Hintergrund sind mutmaßliche Sabotageakte durch die sogenannte russische Schattenflotte. Zu einem Gipfel in Helsinki treffen sich heute Bundeskanzler Olaf Scholz und die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten rund um die Ostsee, um Maßnahmen zur Sicherung der Infrastruktur zu besprechen.
Gipfel und Ziele
Gastgeber des Treffens sind Finnlands Präsident Alexander Stubb und Estlands Ministerpräsident Kristen Michal. Um 11.15 Uhr deutscher Zeit ist eine gemeinsame Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte geplant. Bundeskanzler Scholz wird anschließend eine eigene Stellungnahme abgeben.
Zentrales Thema der Zusammenkunft wird die Sicherheitslage im Ostsee-Raum sein. Dabei soll es vor allem darum gehen, wie man kritische Infrastruktur mit einer stärkeren Nato-Präsenz besser schützen und dabei der Bedrohung durch die sogenannte russische Schattenflotte begegnen kann. Damit sind Tanker und andere Frachtschiffe mit undurchsichtigen Eigentümerstrukturen gemeint, die Russland benutzt, um Sanktionen infolge seines Einmarsches in die Ukraine etwa beim Öltransport zu umgehen. Mittlerweile zählt das Auswärtige Amt insgesamt 79 Schiffe zur Schattenflotte.
Was vorgefallen ist
Mit dem Gipfel reagieren die beteiligten Nato-Länder Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Schweden auf jüngste Vorfälle, bei denen Leitungen und Kabel in der Ostsee mutmaßlich vorsätzlich beschädigt wurden. Darunter war in gleich zwei Fällen im November und am ersten Weihnachtstag auch ein Glasfaserkabel, das zwischen Helsinki und Rostock verläuft. Bei dem Vorfall an Weihnachten wurde unter anderem auch die Stromleitung Estlink 2 zwischen Finnland und Estland gekappt.
Was die russische Schattenflotte damit zu tun haben soll
Nach der Beschädigung von Estlink 2 fiel der Verdacht schnell auf den Öltanker „Eagle S“, der zwar unter der Flagge der Cookinseln fährt, nach Einschätzung der EU aber Teil der Schattenflotte ist. Finnland setzte das Schiff fest und brachte es für Ermittlungen in einen Hafen östlich von Helsinki.
Die Ermittler untersuchen derzeit einen geborgenen Schiffsanker, der zur „Eagle S“ gehören soll. Der Verdacht besteht, dass das Schiff den Anker wissentlich auf einer Länge von rund 100 Kilometern über den Meeresgrund gezogen haben soll, um so Schäden anzurichten. Gegen mehrere Besatzungsmitglieder wurden Reiseverbote verhängt.
Ganz ähnlich sollen schon im November Schäden an zwei Glasfaserkabeln entstanden sein, darunter das besagte zwischen Helsinki und Rostock. Damals geriet das chinesische Schiff „Yi Peng 3“ unter Verdacht, die Schäden verursacht zu haben. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hatte bereits kurz nach Bekanntwerden der Beschädigungen davon gesprochen, dass man von Sabotage ausgehen müsse.
Polizisten aus Deutschland und anderen Nato-Staaten durften den Frachter Wochen später zwar gemeinsam mit Kollegen aus China betreten – an der Abfahrt aus internationalen Gewässern im Kattegat zwischen Dänemark und Schweden konnten sie die „Yi Peng 3“ aber nicht hindern.
Gefahren für die Infrastruktur und die Umwelt
Auch wenn die Kabelbeschädigungen keine unmittelbaren Folgen für die Verbraucher in den betroffenen Ländern hatten, stellt das Vorgehen eine Gefahr für die kritische Infrastruktur der Bündnispartner dar. Die Bundesregierung weist auch darauf hin, dass etwa Kabel und Pipelines unter Wasser viel schwieriger zu reparieren seien als andere Infrastruktur an Land. Zudem seien die Verursacher ohne eine stärkere Überwachung kaum zu identifizieren.
Das zeigt auch die Beschädigung der Ostsee-Pipeline Balticconnector im Herbst 2023: Technische Untersuchungen erhärteten damals zwar den Verdacht gegen das chinesische Contrainerschiff „Newnew Polar Bear“, die Gasleitung mit seinem Anker beschädigt zu haben – ob es sich um bewusste Sabotage handelte, ist aber bis heute ungeklärt.
Der Einsatz veralteter und maroder Schiffe birgt zudem Umweltgefahren. In dem Zusammenhang verweist die Umweltschutzorganisation Greenpeace auf den manövrierunfähigen Tanker „Eventin“, der mit fast 100.000 Tonnen Öl an Bord am Freitag in der Ostsee nördlich von Rügen havarierte – und nach Angaben der Organisation ebenfalls zur Schattenflotte zählt. Die Tanker der Flotte stellten eine ständige Bedrohung dar, monierte Greenpeace-Experte Thilo Maack. „Schrott bleibt Schrott und gehört nicht aufs Wasser.“
Wie die Nato gegen die Schattenflotte vorgehen will
Im Kampf gegen die Schattenflotte will die Nato ihre Präsenz in der Ostsee nun deutlich ausweiten. Dazu startet sie einen Einsatz zur besseren Überwachung des Meeres. Die beiden Nato-Neumitglieder Finnland und Schweden haben bereits angekündigt, sich mit Schiffen daran zu beteiligen. Auch Deutschland wird Pistorius zufolge mit einem „starken Beitrag“ bei dem Einsatz dabei sein.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sollen insgesamt etwa zehn Schiffe an dem Einsatz beteiligt sein. Aus der Bündniszentrale in Brüssel gab es vor dem Gipfel bislang keine offiziellen Angaben dazu.
Estland lässt bereits ein Marineschiff im Finnischen Meerbusen patrouillieren. Seit Jahresbeginn hat sich die „EML Sakala“ einem Rundfunkbericht zufolge Hunderten fremden Schiffen genähert. Geprüft worden sei dabei etwa auch, ob ihnen womöglich Anker fehlten oder sie etwas hinter sich herschleiften.
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Author: [email protected]