• 12. Juli 2025

Die Debatte um Frauke Brosius-Gersdorf – Geht’s um Abtreibung oder das AfD-Verbot?

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Juli 10, 2025

Bitte Vorsicht. Möglicherweise war ich selbst via X voreingenommen. Von daher ist der folgende Text auch als eine Selbstkritik zu lesen.

Die Vereinnahmung der aktuellen politischen Debatte durch radikale Christen und Taliban-Katholiken ist nicht hinnehmbar. Wenn darüber diskutiert wird, ob die deutsche Rechtswissenschaftlerin und Hochschullehrerin an der Universität Potsdam, Frauke Brosius-Gersdorf, Verfassungsrichterin werden darf, soll oder nicht, sind irgendwelche Lügengeschichten und vollkommen abwegige Interpretationen über nie getätigte Aussagen mit Blick auf den demokratischen Prozess ein Alarmsignal.

Eines der bekanntesten Sprichwörter lautet „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu“. Und von diesem Sprichwort kann man durchaus sagen, dass es einen christlichen Hintergrund hat. Es mag sogar die erste Grundregel des menschlichen Miteinanders sein.

Aber was rechte Christen an der Nominierung von Frauke Brosius-Gersdorf aktuell inszenieren, ist nicht hinnehmbar. Hier muss man lagerübergreifend die Sache der Juristin einnehmen. Das ist auch deshalb besonders bedauerlich, weil es sicher bei der eher links orientierten neuen Verfassungsrichterin genügend andere Kritikpunkte gibt. Aber ihre Haltung zur Abtreibung gehört sicher nicht dazu – so kontrovers und emotional diese Debatte auch sein mag!

Konservative und Rechte haben in den letzten Jahren zur Genüge erfahren, wie es sich anfühlt, wenn ihnen jedes Wort im Mund umgedreht wird und sie diffamiert werden für etwas, das sie so nie gesagt haben. Daraus muss doch eine Sensibilisierung entstanden sein.

Insbesondere eine Frau von Storch tut sich hier keinen Gefallen, wenn sie ihren Glauben, der ihre Privatsache ist, hier in den Mittelpunkt einer politischen Auseinandersetzung stellt. Da kann sie hundertmal der Annahme sein, sie habe sogar Leute wie den Konvertiten JD Vance auf ihrer Seite, das macht es nicht besser – Vance hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz darüber gesprochen, dass in England Menschen verfolgt werden, die vor Abtreibungskliniken nur gebetet hätten. Von den vielen Übergriffen dieser christlichen Taliban gegen Ärzte und Frauen war bei Vance keine Rede.

Aber konkret zur Sache und zu Frauke Brosius-Gersdorf: Die Nominierung von Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin hat in Deutschland eine hitzige Debatte ausgelöst, die weit über eine bloße Personalentscheidung hinausgeht. Besonders kontrovers ist die Behauptung, sie befürworte Abtreibungen bis zum neunten Monat, sowie ihre Position, dass die Menschenwürde erst ab der Geburt gelte.

Die Behauptung, die neue Verfassungsrichterin befürworte Abtreibungen bis zum neunten Monat, wurde unter anderem von der AfD-Abgeordneten von Storch in die Welt gebracht. Diese schrieb schon am 2. Juli via Facebook:

„Die CDU denkt darüber nach (!!!), Frauke Brosius-Gersdorf ins Bundesverfassungsgericht zu wählen. Eine linksradikale Aktivistin, die im Prinzip der Abtreibung bis zum 9. Monat das Wort redet („Menschenwürde erst ab Geburt“), eine Frauenquote im Wahlrecht will und natürlich das Kopftuchtragen mit der staatlichen Neutralität vereinbar hält. Eine Partei, die auch nur darüber nachdenkt, solche „Richter“ zu bestimmen, will unseren Rechtsstaat zerschlagen. Es gruselt einen nur noch.“

Sprachlich ist das an Hinterhältigkeit durchaus mit Angriffen aus dem linksradikalen Lager gegen Rechte zu vergleichen. Frau von Storch weiß, dass Frauke Brosius-Gersdorf immer nur darüber gesprochen hat, die schon heute per Beratungsschein zulässigen Abtreibungen bis zur zwölften Woche aus der Grauzone in die Legalität zu holen, ohne diese längst zur Farce verkommenen Beratungsscheine, die ausgerechnet oft auch noch von kirchlich kontrollierten Einrichtungen vergeben werden.

Frauke Brosius-Gersdorf hat niemals von Abtreibungen bis zum neunten Monat gesprochen. Sie hat allerdings öffentlich als Teil einer Debatte darüber nachgedacht, wann die im Grundgesetz garantierte Menschenwürde eigentlich beginnt. Der Kontext hier war sicher auch die Aufhebung der Grauzone für Abtreibungen in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft.

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Hier hat Brosius-Gersdorf argumentiert, die Menschenwürde beginne mit der Geburt eines Menschen. Daraus machen dann Politikerinnen wie Beatrix von Storch, sie wolle Abtreibungen bis zur Geburt. Das ist nicht nur falsch, sondern unredlich und religiös-ideologisch begründet. Aber die Religion einer Beatrix von Storch ist die Privatsache von Frau von Storch.

Die Position der neuen Verfassungsrichterin ist unter anderem in ihrem Aufsatz „Menschenwürdegarantie und Lebensrecht für das Ungeborene. Reformbedarf beim Schwangerschaftsabbruch“ von 2024 dargelegt. Im Prinzip geht es hier um den Schutz der Menschenwürde der Schwangeren, den Brosius-Gersdorf in den Mittelpunkt ihrer Erörterungen stellt.

Auch „Nius“ kritisierte die Juristin, war aber fair genug, klar zu formulieren, was sie wirklich gesagt und geschrieben hatte: „Diese empfahl der Bundesregierung, Abtreibungen in der Frühschwangerschaft zu entkriminalisieren.“ Es ging eben auch hier weiterhin „nur“ um die ersten 12 Wochen.Natürlich darf man als radikaler Abtreibungsgegner oder aus religiösen Gründen Abtreibung vom ersten Tag an verurteilen – also inklusive der Pille danach. Aber man darf bitte für seine Sache die Fakten nicht verdrehen oder sogar lügen.

Der Abschlussbericht der Regierungskommission zur Reform des Abtreibungsrechts (2024), an der Brosius-Gersdorf beteiligt war, empfiehlt eine Entkriminalisierung von Abtreibungen in der Frühphase, ohne Spätabtreibungen im neunten Monat explizit zu thematisieren. Die Behauptung, Brosius-Gersdorf befürworte Abtreibungen bis zum neunten Monat, ist eine polemische Interpretation ihrer Position zur Menschenwürde.

Man mag von der Juristin halten, was man will, aber sie hat nie gefordert, Abtreibungen nach der 12. Woche und bis zum 9. Monat straffrei zu machen. Brosius-Gersdorf diskutierte abstrakt die verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit und hielt kein Plädoyer für Spätabtreibung.Wer etwas anderes behauptet, der macht sich zum Teil einer politischen Kampagne gegen Frau Brosius-Gersdorf, die mutmaßlich als Verfassungsrichterin etwa bei einer Entscheidung über ein AfD-Verbot kein Fürsprecher der AfD sein dürfte.

Das kontaminiert ihre Kritiker aus den Reihen der AfD noch einmal mehr und zur Hilfe kommt hier die besonders unrühmliche Rolle der Juristin bei der Debatte zur Impfpflicht während des Corona-Regimes.Und nochmal grundsätzlich: Natürlich ist die Frage, ob ungeborenes Leben Menschenwürde besitzt, entscheidend für die rechtliche Bewertung von Abtreibungen. Wenn die Menschenwürde erst ab Geburt gilt, könnte dies eine vollständige Entkriminalisierung von Abtreibungen ermöglichen, da der verfassungsrechtliche Schutz des Fötus geschwächt wäre. Hier wäre eine erneute und explizite Klarstellung von Frauke Brosius-Gersdorf hilfreich. Die Aufmerksamkeit der großen Medien ist ihr aktuell gewiss.

Dass sich die CDU nicht von radikalen Christen – und schon gar nicht aus dem Umfeld der AfD – vor sich hertreiben lassen mag, versteht jeder unabhängig von seiner politischen Haltung.

Die Kontroverse um Brosius-Gersdorf ist ein Mikrokosmos der gesellschaftlichen Spaltung in Deutschland. Die Behauptung, sie befürworte Abtreibungen bis zum neunten Monat, ist nicht durch direkte Aussagen belegt und darf als polemische Zuspitzung ihrer Position zur Menschenwürde angesehen werden. Ihre juristische Argumentation, die Menschenwürde erst ab Geburt anzusetzen, ist in der Verfassungsrechtswissenschaft nicht neu, steht jedoch im Widerspruch zur etablierten BVerfG-Rechtsprechung. Dies macht sie für konservative Kreise zur Zielscheibe, da sie als Symbol für eine liberalere Gesellschaftsordnung wahrgenommen wird.

Das wiederum ist nur folgerichtig, da sie von der SPD und nicht von der CDU vorgeschlagen wurde.Die Opposition tut sich hier keinen Gefallen, wenn sie die Gefahr, die von Brosius-Gersdorf in einem möglichen AfD-Verbotsverfahren ausgeht, damit wegzubügeln versucht, indem sie irgendwelche radikalen Christen aus den eigenen Reihen gegen die Position der Juristin zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Stellung bringt. Das sind die miesen Methoden der Gegenseite.

Ps.: Hier geht es selbstverständlich nicht um eine Zustimmung zur Personalie „Brosius-Gersdorf“. Es geht um das hohe Gut der Fairness.  

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Author:
Alexander Wallasch

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