• 3. März 2025

Deutschland wählt – und verliert sowieso

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März 2, 2025

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Zwei Ereignisse waren es, die Deutschland während der letzten Wochen beschäftigt haben, wenn auch vermutlich in unterschiedlicher Intensität: Der deutsche Vorentscheid für den Eurovision Song Contest und die Wahl zum Deutschen Bundestag. Auf den ersten Blick recht unterschiedliche Bereiche, doch sieht man genauer hin, fallen die Parallelen ins Auge. Was den ESC angeht, so stehen Kandidaten von mehr oder weniger zweifelhafter Qualität zur Auswahl, die von nicht minder zweifelhaften Kommentatoren, die sich für Musikkenner halten, beurteilt werden. Die letzte Entscheidung treffen die deutschen Zuschauer, doch ist diese Entscheidung herzlich egal, denn am Ende landet Deutschland ohnehin auf dem letzten Platz. Die Situation bei der Bundestagswahl war nicht nennenswert anders. Auch hier standen Kandidaten von mehr oder weniger zweifelhafter Qualität zur Auswahl, die von gleichfalls zweifelhaften Kommentatoren, die sich für Journalisten halten, beurteilt wurden. Die letzte Entscheidung trafen die deutschen Wähler, doch war diese Entscheidung nicht bedeutender als die der ESC-Freunde, denn am Ende landet Deutschland in jedem Fall auf dem letzten Platz. Ob Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik, ob Bildungs-, Energie- oder Migrationsprobleme: Man durfte und darf davon ausgehen, dass das Wahlergebnis nichts an der Misere des Landes ändern würde.

Es stimmt, vermutlich wird Friedrich Merz das Amt des Bundeskanzlers übernehmen, aber schon jetzt ist abzusehen, dass er, der ewige Ankündiger und Umfaller, keinen Beitrag zur Verbesserung der Lage wird leisten können. All das wussten wir vorher. Dass eine Regierung, an der die Partei der Arbeitnehmerfeindlichkeit, die sich früher einmal als Arbeiterpartei sah, beteiligt ist, zu nichts führen kann, darf niemanden überraschen. Aber werden damit nicht die Wähler getäuscht? Hat das Wahlergebnis nicht gezeigt, dass es in Deutschland eine klare konservativ-liberale Mehrheit gibt, die man wieder einmal hinters Licht geführt hat?

Hier ist ein wenig Vorsicht angebracht, denn Mehrheiten sind, wenn man sie etwas genauer betrachtet, manchmal nichts weiter als Schall und Rauch. Wer sich nur an der Zusammensetzung des nächsten Bundestages orientiert, sieht sich in seiner Einschätzung einer konservativ-liberalen Mehrheit überdeutlich bestätigt.

AfD und CDU/CSU verfügen gemeinsam über mehr als 57% der Mandate; das ist ein klares Bild, das aufgrund der beliebten Brandmauer allerdings keine Auswirkungen zeitigt. Aber die Verhältnisse im Bundestag zeigen in mehr als einer Hinsicht nur eine simulierte Mehrheit. Man darf nicht aus dem Auge verlieren, dass eine beträchtliche Zahl von Wählerstimmen infolge der Fünf-Prozent-Hürde verloren ging. Das waren aber keine Wähler zweiter Klasse, sondern Wähler wie jeder andere auch, die einer bestimmten Richtung anhingen. Wie sehen die Mehrheiten aus, wenn man die Gesamtzahl der abgegebenen gültigen Stimmen zugrunde legt und die künstliche Fünf-Prozent-Regel ignoriert? In diesem Fall muss man sich entscheiden, wen man dem konservativ-liberalen Lager zurechnen will. Zumindest dem Namen nach darf man dort AfD, CDU/CSU und FDP verorten, auch die Freien Wähler, die immerhin 1,55% der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnten, haben ein gewisses Recht auf Zugehörigkeit. Sieht man sich nun die Ergebnisse dieser Gruppierung an, so kommen die angegebenen Parteien auf 55,2% der abgegebenen gültigen Stimmen; rechnet man noch eher unbedeutende Kleinparteien nicht-linker Ausrichtung dazu, sind es sogar 55,5%. Der Unterschied ist nicht wichtig, entscheidend ist, dass sich auch auf diese Weise eine klare konservativ-liberale Mehrheit in der Wählerschaft ergibt.

Doch auch diese Mehrheit ist mit Vorsicht zu genießen. In den Reihen der Unionsparteien und auch bei den angeblichen Liberalen muss man noch immer mit einem beträchtlichen Anteil von Freunden der verhängnisvollen Altkanzlerin rechnen – nicht nur bei den Abgeordneten und sonstigen Funktionären, sondern auch bei ihren Wählern. Vor wenigen Wochen hat das Institut INSA in einer Umfrage erhoben, wie viele Deutsche sich denn eine Fortsetzung der Merkel-Politik wünschen, aufgeteilt nach Parteipräferenzen. Und auch wenn 57% der Unionsanhänger sich dagegen aussprachen, so waren es doch immerhin etwa 30%, die diesen Gedanken begrüßenswert fanden; die Zahlen für die FDP waren ähnlich. Man darf aber niemanden, der in den nächsten Jahren das linksgrüne Merkelunheil gerne fortgesetzt sähe, als konservativ oder liberal bezeichnen: der gehört zum linken Lager, auch wenn er es nicht zugibt. Sowohl die Anteile der Union als auch die der FDP muss ich daher um die 30% kürzen, die ich dem Merkelismus und damit dem Reich rotgrüner Absurditäten zuzurechnen habe. Um es einmal vorzurechnen: Der Anteil von CDU und CSU an den Wahlstimmen belief sich auf 28,52%. Nur 70% dieser Stimmen darf ich als konservativ werten, der Rest gehört Merkel und ihren linken Fußtruppen, weshalb sich die Rechnung 0,7*28,52=19,96 ergibt. Die gleiche Rechnung muss ich für die FDP aufmachen, während ich mich im Hinblick auf AfD und Freie Wähler im Optimismus übe und davon ausgehe, dass man dort keine Sehnsüchte nach einer Rückkehr Merkelscher Politik hegt.

Die Addition der verbliebenen echten konservativ-liberalen Stimmen führt zu gerade einmal 45,35%. Nur knapp mehr als 45% der abgegebenen gültigen Stimmen kann ich guten Gewissens dem Konservatismus und dem Liberalismus zuordnen – das ist keine Mehrheit, aber auf den ersten Blick nicht schlecht. Es wird jedoch schlechter, sobald man sich daran erinnert, dass es auch so etwas wie eine Wahlbeteiligung gibt, die bei 82,5% lag. Mehr als 17% der Wahlberechtigten haben sich für die Angelegenheit nicht interessiert, hatten Besseres zu tun oder waren nicht in der Lage, ihr Wahlrecht auszuüben. Die errechneten 45,35% für das konservativ-liberale Lager sind deshalb gar keine 45,35% der Bevölkerung, sondern nur 45,35% eben jener 82,5%, die es der Mühe wert fanden, ihre Stimme abzugeben. Insgesamt sind das 37,41%. Deutschland in seiner Gesamtheit darf also mit einem eher konservativen Lager von etwa 37,41% der wahlberechtigten Bevölkerung rechnen. Von einer mehrheitlichen Stimmung ist das doch ein Stück entfernt.

Tatsächlich ist das linke Lager bei realistischer Rechnung noch immer größer. Denn dazu muss ich nicht nur SPD, Grüne, Die Linke und das BSW zählen, sondern ebenfalls die etwa 30% der Unions- und der FDP-Wählerschaft, die sich wünschen, dass sich Angela Merkel vor die Kamera stellt und „Wir schaffen das“ sagt. Auch die Partei „Volt“ mit immerhin 0,72% der Stimmen verdient eine Aufnahme. Damit kommt das linke Lager auf einen Anteil von 52,34% der abgegebenen Stimmen, wie man den amtlichen Wahlergebnissen entnehmen kann. Bereinigt man das noch, indem man auf die gesamte wahlberechtigte Bevölkerung umrechnet, so kommt man auf 43,18%. So hoch ist der Anteil der Linksorientierten in der Bevölkerung; die Konservativ-Liberalen erreichten dagegen nur 37,41%.

Die Wahlberechtigten in Deutschland teilen sich somit auf in etwa 43,2% Linke, 37,4% konservativ oder liberal Orientierte, 17,5% Desinteressierte, die nicht zur Wahl gegangen sind, und knapp 2%, die sich auf Kleinstparteien verteilen. Daraus den Schluss zu ziehen, Deutschland habe in seiner Gesamtheit eine eher konservative und liberale Grundtendenz, scheint mir etwas gewagt zu sein.

Und welchen Anteil der Bevölkerung vertritt nun die mutmaßliche neue Regierungskoalition? Im Bundestag hat sie eine Mehrheit von 52%, aber wie sieht es im richtigen Leben aus? Das ist einfach. Die Unionsparteien haben 28,52% der abgegebenen Stimmen erzielt, die SPD ganze 16,41%, zusammen sind das 44,93%. Sie können sich also nicht einmal auf eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen berufen, sondern liegen noch unter 45%. Und selbstverständlich wird das noch deutlicher, wenn man ihren Rückhalt in der Gesamtbevölkerung bestimmt, indem man wieder die Stimmenanteile mit der Wahlbeteiligung in Höhe von 82,5% multipliziert: Gerade einmal 37,07% aller Wahlberechtigten haben dieser Koalition in Gestalt der beiden beteiligten Parteien ihr Vertrauen geschenkt, der Rest hat sich nicht für sie entschieden, weil er entweder andere Parteien oder gar nicht gewählt hat. In einer kurzen Tabelle zusammengefasst:

Unterstützung derRegierung
Pro 37,07%
Contra 45,43%
Egal 17,50%

So sieht der Rückhalt der Regierung in der Bevölkerung aus. Die Zustimmung ist beeindruckend. Inhaltlich trennen beide Parteien Welten, sofern man bei Friedrich Merz noch von Inhalten ausgehen will, aber man darf annehmen, dass sich die rotgrüne Linie durchsetzen wird, da Merz in Wahrheit nur aus einem einzigen Grund Bundeskanzler werden will: um Bundeskanzler zu werden. Von einer Mehrheit gewählt wurden sie nicht, die Mehrheit im Bundestag ist eine künstlich simulierte.

In einem der Romane über den schon kürzlich angeführten schwergewichtigen Detektiv Nero Wolfe beschreibt der Protagonist eine verbrecherische Verschwörung mit den Worten: „Die Verschwörung, wenn man sie so nennen kann, war schlecht durchdacht und verworren, mit so vielen Elementen und beweglichen Teilen, dass sie schließlich unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrach.“ Das gilt auch für die Regierungskoalition, mit der wir es bald zu tun haben werden. Wie lange es dauert, bis sie unter dem Gewicht ihrer eigenen Unfähigkeit zusammenbricht, ist noch unklar. Man kann nur hoffen, dass es dann für eine vernünftige Politik noch nicht zu spät ist.

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Shutterstock

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