Ich muss vorweg etwas loswerden. Ich weiß, dass viele meiner Leser einen Doktortitel tragen. Und ich weiß, dass darunter viele sind, die ihn redlich erworben haben, sich nie etwas darauf eingebildet haben und schon gar nicht darauf wert legen, dass man sie mit dem Titel anspricht Erst kürzlich traf ich einen Schuldfreund, Oberarzt, der seinen Titel explizit nicht führt und ihn auch nicht in den Pass eintragen ließ. All diesen Doktoren gilt mein ausdrücklicher Respekt. Was jetzt folgt, ist keine Kritik an akademischer Leistung. Sondern an akademischer Eitelkeit.
Ich habe einen angeheirateten Verwandten in Russland – der mir erst nach vielen Jahren erzählte, dass er einen Doktortitel führt. Irgendwann am Rande, als ich ihn nach seiner Uni-Ausbildung fragte. Es war ihm einfach nicht wichtig, dass er ein russischer “Kandidat der Wissenschaften” ist, also für deutsche Verhältnisse ein vollwertiger Doktortitel. Ich war baff. Er hatte das nie auch nur angedeutet. Warum auch? In Russland ist der Titel für Wissenschaft da, nicht fürs Klingelschild. Niemand würde ihn in den Pass schreiben. Niemand braucht ihn zur Reviermarkierung.
Ganz anders Deutschland. Hier wird der Doktortitel mit einer Inbrunst gefeiert, als sei er Eintrittskarte in die Aristokratie. “Dr.” auf dem Ausweis? Aber selbstverständlich. “Prof. Dr. Dr. h.c. mult.” auf dem Kanzleischild? Na klar. Der Titel ist nicht nur akademisches Prädikat, sondern soziales Erkennungszeichen. Wie bei den Pavianen der rote Hintern. Wer ihn hat, zeigt ihn. Wer ihn nicht hat, leidet unter stiller Scham oder überkompensiert.
Ich übertreibe? Dann lesen Sie mal den aktuellen Fall des Düsseldorfer Anwalts Professor Dr. Ingo Bott. Der Mann stellt seinem Namen ein stattliches „Prof. Dr. Dr. h.c.“ voran – und verteidigt gerade die Steakhaus-Erbin Christina Block in einem Sorgerechtsstreit. Doch wie „Bild“ berichtet, ist zumindest ein Teil dieses akademischen Prachtbaums offenbar fragwürdig gewachsen. Bott führt seinen Professorentitel „honoris causa“ – also ehrenhalber – von einer Universität in Peru. Böse Zungen behaupten, dass solche Ehrentitel dort ähnlich großzügig verteilt werden wie Bananen im Amazonas. Auch Botts „Dr. h.c.“ stammt aus Südamerika.
Wie fragil muss ein Ego sein, wenn es von einem solchen Titel abhängt? Für mich ist das das intellektuelle – auch wenn ich dieses Wort in diesem Zusammenhang eher ungern benutze – Analog zum Manta (alle, die diesen Wagen wirklich lieben, mögen es mir verzeihen).
Fast hätte ich jetzt geschrieben: Gut, dass wir in Deutschland noch wissen, was echte Berufung bedeutet – und was nur ein botanisch verblüffender Titelregen ist. Aber das hätte mich selbst in genau jene Denkweise geführt, die ich hier kritisiere: als gäbe es eine objektiv gültige, deutsche Instanz zur Titelseligkeit, die per se über den anderen steht.
Denn genauso irre wie die Titel-Pusseligkeit von Bott ist in meinen Augen der Neid, den sie hervorruft. Der Passauer Strafrechtsprofessor Holm Putzke spricht laut Bild im Fall Bott sogar von einer möglichen Strafbarkeit wegen Titelmissbrauchs. Der Anwalt hätte laut Gesetz hinter jedem ausländischen Titel angeben müssen, von welcher Uni er ihn hat. Dass das jede Visitenkarte sprengen kann, scheint im titelverliebten Deutschland kaum jemanden zu stören. Titelsammler Bott fühlte sich offenbar ertappt – jedenfalls wurde seine Website inzwischen korrigiert. Und titelärmer. Was für ein absurdes Theater. Es geht um die feine Linie zwischen Show und Schmu – und Bott ist nicht der Erste, der diese Linie in Deutschland überschreitet.
Nur bei uns – und in Österreich – wird aus den Titeln ein Fetisch. Und eine ständige Falle für Eitle: Wer sich jahrelang mit Doktor-Titel schmückt, muss mit dem Plagiatsprüfer leben. Guttenberg, Giffey, Schavan – allesamt hochgeflogen, tief gefallen. Nicht wegen fehlender Kompetenz, sondern wegen hypertropher Titelsucht.
Ich habe mir über die Jahre eine Faustregel zurechtgelegt: Wer im ersten Gespräch auf seinem “Dr.” oder “Prof.” besteht, ist mit Vorsicht zu genießen. Wer aber sagt: “Lassen Sie das ruhig weg, ich bin einfach nur …”, der verdient doppelte Hochachtung. Einer meiner Gastautoren, Professor Dr. Thomas Rießinger, schrieb mir gleich in seiner ersten Mail: “Bitte lassen Sie den Professor und den Doktor weg. Ich bin einfach nur Thomas Rießinger.” Diese Haltung – im alten Wortsinne – ist es, die echte akademische Größe zeigt.
Ein anderer befreundeter Professor sagte mir vor einigen Jahren: „Inzwischen gibt es in Deutschland so viele Privathochschulen, dass man dort zum Teil ohne großen Aufwand einen Professoren-Titel bekommen kann – mit einer echten Professur hat das kaum noch etwas zu tun.“ Der inflationäre Gebrauch entwertet den Titel.
Zwei Beispiele: Ex-ZDF-Frau Gabriele Krone-Schmalz ist Professorin im Studiengang „TV, Journalistik & Medienwissenschaften“ an der privaten Fachhochschule Business and Information Technology School (BiTS) in Iserlohn.
Der heutige SWR-Intendant Kai Gniffke nennt sich ebenfalls Professor – bei einer Honorarprofessur für „Journalismus in der digitalen Transformation“ an der Hochschule Mittweida in Sachsen. Keine klassische Berufung eben, sondern ein Nebenjob. Und nur für den Titel?
In Russland würde man über solche Figuren vermutlich lachen. Dort gibt es den Spottbegriff „Профессор кислых щей“ – also „Professor für saure Kohlsuppe“. Ursprünglich richtet sich dieser Ausdruck nicht gegen falsche Titelträger, sondern gegen Menschen, die sich mit völlig belanglosen Themen übermäßig wichtig machen. Aber das Bild passt auch hier: ein wohlklingender Titel – und darunter nur dünne Brühe.
Ich bin mir sicher: Wer wirklich etwas zu sagen hat, braucht keine zwei Buchstaben davor. Der rote Hintern mag in der Tierwelt imponieren. In der Zivilisation reicht im Zweifel ein klarer Kopf.
PS: Inzwischen ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft gegen Professor Dr. Dr. h.c. Bott – wegen möglichem Titelmissbrauch. In Deutschland also ein Fall für die Justiz. In Russland bestenfalls ein Fall für die Kabarettbühne.
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