Von Ekaterina Quehl
In Sozialen Netzwerken kursiert ein Meme, auf dem ein Patient nach einer Blinddarm-Operation den neben ihm stehenden Roboter in einem Arztkitel verwundert fragt: „Wieso habe ich die Narbe links? Der Blinddarm befindet sich doch rechts.“ „Das hast du sehr gut gemerkt, Adlerauge! Ich mache es sofort nochmal. Diesmal aber auf der richtigen Seite.“
Weil die Künstliche Intelligenz so gut funktioniert, vielleicht sogar besser als die Berliner Behörden und noch besser als Messerverbotszonen, plant der Berliner Senat, sie in öffentlichen Räumen für Bürgerüberwachung zu benutzen. Ziel der Technologie sei es, das Verhalten von Menschen im öffentlichen Raum automatisiert zu beobachten und auszuwerten.
„Diese Software erkennt, was du tust“, schreibt das Portal netzpolitik.org. „Sie bestimmt anhand von Videobildern, was auf dem überwachten Areal gerade passiert. Sie untersucht, ob jemand steht, sitzt, kniet, läuft, rennt, tanzt, taumelt, liegt, kämpft, würgt, etwas trägt, zieht oder schiebt, Fahrrad- und Roller fährt, eine andere Person umarmt oder festhält. Und in Zukunft soll die Liste noch erweitert werden.“
Dass es dabei um die Verbesserung der Sicherheit gehen soll, ist selbstverständlich und wird hier nur deshalb erwähnt, weil die Technologie bereits seit sieben Jahren in Mannheim und seit September dieses Jahres in Hamburg benutzt wird. Wie effektiv das Überwachungstool ist, ist an steigender Kriminalität zu sehen. Unter anderem in diesen beiden Städten.
Wie ein Jogger durch den Park rennt oder ein Obdachloser einen Einkaufswagen mit seinen sechs Sachen vor sich herschiebt, ist offenbar viel wichtiger zu überwachen, als Messerstecher oder Vergewaltiger. Denn vor den ersten schützen schon Messerverbotszonen und vor den zweiten lohnt sich kein Schutz, wenn sie sowieso nach Gerichtsurteilen alle wieder freigelassen werden. Bei Joggern und Obdachlosen kann sich aber eine KI-Überwachung wirklich lohnen, weil diese Menschen Verschwörungstheoretiker sein oder rechtes Gedankengut haben können. Und somit potenziell viel gefährlicher für unsere Gesellschaft sind als Messersteher und Vergewaltiger.
Angenommen, die Berliner Polizei würde die KI-Überwachung an den potenziell gefährlichen Orten im Sinne des gesunden Menschenverstands anwenden – zum Beispiel an Kriminalitätshotspots wie Bahnhof Zoo oder Kottbusser Damm. Würde dann eine KI fähig sein, zwei tobende Jugendliche von einer echten Prügelei zu unterscheiden?
Wenn ein Teenager dreimal dieselbe Straße rauf und runter läuft, ist es noch harmlos oder ist es schon repetitives Bewegungsmuster und möglicher Auskundschaftungsversuch?
Wenn ein Mann zwei Jacken übereinander trägt – ist das einfach nur frieren oder schon auffällige Kleidung und Verdacht auf Objektverbergung?
Wenn eine schwangere Frau auf einer Bank sitzt, aufsteht, drei Schritte geht und sich auf die nächste Bank setzt – ist das noch Rückenschonung oder schon eventuell drohende Tarnung und Gefahr?
Doch möglicherweise sind solche Dilemmata für die Berliner Polizei gar nicht relevant.
Die Polizeipräsidentin Barbara Slowik will die KI „so kalibrieren, dass sie viele falschpositive Ergebnisse liefern, die dann gegebenenfalls zu erhöhtem Arbeitsaufwand und Überwachungsdruck auf Unschuldige führen. Lieber kommen wir einmal zu viel, wenn das System zu schnell anschlägt, als einmal zu wenig“.
Gleichzeitig will aber Slowik mit KI künftig Polizeibeamte ersetzen, weil die Nachwuchsgewinnung schwierig sei. „Ohne technologische Unterstützung werden wir die Sicherheit der Stadt nur noch immer begrenzter gewährleisten können.“
Berlin hat es nicht einmal geschafft, Schultoiletten ordentlich zu sanieren, aber wenn es ums Scannen von Menschen geht, will sie technologischen Progress. Nach dem Motto „Ich mache es nochmal. Diesmal aber auf der richtigen Seite“ würde Slowik also zahlreiche Fehleinsätze bei friedlichen Bürgern in Kauf nehmen, um die KI zu lehren, diese korrekt zu überwachen, während Messerverbotszonen vor echter Gefahr schützen sollen und Personalmangel bei der Polizei wächst. Am Menschen wird gespart, am Vertrauen sowieso – aber für die flächendeckende Verdächtigung findet sich immer noch ein Etat.
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Sie arbeitet für reitschuster.de.
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