Patriotismus, Liebe und Wertschätzung zum Eigenen und der Wille, was man befürwortet, auch zu verteidigen, gibt es nicht zum Nulltarif. Es will vehement erkämpft und verteidigt werden – selbst dann noch, wenn darunter die Karrierewünsche leiden.
Wo es mehrheitlich langjährige Berufspolitiker sind, die weitreichende politische Entscheidungen treffen, fällt es den Protagonisten zunehmend schwer, die Liebe zum Eigenen mit der dafür notwendigen Konsequenz zu verteidigen. Der eine oder andere ringt sich gerade noch zu einer flammenden Interviewrede durch. Aber erst dann, wenn die Politik hinter ihm liegt, wenn das fortschreitende Alter die Karriere beendet hat.
Das ist übrigens auch ein Grund dafür, dass prominente Konservative aus Politik und Medien oft den Eindruck einer Altherrenriege machen oder so wahrgenommen werden.
Konkret an einem aktuellen Beispiel: Der heute 75-jährige ehemalige bayerische Ministerpräsident und spätere Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sich 2021 direkt vom Amt weg in den Keller seines Ferienhauses zur Modelleisenbahn verabschiedet. Ausgerechnet der „Spiegel“ durfte mit hinabsteigen zur 1:87-Eisenbahn. Das Magazin schrieb über den weiteren Verlauf des Gesprächs: „Seehofer lädt zunächst zum Gespräch ins Wohnzimmer, er trägt Pantoffeln.“ Irgendwo an einem Bahnhof auf der Platte wird Horst von Angela erwartet. Der Leibhaftige nimmt die Playmobilfigur eine Weile in die schwielenlosen Hände und schaut versonnen.
Horst Seehofer erinnert sich 2021 an die damals schon wieder sechs Jahre zurückliegenden Verhandlungen zur Migrationsfrage. Die Kanzlerin sei zwischen den Räumen der CDU und der CSU mit immer neuen Vorschlägen hin- und hergependelt:
„Und wir haben einen Kompromiss gefunden, keinen idealen, aber so ist das in der Politik. Das werden Sie mit der Ampel noch mehr erleben.“
So ist das in der Politik? Seehofer war mal einen Moment lang kämpferisch, als er die Politik der Kanzlerin als Ministerpräsident von München eine „Herrschaft des Unrechts“ nannte. Als Bundesinnenminister gab es noch einen verbalen Moment des Aufbegehrens, als Seehofer die Migration wortgewaltig „Mutter aller Probleme“ nannte. Aber da rauchte der abgeschossene Colt schon nur noch.
Mit der Last des Amtes kamen zunehmend kleinere Brötchen auf den Tisch. Beispielhaft dafür steht eine Szene, als Seehofer halb entschuldigend, halb resignierend in etwa befand, für seine Vorstellungen zur Migrationspolitik gäbe es in der Koalition aktuell keine Mehrheiten. Kämpferisch geht anders, der Münchner Löwe schon mit einer Hirnhälfte bei der Modelleisenbahn und mit der anderen als Bettvorleger der Kanzlerin gestrandet.
Vor wenigen Tagen meldete sich Seehofer aus seinem Keller zurück und gab dem Bayerischen Rundfunk ein Interview. Warum überhaupt, wird er nachher selbst nicht mehr gewusst haben, allein dieser Hauch von Aufmerksamkeit mag sich für den vielleicht größten Scheiterer von allen unter den konservativen Migrationskritikern noch einmal gut angefühlt haben.
Das Erstarken der AfD bringt Seehofer mit dem Migrationskurs der Kanzlerin zusammen. Das klingt dann auch wieder so, als ginge es mehr um die Verhinderung der AfD als um eine Absage der Bürger an den Migrationswahnsinn. Die AfD wird aber längst nicht mehr aus Trotz gewählt, sondern als Volkspartei im Osten, weil immer mehr Bürger sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten sehen und die AfD explizit wegen ihrer Positionen wählen.
Seehofer ist der Kubicki der CSU. Er sagte jetzt gegenüber dem Bayerischen Rundfunk (BR), Merkel habe eine falsche Migrationspolitik gemacht und ein zweiter Fehler bestehe darin, dass sie ihren Irrtum bis heute nicht zugeben wolle. Aber was war Seehofers Rolle? Er hat diese Entscheidung als Partner der Merkel-Regierung 1:1 mitgetragen. Es gab nie eine Aufkündigung der Koalition von Seiten der CSU. Seehofer kämpft gegen Windmühlen dagegen an, nur als williger Wurmfortsatz der Kanzlerin in die Geschichtsbücher einzugehen.
Es ist ein lupenreines Greenwashing, wenn Seehofer 2025 für seine Partei reklamiert, die CSU habe „schon immer für eine Begrenzung der Zuwanderung“ gestanden.
Seehofer erklärt dem BR:
„Seit der fatalen Fehlentscheidung von Angela Merkel 2015, die Grenzen aufzumachen oder durchlässig zu machen, haben wir das Aufwachsen der AfD. Sie sind dann in alle Parlamente eingezogen.“
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Aber was für eine Geschichte soll das sein? Das kann man abkürzen: Die Bürger haben sich gegen die Migration entschieden. Und damit auch gegen die CSU, die im Gepäck von Merkel ein Befürworter der illegalen Massenmigration geworden ist: Was wir nicht bekämpfen, billigen wir automatisch.
Heute wiederholt Seehofer die Legende, ihm seien damals die Hände gebunden gewesen:
„Da können Sie Innenminister sein, so lange Sie wollen: Wenn der Kanzler diese Grundlage nicht mitträgt, können Sie nichts machen.“
Der BR vergisst leider, bei Seehofer nachzufragen: Konnten Sie wirklich nichts machen? Warum wurden Sie zum Mitläufer, anstatt Merkel öffentlich zu sagen: Da mache ich nicht mit? Für welche patriotische Heldentat wollen Sie heute Absolution bekommen? Es gab schlicht keine!
Seehofer behauptet heute, Friedrich Merz und Alexander Dobrindt könnten die Migration jetzt beenden. Aber wo war Merz, als die CDU die illegale Massenmigration installierte, das Asylgesetz pervertierte, als Jahr für Jahr die Kriminalstatistiken immer schlimmer verbogen wurden und jeder Kritiker zu einem Nazi gemacht wurde? Merz hat einfach brav den Mund gehalten und über Jahre hinweg kein einziges kritisches Wort in Richtung Merkel geäußert – von 2021 bis 2025 gab es faktisch keinen Oppositionsführer, denn das wäre die Rolle der Union unter Merz gewesen.
Das ging sogar so weit, dass Merz seinen Sekretär Linnemann anwies, in Sachen Wahlkampfhilfe die Fühler nach Merkel auszustrecken – es muss doch eine Belohnung für das Stillhalteabkommen geben. Aber Merkel lehnte dankend ab.
Sie setzte sogar noch einen drauf und kritisiert heute sogar noch das klägliche bisschen Migrationsbegrenzung von Merz, das noch übriggeblieben ist. Und an der Stelle muss sich Seehofer an die lange Kette an Demütigungen erinnert haben, die ihm Merkel verpasst hat: Er will Merz und Dobrindt zur Seite springen – wohl auch in der Hoffnung, wieder aus dem Modellbaukeller herauszufinden. Dort unten, wo die Lokomotiven noch nach seiner Pfeife tanzen, wenn nicht doch irgendwo eine kleine Schraube locker war, die jetzt auf den Schienen liegt und die Suche nach dem Schaltfehler wieder bis in die Morgenstunden ausdehnt.
Seehofers Offenbarungseid in einem Satz:
„Wenn wir Millionen plötzlich an Zuwanderung haben, wie es jetzt die letzten zwei Jahre war, aber auch 2015 und 2016, dann stellen wir fest, dass wir es einfach nicht mehr schaffen.“
Nein, das war kein Kavaliersdelikt! Seehofer ist Hauptverantwortlicher. Er hat sich vor seiner Verantwortung gedrückt und ist im Eisenbahnkeller seines Ferienhauses verschwunden. Dorthin, wo die Seehofer-Welt noch in Ordnung ist.
Andere, wie Hans-Georg Maaßen, der damalige Chef des Bundesverfassungsschutzes – der schon mal freundliche Worte für seinen Ex-Chef übrig hatte – hatten aufbegehrt und mussten gehen. Maaßen mag es anders sehen, aber von außen betrachtet, hat Seehofer auch hier keine gute Figur gemacht. Ein Knuddelbär hat keinen geraden Rücken.
Der BR zitiert Seehofer: „Ich habe die große Hoffnung im Herzen, dass die neue Regierung unter Friedrich Merz eine gute Politik macht.“ Vom Herzen zum Bauch: Der wiederum sorgt bei immer mehr Bürgern für ein untrügliches Bauchgefühl, dass exakt das Gegenteil der Fall sein wird.
Und um in der Eisenbahnersprache zu bleiben, damit uns der Ex-Minister auch versteht: Horst Seehofer war Merkels „Schlepptender“, der Brennstoff und Wasser für die Dampflok bereithält. Der Mehrheitsbeschaffer. Ein Schlepptender ist unmittelbar mit der Lokomotive gekuppelt. Und manchmal wurde Seehofer gestattet, ein bisschen Dampf abzulassen. Der schrille Ton war laut und kräftig, aber außer heißem Dampf ist unserem Pantoffelpatrioten nichts geblieben.
Die Modelleisenbahn soll sein Leben nacherzählen, berichtet Seehofer Modelleisenbahnfreunden von der Saar. Hier der Bonner Bahnhof, dort das Berliner Pendant. Aber die Abbildung der Realität stößt an ihre Grenzen: Nirgends sind Gruppen von illegalen Migranten zu sehen, die mittlerweile das Bild der deutschen Bahnhöfe prägen. Diesen Teil seines Lebens und der persönlichen Verantwortung blendet Horst Seehofer lieber aus – nichts soll seine Erinnerungen trüben.
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Author:
Alexander Wallasch