• 9. September 2025

Dieckmann trifft Ronzheimer: Die schmutzige Wahrheit hinter „Refugees Welcome“

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Sep. 8, 2025
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Und was sich Dieckmann und Ronzheimer in knapp einer Stunde über die Entstehungsgeschichte der illegalen Massenzuwanderung und die Rolle der Springerpresse gegenseitig erzählen, sollte Pflichtprogramm für jeden sein, der sich mit dieser „Mutter aller Probleme“, wie es Horst Seehofer nannte, befasst.

Pflicht deshalb, weil hier der seltene Fall eintritt, dass sich die Gesprächspartner ständig gegenseitig versichern, nichts falsch gemacht zu haben, zu den Guten zu gehören und sich so im Verlauf des Gesprächs zunehmend in einer Art Safe-Room sehen, wo man alles sagen kann, wo alles dann vermeintlich in den Rang der Wahrheit erhoben wird.

Das Ergebnis ist ein Offenbarungseid, für den man sich bedanken muss. Oder konkret: Was es hier zu hören gibt, sind Verdrehungen und Falschbehauptungen, die noch dazu so schlampig argumentiert sind, dass dieses Gespräch unweigerlich einen Geständnischarakter bekommt.

Durchgehend irritierend ist dieses pervertierte Verständnis von Journalismus – Medien nicht mehr als Wahrheitssucher, sondern als Motor und Stichwortgeber der Politik – der vollzogene Machtmissbrauch einer auflagenstarken Zeitung.

Diekmann war damals der Chefredakteur von Ronzheimer. Heute tritt er auf wie der Seniorchef einer gediegenen Werbeagentur, immer nah am Kunden, immer das Produkt bestmöglich inszenierend, in dem Fall die Politik der Kanzlerin der Herzen. Und immer mit dieser Fahrstuhlstimme, die immer so vertraulich klingt, dass sich die Praktikantin auch mal alleine mit in den Fahrstuhl zwängen kann.

Diekmann erzählt, wie er das erste Mal mit dem Flüchtlingsproblem konfrontiert wurde. Das sei im türkischen Bodrum gewesen. Mutmaßlich dort im Luxusresort Susona, welches der Ex-Bildchef seit Jahrzehnten für die ganze Familie bucht: grüner Rasen am Strand, Cocktails, Palmen, Mini-Yachten, das Übliche halt, was man so ab 10.000 Euro aufwärts für vier Personen für eine Woche buchen kann.

Ein Schnäppchen, wäre da nicht vor zehn Jahren dieser Inselausflug – „nur ein Katzensprung“ – auf die vor dem türkischen Bodrum liegende griechische Insel Leros gewesen. Auf Leros, wo die Diekmanns von Bodrum aus nur etwas von dieser Onassis-Santorini-Postkarten-Romantik aufsaugen wollten, trifft der „Bild“-Chef auf „Menschen, die ganz offensichtlich nicht aus Griechenland oder der Türkei kamen, Menschen, denen anzusehen war, dass es ihnen schlecht ging“.

Von „erbärmlicher Kleidung“ erfährt Ronzheimer von seinem Ex-Chef im Kontext dieser „Refugees Welcome“-Erweckungsgeschichte.

Hier schon ein erster grotesk anmutender Moment, als Diekmann berichtet, es seien Flüchtlinge, die in ihren Booten aus Syrien angekommen sind. Nein, sie sind natürlich nicht aus Syrien nach Leros gekommen, sondern genau wie er selbst aus Bodrum – nur eben nicht aus dem 10.000-Euro-Luxusresort und nicht mit der weißen Flotte, sondern mit Hilfe von Schleppern in der Dämmerung in maroden Schlauch- oder Holzbooten.

Es sei das erste Mal gewesen, dass Diekmann „selber persönlich mit der Not der Flüchtlinge konfrontiert war, wir waren mit der ganzen Familie vor Ort auf Leros“, berichtet er weiter. Dem Zuhörer dieses denkwürdigen Podcasts soll nun suggeriert werden, das sei die Geburtsstunde von „Refugees Welcome“ gewesen: Dieser reine Moment, wo das Leid des Mitgeschöpfes über das getriggerte Mitgefühl die Welt verändert oder so ähnlich.

Jedenfalls schmeckten den Diekmanns im Bodrumer Luxusresort die Cocktails auf einmal nicht mehr.

Die Kinder seien es gewesen, die vorgeschlagen hätten, Flüchtlinge aufzunehmen. Überspitzt übersetzt: Die Diekmanns wollen sich das echte Leid aus dem Urlaub mitnehmen, endlich mal selber was spüren, nicht nur Geld spenden oder das siebte Mädchen rund um die Welt monatlich mit 100 Euro subventionieren.

Wie schief dann alles geht, als die Diekmanns ihre Villa in Potsdam öffnen, bekommt Ronzheimer erst nach 50 Minuten erzählt. Diekmann erkennt da ganz freimütig, dass eine Villa mit Chauffeur wohl doch falsche Hoffnungen in seinem Syrer geweckt habe, der drehte irgendwie religiös ab. Irgendjemand erzählte mal, dass die leicht bekleidete Dame des Hauses zusätzlich für Aufruhr in der religiösen Seele seines Gastes gesorgt habe.

Aber auch diese Geschichte ist nur der x-te Aufguss dessen, was Diekmann schon 2015 gegenüber Zeitungen zum Besten gegeben hat: Und wie sich Diekmann damals in seiner Hilfsbereitschaft suhlt, kommt einem das gleich so katholisch vor, als ginge es darum, Ablass für was auch immer zu bekommen. Wenig überraschend also der Satz im Tagesspiegel, dass Diekmanns Kinder eine katholische Schule besuchen – dorthin gehen dann auch die syrischen Kinder des streng muslimischen Gastes.

Von einem Politikversagen des Westens spricht Diekmann, von einer Mitschuld, dass in Syrien so viele Menschen auf der Flucht seien und ums Leben gekommen sind. Der Westen habe Assad immer wieder rote Linien überschreiten lassen. Kritik an den eigentlichen Ursachen der Kriege im Nahen Osten, Kritik am Engagement der USA: Bei Diekmann Fehlanzeige. Springer engagiert sich in den USA, also bloß keine schlafenden Hunde wecken.

Spoiler: Davon, dass die Syrer in der Türkei schon in Sicherheit waren, kein Wort. Nichts über die reduzierten Bezugsscheine in den Lagern oder zu solchen Schlepperrouten wie Bodrum-Leros.

Die Diekmann-Erzählung ist wie ein Rehrücken mit dem Speck des Widerspruchs gespickt. Sagte er eingangs noch, der Chefredakteur müsse am Ende auch Entscheidungen gegen die Redaktion fällen, wenn es nötig sei, heißt es schon wenig später:

„Es gibt keinen Chefredakteur bei Bild, der seiner Redaktion seinen Willen aufzwingen kann.“

Die Redaktion wird hier in die Verantwortung genommen, die Last von „Refugees Welcome“ wiegt schon nach 7:20 Minuten zu schwer. Weite Teile der Redaktion haben sich „emotional sehr ansprechen lassen“.

Daraus sei eine „für Bild sehr typische Haltung“ entstanden. Journalismus mit Haltung ist also kein Privileg von Monitor-Chef Georg Restle, da sitzen Diekmann und Co. schon mit im Boot.

„Bild“ druckt ganzseitig ein Foto des toten Flüchtlingsjungen ab. Und wo wurde der tote Körper des Kleinen angeschwemmt? Am Strand von Bodrum. Ausgerechnet dort, wo Diekmann seit zwanzig Jahren seinen Zeh in den feinen Sand steckt.

Diekmann schulmeistert, dass Bilder die Kraft hätten, Politik zu verändern. „Bild“ will Politik verändern, eine Agenda setzen. Und wieder menschelt es in der Redaktionsspitze à la Bodrum: „Gerade, wenn du kleine Kinder hast, berührt dich das und haut dich einfach um.“

Es berühre einen, weil wir es nicht geschafft hätten, in einer Region Frieden zu schaffen und weil wir es nicht geschafft hätten, „diesen Menschen eine wie auch immer geartete Flucht zu ermöglichen“. Diekmann, Springer und „Bild“ haben die Verantwortung übernommen und damit die deutsche Politik vor sich hergetrieben.

Und Diekmann will das zehn Jahre später alles mit seinen emotional bewegten Kindern und einer emotional bewegten Redaktion erklären. Das darf man gar nicht zu Ende denken. Was war zuerst, das Huhn oder das Ei? Die blaue Stunde von Bodrum oder Merkels getriebene Entscheidung – am Ende auch getrieben von Diekmanns Urlaubserlebnissen? Eine Räuberpistole, aber wer weiß.

Es habe eine humanitäre Verantwortung gegeben, der man als Marke „Bild“ gerecht geworden sei, rechtfertigt Diekmann sich eins ums andere Mal. Aber was für ein Verständnis von Journalismus ist das denn?

„Wir sind das reichste Land in der Mitte Europas und wir haben eine besondere Vergangenheit“, so eine weitere Rechtfertigung der Kampagne der Zeitung. Das reichste Land? Mit Blick auf das Resort in Bodrum mag das stimmen, aus der Perspektive des Flaschensammlers sicher nicht mehr ganz so gut. Und angesichts der sozialen Spannungen auf dem Wohnungsmarkt und im Bürgergeld schon gar nicht mehr.

Die „Bild“ musste „dieser Rolle einfach gerecht werden“, so Diekmann. Humanitär mag das stimmen, aber Journalismus ist hier bereits an den Abgrund getrieben worden.

Es ging „Bild“ darum, dass die Menschen offen und freundlich empfangen werden. Er sagt es wörtlich:

„Es ging darum, eine politische Haltung zu unterstützen, damit wir unsere Grenzen nicht dicht machen in dem Sinne, in dem wir Flüchtlinge zurückweisen.“

Das ist nach gerade einmal 13 Minuten im Interview der Moment, wo die Metamorphose vom Journalismus zum politischen Aktionismus vollzogen ist. Hier beeindruckt die Selbstverständlichkeit, mit der Diekmann diesen Offenbarungseid leistet. Die Verwandlung schreitet fort: Diekmann holt Helmut Kohl als Zeugen ins Boot, der habe immer gesagt:

„Sie haben vollkommen recht, bei der nächsten Wiedervereinigung machen wir alles besser.“

Die „Bild“ macht Politik und Diekmann sieht sich auf Augenhöhe mit Kohl. Alles verschwimmt bei Kai Diekmann: Politik, Journalismus und das Bodrumer Familientrauma.

Er kann es nicht mehr sortieren. Wer erzählt denn da? Ist es noch der Chefredakteur der Bild? Wer ist dieses „Wir“, sind es wir Deutschen? Oder schon das direkte Eingeständnis eines polit-medialen Komplexes?

Fremden- und Ausländerfeindlichkeit habe es schon in den 1990er Jahren gegeben, erinnert Diekmann an die neuen Bundesländer. In der Folge hätten „wir“, so Diekmann, viele Menschen auch politisch verloren. Nochmal: Wer ist hier das „wir“? Die Redaktion der „Bild“? Es klingt fast so, alles verwischt, alles vermischt sich.

„Wir schaffen das!“ sei aber der richtige Ansatz gewesen. Und an der Stelle ist es dann ganz klar: Springer bzw. Diekmann und „Bild“ verstehen sich als Vorfeld der Politik und als Propagandaabteilung – vor Wahlen womöglich sogar als Königsmacher.

Ronzheimer sagt es deutlich: Die „Refugees Welcome“-Kampagne war die Antwort auf kritische Stimmen zur Zuwanderung. Und weiter: Damals habe man sich „hinter die Linie der Bundesregierung für eine offene Migrationspolitik“ gestellt.

Hier versteht Diekmann immerhin, was die beiden da gerade im Podcast angerichtet haben und ihm entfährt ein „um Gottes willen“, es sei doch nur ein notwendiges Hilfsangebot und keine Politik gewesen.

Ein großer Mehrwert dieses denkwürdigen Interviews, wenn sich Diekmann eins ums andere Mal verheddert zwischen Journalismus, Haltung und politischem Anspruch. Beispielhaft hier:

„Da hat sich „Bild“ überhaupt nichts vorzuwerfen. Da haben wir keinen Nachholbedarf, wenn es darum geht, zu sagen: Hier sind Fehler in der Integrationspolitik gemacht worden. Wir haben ja immer Angst davor gehabt, diejenigen, die zu uns kommen, mit einer Assimilation in die Ecke zu drängen. Wir haben darauf verzichtet, Forderungen zu stellen … wir fanden es anmaßend … aber wir haben es immer klar benannt …“

Ronzheimer erinnert immerhin nochmal daran, dass „Welcome Refugees“ ein politisches Statement war und sich doch auch auf die Berichterstattung ausgewirkt haben könnte – Diekmann bestreitet trotzig und erklärt, es sei doch alles nur eine Hilfsaktion gewesen in der Tradition früherer Hilfsaktionen der Bild.

Hier muss man Diekmann an Aussagen seines Vizes und späteren Nachfolgers Julian Reichelt erinnern, der einmal erzählte, wie Friede Springer per E-Mail eine klare Ansage gemacht habe, dass „Bild“ die Corona-Politik der Kanzlerin positiv begleiten soll. Warum soll es so eine Ansage der Merkel-Freundin nicht auch zur Migrationspolitik gegeben haben?

Und wieder der Abschied vom objektiven und unparteiischen Journalismus. Hier erstaunt nur noch, wie leichtfüßig Diekmann diesen erneuten Offenbarungseid abspult:

„Da sind wir alle gefordert, das können wir nicht nur der Politik überlassen – organisiert das mal – sondern da ist tatsächlich am Ende jeder Einzelne gefordert. Und so ist dann ja tatsächlich daraus eine große Bewegung entstanden.“

Ein Eingeständnis kommt dann doch: Ungarn habe ausreichend Aufnahmemöglichkeiten und sanitäre Einrichtungen gehabt, „Bild“ habe das Gegenteil berichtet, also die Behauptung einer „humanitären Katastrophe“ befeuert. Und wenn Diekmann schon mal dabei ist: „Gerade die materielle Ausstattung der „Flüchtlinge“ sei im Übermaß geschehen. „Flüchtlinge“ seien überversorgt worden.

Weiter erklärt Bodrum-Urlauber Diekmann:

„Mir war wichtig, dass wir in so einer elementaren Situation als große Zeitung mit großer Verantwortung – die Bildzeitung ist nun mal die lauteste Trompete auf der Bühne – das Richtige in diesem Moment tun.“

Zur Kölner Silvesternacht meint Diekmann, hätte man sich „anders aufstellen müssen, da hätte sich auch die Politik anders aufstellen müssen“. Also hier die „Bild“ und dort die Politik und das gemeinsame Interesse. Dieses Interview ist eine Fundgrube.

Nach knapp vierzig Minuten sind beide richtig warm gequatscht und Diekmann ist geständnisbereit: Diekmann erklärt wagemutig:

„Ich glaube, als Journalist – gerade als Kriegsreporter – bist du automatisch Aktivist.“

Das ist ähnlich schräg wie ein Altherrenwitz, der erklärt, als Frauenarzt stehe man immer ein bisschen unter Feuer.

Die Luft wird Minute um Minute dünner für den Erfinder von „Refugees Welcome“, das längst auch ein Welcome-Vergewaltiger und Welcome-Messerstecher geworden ist:

„Wenn ich immer diesen Quatsch lese vom objektiven Journalismus! Das ist schon deshalb Quark, weil Journalisten keine Maschinen sind, das sind ja Menschen.“

Und wieder Diekmann. Dieses Mal in Richtung einer Kriegsreportage von Ronzheimer über das ukrainische Butscha, was auch diese Reportage in ein ganz neues Licht stellen könnte:

„Warum fährt man nach Butscha und berichtet das? Weil man ja auch ‘ne bestimmte politische Haltung der eigenen Regierung im Zweifelsfall beeinflussen oder erzwingen möchte.“

Dann plaudert er halt runter, was ihm noch so einfällt. Das klingt so, als habe er die weißlackierte Bodrumer Liege auf dem englischen Rasen im Luxusresort noch ein Loch weiter in die Waagerechte gekippt. Ein deutsches Sittengemälde, das man sich besonders genau an diesen quälend banalen Stellen anhören muss, um ganz zu verstehen, was diese Leute auf sich geladen haben. Oder präziser: Mit was für Medienschaffenden unsere Regierung gemeinsame Sache gemacht hat.

Irgendwo behauptet Diekmann noch, er stehe auf der konservativen Seite. Wenn das die konservative Seite sein soll, dann müssen alle Konservativen wirklich Rechtsradikale sein. Aber die Wahrheit geht anders: Diekmann ist nicht mehr Chef der Bildzeitung. Er hat kein Skript mehr, das ihm seine Haltung erklärt, er ist lediglich noch Verwalter seiner polit-journalistischen Vergangenheit. Und er ist so weit von Journalismus entfernt, wie etablierte Politik heute von der Demokratie oder die Erde vom Mond.

Das Pendant zu „unsere Demokratie“ ist hier „unser Journalismus“.

Zuletzt fragt sich Diekmann noch, woran er denn mit seinem syrischen „Gast“ gescheitert sei: Weil der nicht in Deutschland arbeiten durfte, sei es für Diekmann keine Überraschung gewesen, dass der Syrer „religiös abgedreht“ sei.

Selbst hier ist also Deutschland schuld, eine vernünftige Arbeit hätte seinem Syrer die religiöse Meise schon ausgetrieben? Hier geht man sprachlos aus diesem Podcast. Wo standen solche Figuren wie Kai Diekmann auf dem großen Spielfeld? Was ist ihre Verantwortung für die aktuellen Verwerfungen?

Dieses Interview ist in seiner Banalität der Verachtung für das Eigene und der Dekadenz einer von der Gesellschaft abgekoppelten Klasse ein besonderes Missing Link, dessen Lektüre jedem zu empfehlen ist, der einmal nachspüren will, was Personen wie Kai Diekmann gegen Deutschland getan haben und warum sie die ganze Zeit so grinsen:

https://shows.acast.com/ronzheimer/episodes/68b5d5e641b96bff8d6d2dcd

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Author:
Alexander Wallasch

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