• 5. September 2025

EU auf Abwegen – Sanktionen ohne Anklage, ohne Urteil

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Sep. 5, 2025

Dieser Text hätte längst geschrieben sein müssen.

Nicht weil ich die Protagonistin für eine Heldin hielte – im Gegenteil. Sondern weil ich glaube, dass die Demokratie sich genau dort beweist, wo es schwerfällt.

Denn obwohl die Sanktion gegen Alina Lipp und einen weiteren Blogger auf ebenso strammem Kreml-Kurs aus Deutschland bereits im Mai beschlossen wurde, wurde sie in vielen Medien kaum kritisch hinterfragt. Auch ich habe sie in der Flut der Themen zunächst übersehen – obwohl ich sonst oft gegen Übergriffe auf Meinungsfreiheit anschreibe.

Doch Verspätung darf keine Entschuldigung für Schweigen sein. Vor allem nicht in einem Fall wie diesem.

Die Europäische Union hat im Mai zum ersten Mal überhaupt zwei deutsche Staatsbürger mit Sanktionen belegt. Alina Lipp und ihr Gesinnungsgenosse dürfen nicht mehr in die EU einreisen, ihre Konten können eingefroren werden, sie gelten als Unterstützer eines feindlichen Regimes. Begründung: Ihre Rolle als „zentrale Multiplikatorin“ russischer Propaganda.

Den Vorwurf teile ich. Beide verteidigen nicht nur Putin – was man in einer freien Gesellschaft durchaus tun darf, auch wenn ich persönlich eine diametral entgegengesetzte Sicht vertrete. Aber sie gehen weit darüber hinaus. Sie beten die Kreml-Propaganda bis ins letzte Detail nach, übernehmen Sprachbilder, Narrative und Schuldumkehr – und agieren letztlich wie offizielle Verlautbarer des Kremls.

Das ist nicht einfach Einseitigkeit. Es ist gezielte Desinformation – und das halte ich für verwerflich.

Ich weiß, viele teilen ihre grundsätzliche Kritik am Westen. Das ist nicht nur völlig legitim – mehr, noch, vieles davon halte auch ich für berechtigt.

Aber wer sich wegen des Totalversagens der Medien im Westen Putins Propaganda anschließt, verteidigt nicht die Wahrheit – sondern tauscht den einen Abgrund gegen den anderen, kritisches Denken gegen ideologische Gefolgschaft. Er tritt aus dem rot-grünen ZDF-Bibelkreis aus und betet beim Kreml-Chor mit. Statt Lauterbach bekommt er Lawrow.

Noch gefährlicher als die oft sehr geschickt verpackte und für Nicht-Russischsprachige sehr schwer durchschaubare Desinformation der jetzt Sanktionierten ist jedoch die Reaktion der EU. Denn sie gibt damit ein entscheidendes rechtsstaatliches Prinzip preis. Und das wiegt schwerer als jede Lüge, ja ist unverzeihlich.

Eines der gravierendsten Probleme dabei: Es gibt kein Verfahren. Kein Urteil. Kein Gegengutachten, keine Anhörung, keine Möglichkeit der Verteidigung. Nur ein politisches Verdikt – gefällt von Bürokraten, die sich nicht einmal der Öffentlichkeit stellen müssen.

Was Lipp verbreitet, ist oft verzerrt, einseitig, empörend. Aber es ist eben Meinung. Und der Unterschied zwischen Meinung und Strafrecht war bisher ein Grundpfeiler der westlichen Ordnung. Wer diesen Grundsatz aufgibt, nur weil er jemanden nicht leiden kann, hat die Idee von Freiheit nicht verstanden.

Man muss Alina Lipp & Co. nicht mögen, um zu erkennen, dass diese Sanktionen ein gefährlicher Präzedenzfall sind. Denn sie zeigen: Wer den Diskurs stört, kann heute schon mit Machtmitteln zum Schweigen gebracht werden – ohne rechtsstaatliche Kontrolle.

Dieser Vorgang erinnert an Praktiken aus dem Mittelalter: Wer ohne jede Möglichkeit zur Verteidigung zum Feind erklärt wird, ist faktisch „vogelfrei“. Die Konten – gesperrt. Das Vermögen – eingefroren. Die Einreise – verweigert. Der Begriff der „Reichsacht“ oder des „Reichsbanns“ ist da nicht mehr weit: Mit ihm wurden bis ins 18. Jahrhundert unliebsame Personen für „fried- und rechtlos“ erklärt. In einer Demokratie sollte so etwas undenkbar sein.

Besonders paradox: Die EU nutzt ausgerechnet jene repressiven Mittel, die sie Moskau regelmäßig vorwirft. Damit wird nicht nur ein Prinzip verraten – sondern auch die eigene Glaubwürdigkeit.

Mehr noch: Wer Kritiker wie Lipp mit autoritären Mitteln bekämpft, bestätigt unfreiwillig genau das Bild vom Westen, das diese Figuren verbreiten – als intolerantes, repressives Regime.

Der Fall fügt sich ein in ein beunruhigendes Gesamtbild: eine EU, die immer öfter mit Zensur, Verboten und Drohungen arbeitet. Kritiker wie Wladimir Bukowski, der ebenso hart mit Putin wie mit der Sowjetunion und Brüssel ins Gericht gingen und für mich ein Vorbild ist, warnten schon vor Jahren vor der „EUdSSR“. Heute wirkt das nicht mehr überzogen – sondern wie eine treffende Beschreibung.

Und die nächste Person, die das trifft, mag nicht mehr Lipp heißen. Sondern vielleicht Müller, Meier oder Schmid. Vielleicht ist es ein Impfkritiker. Ein Regierungskritiker. Oder jemand, der einfach das Falsche zur falschen Zeit sagt. Vielleicht sind Sie es. Oder ich. 

Deshalb muss die Verteidigung von Meinungsfreiheit dort beginnen, wo sie weh tut. Wer sie nur für Freunde einfordert, wie so viele Menschen heute in Deutschland, hat sie nicht begriffen. Und wer sie für Gegner abschafft, steht am Anfang eines Weges, den wir aus anderen Systemen zur Genüge kennen.

Und genau deshalb ist dieser Text nötig. Nicht um Lipp zu verteidigen – sondern um zu verteidigen, was auch und gerade Menschen mit unbequemen Meinungen schützen sollte: der freiheitliche Rechtsstaat. Der bei uns pervertiert wird. Vor den Augen der vermeintlich Bürgerlichen wie Friedrich Merz – die nicht hinsehen wollen oder nicht sehen. 

Dabei wäre heute das Vermächtnis Voltaires wichtiger denn je: Auch wenn man eine Meinung nicht teilt, muss man sich dafür einsetzen, dass sie ausgesprochen werden darf.  

Dass man sich dadurch heute schon verdächtig macht, sagt alles über den traurigen Zustand dieses Landes und dieser EU.

PS: Mir ist klar: Mit diesem Text setze ich mich vermutlich zwischen alle Stühle.

Für die wenigen Putin-Kritiker unter meinen Lesern klingt es womöglich, als würde ich „seine Leute“ in Schutz nehmen. Für die Putin-Anhänger ist jeder Satz über russische Propaganda ohnehin ein rotes Tuch.

Aber ich schreibe nicht, um Applaus zu bekommen. Ich schreibe, um mir treu zu bleiben – auch wenn ich damit an dem Stuhl säge, auf dem ich selbst sitze.

Nicht alles ist schwarz oder weiß, auch wenn unsere Welt immer mehr so tickt. Wer auf Zwischentöne setzt, macht sich selten Freunde.

Aber ist das nicht genau die Aufgabe eines Journalisten?

Und was entlarvt angebliche Journalisten mehr als die Tatsache, dass sie sich auf einer Seite – ob in Berlin oder in Moskau – stets beliebt machen wollen? Und dabei nie die eigene Position hinterfragen, keine Zwischentöne zulassen?

Genau über solche Leute schreibe ich hier. Denn auf unsere Gesinnungsjournalisten und Putins Sprachrohre passt am Ende der gleiche Maßstab: Beide sehen sich als letzte Wahrheitswächter – und dulden keine abweichende Meinung.

Nur dass die einen lieber in Berlin und Brüssel eingeladen werden, die anderen in Moskau und Donezk.

Auch wenn sie formal auf unterschiedlichen Seiten stehen, eint sie dasselbe Muster: Sie glauben, die Wahrheit zu besitzen – und denken in Lagern, nicht in Argumenten.

Und wer nicht ins Lager passt, ist der Feind. Gegen den alle Mittel recht sind.

PPS: Auch ich habe mich früher – in meiner Zeit als Russland-Experte – zu sehr auf „die andere Seite“ eingeschossen. Im Kampf gegen Einseitigkeit war ich oft selbst zu missionarisch, zu wenig an der eigenen Position zweifelnd, fast so, als hätte ich die Wahrheit gepachtet, wie all die Restles und Lipps. Wer felsenfest überzeugt ist, auf der „richtigen“ Seite stehen will, verliert dabei leicht die Grautöne, die für Journalisten so wichtig sind. Wir alle machen Fehler. Aber man muss sie erkennen, zugeben und korrigieren. Auch wenn sich meine Überzeugungen keinen Deut geändert haben – was ich heute anders sehe, ist nur mein Umgang mit ihnen. Weniger Eifer, mehr Zweifel, mehr Respekt vor anderen Meinungen. Ich arbeite hart daran, die eigene Schieflage von damals nicht zu wiederholen. Auch auf die Gefahr hin, mich dadurch mit Texten wie diesen zwischen alle Stühle zu setzen. Doch ich finde: Das ist genau der Platz, auf dem ein Journalist sitzen muss, wenn er keine Propagandist sein will. Und wenn Sie mich irgend wann dabei erwischen, dass ich rückfällig werden solle – hauen Sie mir bitte auf die Finger. Natürlich nur virtuell.

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