Der per Direktmandat gewählte Gregor Gysi (Die Linke) hat sich eingehender mit dem Vorschlag befasst, dass AfD und Linkspartei gemeinsam den neuen Bundestag einberufen und die obszön hohe Kriegskasse von Merz verhindern können.
Sein Urteil: Unsinn. Es geht nicht.
Gregor Gysi erklärte am Nachmittag via X:
Ich will hier auf die politische Seite nicht weiter eingehen, und nur so viel erklären, dass wir selbstverständlich alles unternehmen, um diese Wahnsinnsrüstung zu verhindern. Die Auffassung der AfD und auch des Herrn Ulrich Vosgerau, dass die neuen Abgeordneten von AfD und Linken zusammen die unverzügliche Einberufung des neuen Bundestages verlangen und erreichen können, ist schlicht und einfach juristischer Unsinn. Jede Verfassungsrechtlerin, jeder Verfassungsrechtler, jede Bundesverfassungsrichterin und jeder Bundesverfassungsrichter wird dies bestätigen. Die künftigen Abgeordneten können überhaupt keinen zulässigen Antrag an die bisherige Bundestagspräsidentin stellen, weil sie noch keine Abgeordneten im Sinne des Grundgesetzes sind. Voraussetzung ist die Konstituierung des Bundestages. Erst dann beginnen die Rechte der Abgeordneten. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass auch die Abgeordneten des neuen Bundestages die Konstituierung beschließen können. Die Regelung von einem Drittel der Abgeordneten gilt in diesem Falle aber nicht. Eine neue Geschäftsordnung ist noch nicht beschlossen. Es müsste also nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mehr als die Hälfte der neu gewählten Abgeordneten die Einberufung verlangen. Das ist aber in Anbetracht der Haltung von Union, SPD und Grünen keinesfalls zu erreichen. Der Ältestenrat hat stellvertretend bereits getagt und die Mehrheit lehnte den Antrag auf eine frühere Konstituierung ab. Stellten wir also neben der AfD einen solchen Antrag, müsste und würde er genau wie der Antrag der AfD als unzulässig zurückgewiesen werden.
Das wiederum wollte der gescholtene Staatsrechtler Ulrich Vosgerau nicht auf sich sitzen lassen und reagierte in vielfacher Länge und besonders bissig: Staatsrechtler Vosgerau erinnerte den Juristen Gysi daran, dass die Dinge keineswegs so einfach lägen, „wie sie im Strafrecht der DDR meist gelegen haben mögen“.
Gregor Gysi antwortet auf meinen Vorschlag, AfD- und Linken-Fraktion sollten nun so schnell wie möglich die Einberufung des neuen, 21. BT verlangen, nummehr überraschend: „Die Auffassung der AfD und auch des Herrn Ulrich Vosgerau, dass die neuen Abgeordneten von AfD und Linken zusammen die unverzügliche Einberufung des neuen Bundestages verlangen und erreichen können, ist schlicht und einfach juristischer Unsinn. Jede Verfassungsrechtlerin, jeder Verfassungsrechtler, jede Bundesverfassungsrichterin und jeder Bundesverfassungsrichter wird dies bestätigen.
Die künftigen Abgeordneten können überhaupt keinen zulässigen Antrag an die bisherige Bundestagspräsidentin stellen, weil sie noch keine Abgeordneten im Sinne des Grundgesetzes sind. Voraussetzung ist die Konstituierung des Bundestages. Erst dann beginnen die Rechte der Abgeordneten.“ Dazu ist zunächst zu sagen, daß es doch eine einigermaßen steile These des Herrn Doktor Gysi ist, es gäbe über ein verfassungsrechtliches Problem, zu dem es exakt null Literatur und null Rechtsprechung gibt, weil es seit 1949 noch nie (!) aufgetreten ist und das vor Donnerstag, 13.03.2025, 16 Uhr, niemandem bekannt war – nämlich: wie kann ein bereits gewählter Bundestag gegen den Willen der Mehrheit im bisherigen Bundestag seine sofortige Konstituierung erzwingen? – eine einhellige und feststehende Auffassung gäbe, die „jeder Verfassungsrechtler bestätigen“ könne.
Das wäre freilich eine sehr abgekürzte Meinungsbildung zu völlig neu aufgetauchten Problemen! Im einzelnen ist zu der vielleicht etwas präpotent vorgetragenen Rechtsmeinung des Herrn Doktor Gysi zu sagen: 1) Unser Versuch, den verfassungsändernden Staatsstreich der noch-Mehrheit im bereits abgewählten Bundestag doch zu unterbinden, ist im Kern gar nicht unsere eigene Idee, sondern folgt unmittelbar einer Anregung des BVerfG. Wir hatten gegenüber dem BVerfG sorgfältig dargelegt, daß eine Einberufung des alten Bundestages geraume Zeit nach Konstituierung der Fraktionen des neuen Bundestages und einen Tag vor Feststellung des amtlichen Endergebnisses der Bundestagswahl (ab dem wohl auf jeden Fall der neue und nicht der alte Bundestag einzuberufen gewesen wäre!) nicht in Frage kommt, sondern, wenn schon, durch die Bundestagspräsidentin der neue Bundestag zu konstituieren gewesen wäre und sich dann auch über Vorschläge zur Verfassungsänderung hätte unterhalten können.
Da es auf der Hand liegt, daß (1) dem Demokratiegebot des Grundgesetzes geradezu Hohn gesprochen wird, wenn der abgewählte Bundestag noch schnell enorm folgenreiche Verfassungsänderungen durchdrückt, für die es im neuen Bundestag keine Mehrheit mehr gäbe, und weiter, (2) daß der schlichte Verweis in Art. 39 GG darauf, der alte Bundestag amtiere so lange, bis der neue konstituiert sei, hier wenig ertragreich bleibt, da (a) dieser Verweis schon nicht für den Fall gedacht ist, daß der alte Bundestag durch den Bundespräsidenten ausdrücklich aufgelöst worden ist, und (b) diese rein formelle Regelung NICHTS über die verfassungsändernden Kompetenzen des formell noch weiterbestehenden Bundestages aussagt – nicht wenige Kommentare gehen ausdrücklich von einer „Zurückhaltungspflicht“ aus! – rechneten wir uns gute Erfolgsaussichten aus. 2) Das BVerfG hat unseren Antrag dennoch mit einer völlig überraschenden und so von niemandem (am allerwenigsten vom DDR-Strafrechtler Doktor Gysi, der nun die Einhelligkeit in der deutschen Staatsrechtslehre verwalten will!) vorhergesehen Begründung als „offensichtlich unbegründet“ abgewiesen (weswegen es eben auch keinen einstweiligen Rechtsschutz geben könne).
Das Gericht sagt uns nämlich: Was behelligt ihr das BVerfG mit Euren Querelen! Es gäbe doch offensichtlich eine so viel leichtere, einfache Möglichkeit für Euch, euren politischen Willen durchzusetzen. Die Abgeordneten des 21. Bundestags können jederzeit auch eigeninitiativ dessen Konstituierung verlangen, und sobald diese vollzogen ist, hat der 20. Bundestag nichts mehr zu sagen und schon gar keine Verfassung mehr zu ändern. Helft Euch selbst, Ihr braucht kein BVerfG! Das hatte, wie gesagt, vor dem 13.03.25 um 16 Uhr niemand geahnt. Bislang wurde der neue BT immer durch die bisherigen BT-Präsidentin zur konstituierenden Sitzung geladen, wie es auch in § 1 der BT-Geschäftsordnung steht. Deshalb ja unser Antrag an das BVerfG, der BT-Präsidentin solle verpflichtet werden, allenfalls den neuen und jedenfalls nicht den alten BT einzuberufen. 3) In unmittelbarer Reaktion auf diese überraschende Rechtsprechung versuchen wir nun in der Tat, den 21. Deutschen Bundestag auf Abgeordneteninitiative hin einberufen zu lassen.
Einer unmittelbaren Anregung des BVerfG zu folgen, wird ja wohl verfassungslegitim sein. Demgegenüber wird jetzt behauptet, Art. 39 GG sei unmittelbar gar nicht einschlägig, da dieser sich auf den bereits konstituierten und nicht auf einen erst noch zu konstituierenden Bundestag beziehe. Aber dies ist eine juristische Nebelkerze: denn es kommt überhaupt nicht darauf an, ob Art. 39 GG dem Wortlaut nach unmittelbar oder sonst eben dem allgemeinen Rechtsgedanken nach einschlägig ist. Denn es gibt eine Möglichkeit – sagen ursprünglich nicht wir, sondern das BVerfG! – den Verfassungs-Staatsstreich des alten BT durch eigeniniatiative Einberfung des neuen BT zu vereiteln. Und nur, weil es diese Möglichkeit gibt – sagt das BVerfG! – benötigen wir angeblich keinen einstweiligen Rechtsschutz und ist unsere Organstreitklage „offensichtlich unbegründet“.
Daher sprechen nach wie vor die besseren Gründe dafür, daß aufgrund von Erklärungen der Führungen der AfD- wie der Linken-Fraktion, man verlange als Vor-Fraktion im kommenden Bundestag aufgrund der neuen Rechtsprechung des BVerfG unverzüglich dessen Konstituierung, der neue BT eben einberufen werden müßte und damit der Verfassungs-Staatsstreich beendet würde. (Übrigens: ganz gelegentlich wird die Frage, ob es eine „eigeninitiative Konstituierung“ des BT geben könne, auch in der Kommentarliteratur angesprochen – und zwar dann immer zu Art. 39 GG. So un-einschlägig ist er also wohl nicht!). Man hat den Eindruck, Doktor Gysi – den von je her stets ja auch etwas Winkeladvokatorisches umwehte – suche nur eine Begründung, warum die Linksfraktion nun ihre Wahlversprechen brechen möchte. Im übrigen sagt er ja nur, der von uns verlangte Antrag der Linken-Fraktionsführung hätte gar nicht die erwünschte Wirkung. Ja, aber dann kann man es doch ausprobieren? Schaden könnte es ja nichts.
4) Endlich: auch ich kann die Zukunft nicht vorhersagen und wir sind, das war ja der Ausgangspunkt, in einer Situation, die nie jemand vorausgeahnt (geschweige denn verfassungsrechtlich behandelt) hat. Was wäre also, wenn Doktor Gysi im Ergebnis „Recht hat“ – also in dem Sinne, daß sich BVerfG und h.M. in der Tat seiner auftrumpfenden verfassungsrechtlichen Winkeladvokatur anschließen, uns abermals – wie schon am Donnerstag – eine Nase drehen und rufen: „Ätschibätsch, so einfach ist das nicht, ihr könnt hier nicht gewinnen!“. Dann sage ich im Geiste Hegels: das wäre nicht schlimm für uns, sondern für das Bundesverfassungsgericht. (Stichwort: „Delegitimierung des Staates“, das soll man ja nicht machen, schon gar nicht als Höchstgericht!).
Es gibt in der Tat den verfassungsrechtlichen Einwand, nicht 1/3 (Art. 39 GG analog), sondern mindestens die Hälfte der gesetzlichen Mitglieder des BT seien zur wirksamen Konstituierung erforderlich (s.o.). Das BVerfG verhält sich zu dieser Frage nicht eindeutig, daher ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen. Ich meine aber schon, daß 1/3 hinreichend sein muß. Denn, zur Erinnerung: das BVerfG evoziert diese Dinge und diese angeblichen, neuen Möglichkeiten explizit zur Begründung, warum niemand der Hilfe des BVerfG bedarf, weil es doch eigentlich so leicht sei, den neuen BT zu konstituieren und dem alten, eindeutig seine Kompetenzen überschreitenden BT in die Parade zu fahren!
Würde das BVerfG nun ernsthaft nachreichen: „Pustekuchen, ihr braucht 1/2 der gesetzlichen Mitglieder, sonst könnt ihr euch gehacktlegen!“ – dann hätte es seine Rechtsverweigerung in unserem Verfahren auf den Verweis auf eine – angeblich naheliegende und einfache! – Selbsthilfe-Möglichkeit gestützt, die in Wahrheit realistischerweise gar nicht existiert. M.a.W.: wollte das BVerfG Herrn Doktor Gysi in der Tat jemals Recht geben, so müßte es sich schon selbst ins Unrecht setzen und seine eigene, am Donnerstag sehr selbstbewußt, ja vielleicht teils auch selbstgerecht intonierte Rechtsprechung zur Verteidigung des Staatsstreichs geradezu der Lächerlichkeit preisgeben. Das BVerfG müßte quasi öffenlich sagen: „Ja klar, wir haben Euch da mit Kokolores abgespeist. Was sollten wir auch machen, die anderen waren mehr!“. Es bleibt also interessant und die Dinge liegen keineswegs so einfach, wie sie im Strafrecht der DDR meist gelegen haben mögen.
(Hervorhebungen wie im Original bei Vosgerau, Absätze zur besseren Lesbarkeit nachträglich eingefügt)
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Author:
Alexander Wallasch