregen und den Konsum zu stärken.
Indem der Leitzins u.a. bestimmt, zu welchen Kosten Banken sich Geld für die Refinanzierung bei der EZB leihen können, geben die Kreditinstitute diesen Zinssatz an ihre Kunden weiter. Über diese Mechanismen nimmt die Zentralbank Einfluss auf das wirtschaftliche Gleichgewicht – indirekt, aber mit deutlich spürbaren Folgen für Verbraucher, Kreditnehmer und Sparer.
Ein Beispiel: Der Leitzins beeinflusst auch die Preise für Konsumgüter – wenn auch indirekt. Steigt der Leitzins, geht der Konsum häufig zurück und die Nachfrage sinkt. Das kann einen Preisanstieg bremsen und umgekehrt.
Ein Blick auf die letzten zehn Jahre zeigt: Der Leitzins der Europäischen Zentralbank war über lange Zeit hinweg historisch niedrig – zwischen 2016 und 2022 lag er bei 0,00 %. In dieser Phase wollte die EZB die Wirtschaft nach den Krisenjahren Ende der 00er und während der Corona-Pandemie mit billigem Geld ankurbeln.
Ab Mitte 2022 folgte dann eine Phase starker Zinserhöhungen als Reaktion auf die scharf steigende Inflation. Innerhalb eines Jahres wurde der Leitzins mehrfach angehoben, teilweise um 0,5 Prozentpunkte. Kredite verteuerten sich deutlich, während das Sparen wieder attraktiver wurde. Seit Mitte 2024 hat sich der Trend erneut gedreht: Die EZB senkte den Leitzins in mehreren Schritten, um die abflauende Konjunktur zu stützen. Aktuell (August 2025) liegt der Wert bei 2,15 %.
Leitzinsänderungen wirken sich nicht nur abstrakt auf die Wirtschaft aus, sondern sie betreffen u.a. ganz konkret die Finanzprodukte, die viele Menschen täglich nutzen. Dazu gehören primär Kredite und Sparangebote.
So werden Kredite vom Leitzins beeinflusst
Nicht jeder Kredit reagiert gleich auf eine Leitzinsänderung. Ratenkredite mit einem festem Zinssatz beispielsweise bleiben für bestehende Verträge unverändert. Die vereinbarte Rate läuft einfach bis zum Ende der Laufzeit weiter, ohne dass der Kreditnehmer etwas von einem steigenden oder sinkenden Leitzins mitbekommt. Wer jedoch einen neuen Kredit aufnimmt, zahlt bei höherem Leitzins meist auch einen höheren Effektivzins.
Bei variablen Krediten, wie sie etwa bei Baufinanzierungen mit flexibler Zinsbindung üblich sind, spüren die Kreditnehmer die Leitzinsänderungen ganz direkt. Ihre Raten werden meistens alle drei bis sechs Monate an den Leitzins angepasst.
Auch Dispositionskredite oder Kreditkarten mit Teilzahlung reagieren schnell auf Leitzinsänderungen, da sie eng an den kurzfristigen Zinsmarkt gekoppelt sind.
Das Sparen ist ebenfalls vom Leitzins abhängig
Auch diejenigen, die für größere Anschaffungen oder die eigene Altersvorsorge sparen, spüren sehr deutlich die Leitzinspolitik – allerdings in der Regel etwas zeitlich verzögert.
Wenn die EZB den Leitzins anhebt, steigt der sogenannte Einlagensatz, den Banken für geparktes Geld bei der Zentralbank erhalten. Um Geld- und Sparprodukte für die eigenen Kunden attraktiver zu machen, geben viele Banken diesen Vorteil insbesondere für Tages- oder Festgeldkonten an die Kundschaft weiter.
Sparer profitieren dann von höheren Zinsen auf ihre Einlagen. Umgekehrt funktioniert das aber natürlich auch. Leitzinssenkungen führen dazu, dass die Zinsen auf Sparprodukte wieder sinken – was den realen Ertrag nach einer Inflation deutlich schmälert. Auch hier gilt: Je nach Bank und Produkt erfolgt die Anpassung unterschiedlich schnell.
Kredite
- Ratenkredite (fester Zinssatz)
- Variable Kredite (flexible Zinsbindung) Dispositionskredite
- Kreditkarten mit Teilzahlung
Sparprodukte
- Tagesgeldkonten
- Festgeldkonten
- Sparkonten
- Altersvorsorgeprodukte
Der Kreislauf der Leitzinsänderungen
1. EZB ändert Leitzins
Die Europäische Zentralbank passt den Leitzins an die wirtschaftliche Lage an
2. Banken reagieren
Geschäftsbanken passen ihre Konditionen für Kredite und Sparprodukte an
3. Wirtschaft reagiert
Konsum und Investitionen verändern sich, Preise passen sich an
4. Verbraucher spüren Effekte
Kredite werden teurer/günstiger, Sparen lohnt sich mehr/weniger
· Kreditaufnahme gut abwägen
Höhere Zinssätze verteuern Kredite spürbar. Deshalb lohnt es sich, geplante Anschaffungen auf ihre Dringlichkeit zu prüfen, wenn der Leitzins aktuell ungünstig für eine Kreditaufnahme ist. Wichtig bei jedem Kredit: Angebote sorgfältig miteinander vergleichen.
· Laufzeiten und Fixzins prüfen
Wer dennoch einen Kredit aufnimmt, sollte auf feste Zinssätze setzen, um sich vor weiteren Erhöhungen zu schützen.
Idealerweise gibt es im Vertrag Möglichkeiten zur Sondertilgung, um flexibel auf Veränderungen reagieren zu können.
Bei sinkenden Zinsen:
· Umschuldung prüfen
Sinkt der Leitzins, können bestehende Kredite unter Umständen durch günstigere ersetzt werden. Besonders bei hohen Restlaufzeiten kann das die monatliche Belastung deutlich senken.
· Sparstrategie überdenken
Wenn klassische Sparprodukte kaum noch Zinsen abwerfen, lohnt es sich meistens, sich nach alternativen Anlageformen umzusehen. Je nach Risikobereitschaft können das beispielsweise ETFs oder andere Fonds sein.
Allgemeine Tipps zur Anpassung
Unabhängig von der aktuellen Zinspolitik sollten Verbraucher immer eine gute Haushaltsrechnung aufstellen. Dabei sollten neben Einnahmen und Ausgaben auch mögliche ungeplante Ausgaben oder Veränderungen wie ein Jobverlust einkalkuliert sein. Wer einen Liquiditätspuffer für unerwartete Ausgaben aufbaut und größere Finanzentscheidungen langfristig plant, bleibt auch bei Zinsänderungen flexibel.
Der Leitzins ist kein abstraktes Instrument der Geldpolitik, sondern er hat direkte Auswirkungen auf den Alltag vieler Menschen. Ob bei der Kreditaufnahme, dem persönlichen Sparverhalten oder den Preisen im Supermarkt: Die Zinsentscheidungen der EZB wirken über viele Kanäle, mal sofort und dann wieder mit einer zeitlichen Verzögerung.
Wer versteht, wie der Leitzins funktioniert und welche Produkte davon betroffen sind, kann viel bewusster Entscheidungen treffen und beispielsweise einen günstigen Zeitpunkt für den Abschluss eines Kredites nutzen oder bestehende Kreditverträge auf den Prüfstand stellen. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten kann das ein entscheidender Vorteil sein.
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Author: [email protected]