Am Beginn diesen Monats ging eine Meldung durch die archäologische Fach- und durch an fachlich interessierte Laien gerichtete Medien: Es ist erstmals gelungen, ein komplettes Genom eines Menschen, der vor 4.500 bis 4.800 Jahren im prädynastischen Alten Ägypten oder im Alten Reich des Antiken Ägypten gelebt hat, zu sequenzieren (s. z.B. Tagesanzeiger, National Geographic, Archeology, Smithsonian Institute)
Es handelt sich dabei um das Erbgut eines Mannes – das Geschlecht wurde sowohl anhand einer Untersuchung der Knochen als auch anhand der genetischen Analyse festgestellt –, der mit angezogenen Knien in einer Begräbnisurne in einem aus dem Fels geschlagenen Grab auf dem Friedhof von Nuwayrat bei Beni Hasan, das über 240 km von Kairo entfernt liegt, bestattet wurde. Es mag sein, dass diese spezielle Begräbnissituation dafür verantwortlich ist, dass das Erbgut dieses Mannes hinreichend gut erhalten war, um es vollständig sequenzieren zu können; gut erhaltens Erbgut aus dem Alten Ägypten ist nämlich bislang vergleichsweise selten gefunden worden.
Die Überreste des Mannes wurden bereits im Jahr 1902 von britischen Archäologen ausgegraben und in den Jahren 1902 und 1904 vom Ägyptischen Antiquitätendienst („Egyptian Antiquities Service“) den Mitgliedern des Beni Hasan-Ausgrabungskomitees gespendet. Später wurden die Überreste des Mannes dem Institute of Archaeology der Universität Liverpool übergeben. Seit 1950 ruhen die Überreste des Mannes im Weltmuseum in Liverpool (das ehemalige Liverpool City Museum). Die Untersuchung der Überreste des Mannes durch ein Team von Wissenschaftlern erfolgte, nachdem sie die entsprechende Erlaubnis vom Weltmuseum erhalten hatte, und ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler in einem am 2. Juli online veröffentlichten Artikel in „Nature“ berichtet (s. Jacobs et al. 2025).
Eine Multiisotopenanalyse zeigte, dass der Mann im Niltal aufgewachsen war, und die Untersuchung der Knochen ergab, dass er im Verlauf seines Lebens einer körperlichen Arbeit nachging, vielleicht als Töpfer, dass er 157.4 cm bis 160.5 cm groß war und dass der ein fortgeschrittenes Alter von 44 bis 64 Jahren erreichte (Jacobs et al. 2025: 2).
Und das ist, was die genetische Analyse ergab:
„Der größte Teil seines Genoms ist unter den derzeit verfügbaren Quellen am besten durch nordafrikanische neolithische Vorfahren repräsentiert. Dennoch lassen sich etwa 20% seiner genetischen Abstammung auf Genome zurückführen, die den östlichen fruchtbaren Halbmond, einschließlich Mesopotamien und der umliegenden Regionen, repräsentieren. Diese genetische Affinität ähnelt dem genetischen Erbe, das in Anatolien und der Levante während der Jungsteinzeit und Bronzezeit auftrat“ (Jacobs et al. 2025: 1).
Im Original
„Most of his genome is best represented by North African Neolithic ancestry, among available sources at present. Yet approximately 20% of his genetic ancestry can be traced to genomes representing the eastern Fertile Crescent, including Mesopotamia and surrounding regions. This genetic affinity is similar to the ancestry appearing in Anatolia and the Levant during the Neolithic and Bronze Age“ (Jacobs et al. 2025: 1).
Die Forscher konnten also keinerlei Spuren von ostafrikanischem oder subsaharischem Erbgut bei dem Mann feststellen. Das bedeutet nicht, dass er eine helle Haut gehabt haben muss:
„Unter In-Rechnung-Stellung der bekannten Grenzen hinsichtlich der Vorhersage phänotypischer Merkmale in wenig untersuchten Populationen wird vermutet, dass das Nuwayrat-Individuum braune Augen, braunes Haar und Hautpigmentierung im Bereich von dunkler bis schwarzer Haut hatte, mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit einer mittleren Hautfarbe…“ (Jacobs et al. 2025: 2).
Im Original:
„Although acknowledging known limitations in predicting phenotypic traits in understudied populations …, the Nuwayrat individual is predicted to have had brown eyes, brown hair and skin pigmentation ranging from dark to black skin, with a lower probability of intermediate skin colour …“ (Jacobs et al. 2025: 2).
Diese Vermutung basiert auf dem, was „HirisPlexS“, eine Software, die auf genetischen Befunden aufbauend phänotypische Merkmale voraussagt, zu sagen hatte. Die Autoren waren selbst nicht überzeugt von der Qualität der Voraussage durch „HirisPlexS“, denn die Gesichtsrekonstruktion, die sie durch Caroline Wilkinson von „Face Lab“ an der Liverpool John Moores-Universität haben anfertigen lassen, wurde von Wilkinson komplett in Grautönen gehalten, um Spekulationen über Eigenschaften, über die nicht definitv entschieden werden kann, zu vermeiden.
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In einem Artikel im „National Geographic“ zum Thema wird Wilkinson dahingehend zitiert, dass sie Kontroversen hinsichtlich der Gesichtsrekonstruktion erwarte, denn Gesichtsrekonstruktionen von Menschen aus dem Alten Ägypten würden häufig dafür kritisiert, „zu europäisch“ oder „zu afrikanisch“ zu erscheinen – vermutlich häufiger Ersteres, dank „woker“ Ideologie in akademisierten Kreisen. Immerhin könne man einige Merkmale eines Gesichtes wie die Kieferpartie, die Nase und die Augenpartie allein aufgrund der Struktur eines Schädels relativ einfach rekonstruieren – und diese sind schwerlich dem negroiden Phänotyp zuzurechnen. Der Mann mag eine dunkle Haut gehabt haben – oder nicht -, er war mit Sicherheit kein subsaharischer Afrikaner bzw. hatte keine subsaharischen Vorfahren.
Die bislang vorliegenden (wenigen) Untersuchungen genetischen Materials von Personen, die im Alten Ägypten gelebt haben, kommen zum selben Ergebnis. So hat die Untersuchung von Gad et al. (2020), die sie an genetischem Material von zehn Mumien durchgeführt haben, die als Familienangehörige von jugendlich verstrobenen Pharao Tut-ankh-amun gelten, der im Neuen Reich für einige Jahre Ägypten regiert hat, gezeigt, dass
„die königliche Linie aus der Y-Chromosom-Haplogruppe R1b [in der Linie väterlicherseits] und der mitochondrialen Haplogruppe K [in der Linie mütterlicherseits] besteht. Die Populationsgenetik deutet auf einen gemeinsamen Ursprung ca. 14.000-28.000 Jahre vor der Gegenwart im Nahen Osten hin“.
Im Original:
„[t]he royal lineage is composed of the Y-chromosome haplogroup R1b and the mitochondrial haplogroup K. Population geneticspoint to a common origin at ca. 14000-28000 years before present locating to the Near East“.
Und Schuenemann et al. (2017) berichten über ihre Studie:
„Wir präsentieren hier 90 mitochondriale Genome sowie genomweite Datensätze von drei Individuen, die von ägyptischen Mumien gewonnen wurden. Die aus Mittelägypten geborgenen Proben umfassen rund 1.300 Jahre altägyptische Geschichte vom Neuen Reich bis zur Römerzeit. Unsere Analysen zeigen, dass die alten Ägypter mehr Vorfahren mit Menschen aus dem Nahen Osten hatten als die heutigen Ägypter, die in jüngerer Zeit zusätzlich eine Vermischung von südlich der Sahara erhielten“ (Schuenemann et al. 2017: 1).
Im Original
„Here we present 90 mitochondrial genomes as well as genome-wide data sets from three individuals obtained from Egyptian mummies. The samples recovered from Middle Egypt span around 1,300 years of ancient Egyptian history from the New Kingdom to the Roman Period. Our analyses reveal that ancient Egyptians shared more ancestry with Near Easterners than present-day Egyptians, who received additional sub-Saharan admixture in more recent times“ (Schuenemann et al. 2017: 1).
Und mit „in jüngerer Zeit“ meinen die Autoren die nach-römische Periode Ägyptens bzw. die Zeit nach 395 n.Chr.:
„Durch den Vergleich antiker Individuen aus Abusir el-Meleq mit modernen ägyptischen Referenzpopulationen stellten wir einen Zustrom afrikanischer Vorfahren südlich der Sahara nach der Römerzeit fest, was die Ergebnisse von Henn und Kollegen bestätigt…“ (Schuenemann et al. 2017: 8).
Im Original:
„By comparing ancient individuals from Abusir el-Meleq with modern Egyptian reference populations, we found an influx of sub-Saharan African ancestry after the Roman Period, which corroborates the findings by Henn and colleagues …“ (Schuenemann et al. 2017: 8).
Henn et al. (2012) hatten anhand ihrer Untersuchung des genetischen Materials von sieben verschiedenen Populationen Nordafrikas festgehalten:
„… die einfachste Interpretation unserer Ergebnisse ist, dass die Mehrheit der Vorfahren der modernen Nordafrikaner aus Populationen außerhalb Afrikas stammt, und zwar durch mindestens zwei Episoden erhöhten Genflusses während der letzten 40.000 Jahre …“ (Henn et al. 2012: 7; Hervorhebung ddA).
Im Original:
„… the simplest interpretation of our results is that the majority of ancestry in modern North Africans derives from populations outside of Africa, through at least two episodes of increased gene flow during the past 40,000 years …“ (Henn et al. 2012: 7; Hervorhebung d.d.A.).
Wobei zumindest die zweite Episode dieses „erhöhten Genflusses“ aus dem Nahen Osten kommt (Henn et al. 2012: 8).
Wenn sich in Zukunft wieder eine Firma an der Produktion von Filmen versuchen sollte, die im Alten Ägypten spielen, sollte sie tunlichst darauf verzichten, Schauspieler zu beschäftigen, die subsaharisches Erbgut erkennen oder erahnen lassen. So dürfte Elizabeth Taylor, die im Film „Cleopatra“ aus dem Jahr 1963 Cleopatra verkörperte, der historischen Cleopatra, die der ptolemäischen Dynastie des Alten Ägyptens angehörte bzw. das hellenistische Ägypten repräsentierte, genetisch und phänotypisch näher gestanden haben als Jada Pinkett Smith, die im Jahr 2023 im Netflix-„Docudrama“ die Cleopatra verkörpert hat.
(Ab Minute 17:33 bis zum Ende!)
Besonders dann, wenn dokumentarischer Anspruch erhoben wird, sollte man versuchen, möglichst bei der Wahrheit zu bleiben, wie sie durch belastbare empirische Forschung festgestellt wurde, statt ideologisch motivierte Geschichtsklitterung zu betreiben.
Literatur:
Gad, Yehia Z., Ismail, Somaia, Fathalla, Dina, et al., 2020: Maternal and Paternal Lineages in King Tutankhamun’s Family, S. 497-518 in: Kamrin, Janice, Bárta, Miroslav, Ikram, Salima, et al. (Hrsg.): Guardian of Ancient Egypt: Essays in Honor of Zahi Hawass (Volume I). Prag: Charles University, Faculty of Arts. Der hier zitierte Text kann gelesen und heruntergeladen werden unter der Adresse https://www.researchgate.net/publication/353306320_Maternal_and_paternal_lineages_in_King_Tutankhamun’s_family.
Henn, Brenna M., Botigué, Laura R., Gravel, Simon, et al., 2012: Genomic Ancestry of North Africans Supports Back-to-Africa Migrations. PLoS Genetics 8(1): e1002397.
Jacobs, Adeline Morez, Irish, Joel D., Cooke, Ashley, et al., 2025: Whole-genome Ancestry of an Old Kingdom Egyptian. Nature. 2025 Jul 2. http://doi.org/10.1038/s41586-025-09195-5
Schuenemann, Verena J., Peltzer, Alexander, Welte, Beatrix, et al., 2017: Ancient Egyptian Mummy Genomes Suggest an Increase of Sub-Saharan African Ancestry in Post-Roman Periods. Nature Communications 8: 15694. https://doi.org/10.1038/ncomms15694
Credits:
The DeBrief
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Author: Dr. habil. Heike Diefenbach
Michael Klein