Julian Reichelt steigt via X gegen den AfD-Bundestagsabgeordneten Torben Braga in den Ring.
Das müssen Sie gelesen haben. Reichelt und Braga beziehen sich auf ein Interview zwischen dem Reichelt/Nius-Mitarbeiter Alexander Kissler und der MdB Beatrix von Storch (AfD).
Braga beginnt, dann folgt Reichelt.
Dieses Interview ist eine Zumutung. Allerdings nicht – wie so oft – wegen eines schwachen Gesprächspartners. Beatrix von Storch liefert wie gewohnt starke und klare Antworten. Der Totalausfall heißt in diesem Fall Alexander Kissler.
Was Kissler der AfD unterstellt, ist intellektuell wie politisch abwegig: Ein „ungeklärtes Verhältnis“ zum Existenzrecht Israels und zu dessen Recht auf Selbstverteidigung? Wann, wo, von wem in der AfD wurde je auch nur im Ansatz infrage gestellt, dass Israel ein Recht darauf hat, zu existieren und sich zu verteidigen? Ein absurder Vorwurf – haltlos und durch nichts zu belegen, und den nicht einmal die Skandal- und Satirebehörde „Verfassungsschutz“ zu äußern wagte.
Kissler unterstellt darüber hinaus mir persönlich, das Existenzrecht Israels oder sein Recht auf Selbstverteidigung zu relativieren – einzig deshalb, weil ich in meiner Bundestagsrede bestimmte Aspekte und Auswüchse des israelischen Vorgehens in Gaza kritisiert habe. Auch das: absurd!
Oder heißt „Existenzrecht Israels“ heute, dass Israel im Gazastreifen alles tun darf, was es für richtig hält – ungeachtet von Maß und Mitte, von internationalem Recht oder der Wirkung auf Zivilisten? Heißt „Selbstverteidigung“ automatisch, dass man Hunger als Waffe einsetzen, ganze Stadtteile bombardieren und humanitären Zugang systematisch verwehren darf – auch dann, wenn der Kampf gegen die Hamas kaum mehr erkennbar ist? Wer Kritik an solchen Auswüchsen mit Infragestellung von Israels Existenzrecht gleichsetzt, betreibt eine moralisch fragwürdige Form der Immunisierung – und ersetzt Debatte durch Gehorsam.
Was Kissler als „souveränistisch“ verspottet, ist in Wahrheit: Die Formulierung deutscher Standpunkte! Außenpolitik aus dem Blickwinkel unserer Interessen und Werte. Frei von ideologischer Fremdsteuerung, unabhängig und nüchtern in der Bewertung jeder Lage – auch der israelischen. Gerade weil uns mit Israel so vieles verbindet, gerade weil Deutschland dem jüdischen Staat historisch verpflichtet ist, braucht es die Fähigkeit zu klarer, auch kritischer Analyse. Wer das unterbindet, entwertet Erinnerungskultur zur Erpressungskultur.
Dass in einer großen, im Osten stark verankerten Partei wie der AfD unterschiedliche Haltungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit des israelischen Vorgehens existieren, ist selbstverständlich – und vor allem: legitim. Innerparteiliche Debatten und unterschiedliche Akzente gehören zur politischen Reife einer Volkspartei. Dafür gibt es in Bundestagsdebatten unterschiedlich lange Redezeiten und mehrere Rednerplätze: um verschiedenen Nuancen, die in großen Fraktionen eher vorhanden sind als in kleinen, Ausdruck zu verleihen. Dass sich in einer Fraktion nicht alle Wortbeiträge zu 100 % gleichen, ist kein Skandal, sondern gelebte demokratische Debattenkultur. Also mal wieder ein Totalausfall bei Kissler, der grundlegende Aspekte der Arbeitsweise in Parlamenten nicht zu begreifen scheint.
Schließlich das Gefährlichste an diesem Interview: die gezielte Vermengung der Debatten zu Gaza und zum Iran. Wer – wie ich – das Vorgehen Israels in Gaza inzwischen kritisch sieht, stellt laut NIUS automatisch auch das Recht auf Selbstverteidigung gegen einen möglichen iranischen Atomwaffenbau infrage? Diese Gleichsetzung ist entweder grob fahrlässig oder vorsätzlich irreführend. Die Bewertung eines Präventivschlags gegen militärische Infrastruktur in einem Land mit offenem Vernichtungswunsch gegenüber Israel ist eine völlig andere Frage – in ihrer rechtlichen, moralischen und sicherheitspolitischen Dimension. Dass diese Unterscheidung Kissler und NIUS offenbar nicht gelingt – oder nicht gelingen soll – ist bezeichnend. Gerade zur Frage des israelischen Vorgehens gegen den Iran hatte ich zudem erst vor wenigen Tagen eine ausführliche Stellungnahme hier auf X veröffentlicht, auf die Beatrix von Storch im Gespräch dankenswerterweise auch verweist. Dass Kissler diese Differenzierung vollkommen ignoriert, ist kein Versehen – es ist Methode.
Am Ende des Gesprächs wird dann auch deutlich, worum es Alexander Kissler in Wahrheit geht. Er fragt Beatrix von Storch, ob im am Dienstag tagenden außenpolitischen Arbeitskreis der AfD-Bundestagsfraktion ein „intellektuell und moralisch befriedigenderes Statement“ entstehen werde – gemeint ist: befriedigender für ihn als das knappe, sachliche Pressestatement der Bundessprecher Tino Chrupalla & Alice Weidel zum Israel-Iran-Konflikt. Schon diese Fragestellung offenbart, dass Kissler offenkundig nicht in der Lage ist, zwischen einem kurzen Sprecherstatement und einem ausführlichen außenpolitischen Positionspapier zu unterscheiden (trotzdem Beatrix von Stoch mehrfach darauf hinweist). Das ist – bei allem Respekt – die eigentliche intellektuelle Zumutung dieses Gesprächs.
Was Kissler offenbar ebenfalls nicht begreift: Eine Oppositionspartei hat keinen außenpolitischen Hebel, um „fette Beute!“-Rhetorik, Tötungsaufrufe gegen Ayatollahs oder Forderungen nach einer „Auslöschung des Mullah-Regimes“ in praktische Politik zu überführen. Solche Kriegsrhetorik wäre nicht nur wirkungslos, sondern auch verantwortungslos. Der Anspruch, eine Alternative für Deutschland zu sein, heißt eben nicht, reflexartig das zu wiederholen, was alle anderen bereits sagen – sondern dort eine Stimme zu setzen, wo bisher keine ist: Die Stimme der Vernunft, der Zurückhaltung, der nüchternen Interessenorientierung. Und ja: Vor allem im Konflikt zwischen Israel und Iran fehlt in Deutschland derzeit fast vollständig eine gemäßigte, auf Deeskalation bedachte Position. Eine Stimme, die auf die Kollateralschäden und Opfer jeder militärischen Eskalation hinweist und betont, dass ein offener Krieg in dieser Region – ganz gleich aus welchem Anlass – niemals im deutschen oder europäischen Interesse liegen kann.
Aber das reicht Kissler nicht. Oder er versteht es nicht. Was er verlangt, ist vorbehaltlose Solidarität mit Israel – unabhängig von den konkreten Umständen, unabhängig von der Lage, unabhängig von Maß, Mittel und Wirkung. Eine solche Position aber ist mit einer Politik, die den Anspruch erhebt, eine Alternative für Deutschland zu sein, nicht vereinbar.
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Julian Reichelt nimmt den Ball auf, springt seinem Mitarbeiter als Chefredakteur zur Seite und erwidert https://x.com/jreichelt/status/1936338451730722911 :
Lieber Herr Braga, zwei Punkte dazu: 1.
Beatrix von Storch hat es eigentlich gar nicht nötig, einem ganz normalen kritischen Interview, in dem sie sehr klar und gut gelaunt ihre Standpunkte vertreten hat, noch mal unzählige Zeilen Heulsusigkeit und Rumopferei hinterher zu jammern. Die AfD bewirbt sich um Macht – kritische Fragen sind die Begleiterscheinung, besonders in so zentralen Fragen deutscher Politik.
2. Wenn die AfD Israel auffordert, sich nicht gegen eine existenzielle Bedrohung zu verteidigen („Mäßigung“) und diese auszuschalten, dann stellt die AfD die Existenz Israels objektiv ins Risiko, was man durchaus als ungeklärtes Verhältnis zum Fortbestand Israels bezeichnen kann. Das Recht (auf Existenz), das ist ja sonst ein zentrales Argument der AfD, ist vollkommen wertlos, wenn es nicht durchgesetzt wird (siehe deutsche Grenze). Was die AfD für Israel derzeit fordert, ist höchstens Recht ohne Durchsetzung, ein Zustand, den Sie in Deutschland stets beklagen, übrigens genau da, wo es um Fortbestand und Existenzrecht der deutschen Identität geht. Die Deutschen sollen ihr Recht auf Fortbestand durchsetzen, aber die Israelis nicht?
„Ungeklärt“ ist auch ein sehr treffender Begriff, weil es dazu in der AfD ja durchaus unterschiedliche Meinungen gibt. Nicht zu wollen, dass Medien Richtungsstreitigkeiten von Parteien Herausarbeiten (und dazu die Partei auch noch anhören), ist wirklich sowas von „Altpartei“.
2a. Um es noch mal ganz deutlich und vielleicht besser verständlich zu machen: Wenn ein Islamist in Deutschland offen ankündigt, massenhaft Menschenleben auszulöschen und dabei ist, sich die Waffen, den Sprengstoff dafür zu beschaffen, dann darf und muss der Staat ihn mit Gewalt davon abhalten. Alles andere würden Sie zurecht als Skandal bezeichnen.
Ich persönlich finde es unproblematisch, dass die AfD eine „Deutschland zuerst“-Politik vertritt und damit vor allem Sicherheit und Existenz der Deutschen meint. Aber das sollten Sie Israel dann auch zugestehen.
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Author:
Alexander Wallasch