Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Vieles spricht dafür, dass die Niveau-Skala für Politiker nach unten offen ist. Am 11. Juli 2025 trat Britta Haßelmann, Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei des infantilen Totalitarismus, die man auch als Grüne bezeichnet, an das Rednerpult des Deutschen Bundestages und begann ihre Rede, unterstützt von einem eher weinerlich-pastoralen Gesichtsausdruck, mit den pathetischen Worten: „Heute ist ein schlechter Tag für das Parlament, für die Demokratie und für das Bundesverfassungsgericht.“ Es hat mich ein wenig gewundert, dass sie nicht „für unsere Demokratie“ statt einfach „für die Demokratie“ gesagt hat, da ist offenbar noch etwas Luft nach oben.
Nach diesen einleitenden Worten schaut sie mit trauriger Miene ins Plenum, macht eine kurze Pause und fährt fort. „Es ist eine unverantwortliche Situation, in die Sie, Jens Spahn, uns gebracht haben.“ Nun ist aber eine Situation in der Regel weder verantwortlich noch unverantwortlich, sondern allenfalls die Handlungen, die zu einer Situation führten, aber mit sprachlicher Präzision hält sich Haßelmann nicht auf; es genügt, dass sie traurig-betroffen in die Welt blickt. Ihr nächster Satz ist grammatisch etwas unklar, und ich darf ihn hier so wiedergeben, wie ich ihn gehört habe: „Und deshalb haben wir heute, zu Bündnis 90/Die Grünen, und ich bin froh und dankbar, dass die SPD die gleiche Auffassung hat, dass heute keine Wahl stattfinden kann.“ Man versteht, was sie sagen will, die sprachliche Prägnanz entspricht jedoch etwa der von Annalena Baerbock; die Fraktionszugehörigkeit scheint abzufärben.
Danach geht sie wie eine Grundschullehrerin kurz vor der Frühpensionierung mit einem CDU-Abgeordneten ins Gericht, weil er die „Ernsthaftigkeit der Situation im Land und hier im Parlament für das Verfassungsgericht nicht einschätzen zu können“ scheine. Das ist nun auch wieder ein Muster an Klarheit; was soll denn die Situation im Land für das Verfassungsgericht konkret bedeuten? Hauptsache, irgendwer kann die Ernsthaftigkeit nicht einschätzen, denn Britta Haßelmann hat mit passenden Einschätzungen selbstverständlich keine Probleme. Doch sie ist noch nicht am Ende. „Einen solchen Vorgang wie diesen, ein solches Desaster hat es in der Geschichte der Wahlen zum Bundesverfassungsgericht in diesem Hohen Haus noch nicht gegeben.“ Dass es einen solchen Vorgang noch nie gegeben hat, will ich ihr gerne zugestehen, aber warum stellt es wohl ein Desaster dar, wenn frei gewählte Abgeordnete eines Parlaments ihrer Gewissensfreiheit folgen und eine Kandidatin wofür auch immer nicht wählen wollen? Es ist nur dann ein Desaster, wenn man die Parlamentarier als Stimmvieh betrachtet, das gehorsam das zu tun hat, was der gute Hirte – Verzeihung: der Fraktionschef – mit seinen Kollegen aus anderen Fraktionen ausgekungelt hat. Ein grünes Demokratieverständnis, das nicht überraschen kann.
Aber hören wir weiter. „Und die Verantwortung dafür tragen in allererster Linie Sie, Jens Spahn, und auch Sie, Herr Merz, das will ich ganz eindeutig sagen.“ Welch ein großartiges Stilmittel, Spahn nicht als „Herr Spahn“, sondern als „Jens Spahn“ anzusprechen, während sie Merz doch zugesteht, dass er ein „Herr“ ist! Spahn trägt also die Hauptverantwortung dafür, dass seine Abgeordneten nicht spuren. Schon wahr, zu Zeiten der DDR-Volkskammer oder auch heute im chinesischen Nationalen Volkskongress wäre das nicht passiert, da kann man schon mal jammern.
Im Anschluss kommt sie tatsächlich auf die Idee, den Amtseid der Minister ins Spiel zu bringen, ihren alten Freund Robert Habeck hat sie das vermutlich nie gefragt. „Sie haben Ihren Amtseid geschworen darauf, Schaden vom Volk abzuwenden und Gerechtigkeit.“ Streng genommen behauptet sie im Rahmen ihrer unübertrefflichen Redekunst, man schwöre darauf sowohl Schaden als auch Gerechtigkeit vom Volk abzuwenden, aber ich gehe zu ihren Gunsten davon aus, dass sie einfach das passende Verb für die Gerechtigkeit vergessen hat. Wieder einmal schimmert Baerbocks Erbe durch. Sie fährt fort: „Und mit dem heutigen Tag nimmt das Bundesverfassungsgericht und alle in Rede stehenden Kandidierenden, die im Richterwahlausschuss eine Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen haben, erheblichen Schaden, und den verantworten Sie.“ Spahn hat zweifellos eine Menge an Schäden zu verantworten, die in seiner Ägide als Gesundheitsminister während der sonderbaren PCR-Pandemie verursacht wurden, doch es erschließt sich nicht unmittelbar, warum das Gericht und die Kandidaten – von Haßelmann natürlich gegendert – erheblichen Schaden genommen haben sollen. Ein Kungelausschuss, der sich Richterwahlausschuss nennt, hat drei Kandidaten durchgewunken, über die sich keiner der Beteiligten übermäßig viele Gedanken gemacht haben dürfte. Die Abgeordneten – frei in ihrer Entscheidung, auch wenn das Grüne nicht verstehen – wollten dem Vorschlag nicht folgen. Das ist ihr Recht. Das Verfassungsgericht kann nicht dadurch beschädigt werden, dass sich Abgeordnete ausnahmsweise an das Grundgesetz halten und ihr Mandat frei ausüben, woraufhin die Wahl erst einmal nicht stattfindet. Und die Kandidaten, sofern sie etwas mit Demokratie am Hut haben, sollten damit leben können, dass sie für den Moment nicht gewählt wurden.
Und weiter im Text. „Es ist Ihre Unfähigkeit als Fraktionsvorsitzender“, eine Unfähigkeit, die sie gleich darauf spezifiziert. „Sie haben vor rund fünf Wochen Katharina Dröge und mir gemeinsam mit ihrem Fraktionsvorsitzenden-Kollegen Matthias Miersch einen gemeinsamen Vorschlag gemacht, man muss sich das im Mund zergehen lassen, einen gemeinsamen Vorschlag für drei zu Wählende Kandidierende.“ Das zergehen Lassen hätte sie besser durchgeführt, dann hätte sie den Mund nicht zu ihrer Rede öffnen können. Aber wo liegt eigentlich das Problem? Fraktionsvorsitzende haben einen gemeinsamen Vorschlag gemacht, und eine der Fraktionen konnte an diesem Vorschlag, zu dem man sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht konsultiert hat, keine rechte Freude mehr finden. Es ist das Wesen von Vorschlägen, dass sie von allen Beteiligten abgelehnt werden können, nur dass Haßelmann wohl vergessen hat, dass auch das Fußvolk, die einfachen Parlamentarier, zu diesen Beteiligten gehören. Ich weiß, das wäre ja demokratisch, und so etwas mögen Grüne nicht. Und es gibt auch in einer Demokratie – außer in „unserer Demokratie“ – keine Vorschläge für „drei zu wählende Kandidierende“, sondern höchstens für drei zur Wahl stehende Kandidaten, ein feiner Unterschied, den man nicht ganz außer Acht lassen sollte.
Recht mag sie haben mit dem Vorwurf, Spahn wolle sich nun heraus stehlen mit der Ausrede, mit den beiden Kandidaten der SPD habe man ja nichts zu tun gehabt. Das könne er seiner Fraktion versuchen zu erzählen, „aber nicht uns, denn wir waren dabei.“ Ob er das seiner Fraktion erzählen wollte, spielt allerdings keine Rolle. Tatsache ist und bleibt, dass die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterworfen sind und nicht dem, was Spahn ihnen vielleicht erzählt oder was er gar mit Haßelmann und anderen Gestalten vereinbart hat. „Wir waren dabei“ – ist sie auch noch stolz auf die Kungelrunde?
Nun kommt sie endlich auf den eigentlichen Feind zu sprechen: Es sei unverantwortlich, was hier getrieben werde, „wie auf rechte News-Portale in Ihrer Fraktion offenbar Einfluss genommen wird, sodass man heute wegen angeblicher Plagiatsvorwürfe, die dieser Mann gegen alle und jeden in der Republik erhebt und die er gerade wieder revidiert hat, die Karriere einer Frau so zu gefährden. Und ich sag’ das einmal an alle Frauen in der Republik und hier: Wehrt euch dagegen! Das kann man sich als Frau nicht bieten lassen!“
Über die sprachliche Kraft äußere ich mich nicht mehr. Wer bisher schon etwas irritiert war vom intellektuellen Niveau dieser Rede, hat nun noch mehr Gelegenheit zu fortdauerndem Kopfschütteln. Es ist ja interessant, dass nach Haßelmanns Auffassung nicht etwa die bösen rechten Portale Einfluss nehmen auf die Fraktion, sondern umgekehrt, aber auch das war wohl wieder nur eine der üblichen sprachlichen Entgleisungen; die Worte perlen, wie sie wollen. Es ist nicht anzunehmen, dass sie sich über den Einfluss linker News-Portale beschweren würde, von denen es von der Tagesschau bis hin zur Süddeutschen Zeitung wahrlich genug gibt. Und „dieser Mann“ – wäre es nicht sinnvoll gewesen, wenigstens seinen Namen zu nennen? Gemeint ist der sogenannte „Plagiatsjäger“ Stefan Weber, auf dessen Dienste man in linken Kreisen gerne zurückgreift, solange es gegen den Gegner geht; richtet er sein Augenmerk auf linksgrüne Ziele, wird man ein wenig empfindlich. Er hat übrigens die Vorwürfe nicht revidiert, sondern präzisiert, weil sie in den Medien ungenau wiedergegeben wurden.
Aber hat er seine beliebten Plagiatsvorwürfe wirklich „gegen alle und jeden in der Republik“ erhoben, wie es Haßelmann so schön sagt? Gegen mich nicht, und ich wohne auch „in der Republik“. Und ich kenne auch sonst keinen in der Nachbarschaft. Tatsächlich ist unter Grünen die Gefahr in der Regel geringer, in das Fadenkreuz von Webers Aufmerksamkeit zu gelangen, denn wer nie eine Abschlussarbeit verfasst hat, konnte dort auch nicht plagiieren. Es erschließt sich auch nicht auf den ersten Blick, wodurch „die Karriere einer Frau“ so gefährdet wird. Denn falls sie abgeschrieben hat, spricht nichts gegen Konsequenzen, und hat sie es nicht, dann wird auch nichts gefährdet. Die von Weber gefundenen Textstellen sind frei verfügbar, man kann sie prüfen und versuchen, den Sachverhalt zu klären. Ich weiß, das Klären von Sachverhalten entspricht nicht dem ideologischen Denken der linksgrünen Gemeinde.
Im Übrigen waren die Plagiatsvorwürfe ohnehin nichts anderes als ein Feigenblatt, mit dem man sich in der CDU-Fraktion vor der offenen inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Positionen der Kandidatin Brosius-Gerstorf drücken wollte. Dass sich Haßelmann auf dieses Ablenkungsmanöver einlässt, spricht Bände.
Andernfalls hätte sie auch nicht ihre großartigen Schlusssätze vorbringen können. „Und ich sag’ das einmal an alle Frauen in der Republik und hier: Wehrt euch dagegen! Das kann man sich als Frau nicht bieten lassen!“ Die Frauen in der Republik sollen sich dagegen wehren, dass eine Kandidatin nicht zum gewünschten Termin gewählt wurde. Lag das etwa daran, dass sie eine Frau ist? Haben die Frauen in der Republik keine anderen Sorgen als die Karriere einer wohlbestallten Professorin, die geradezu unfassbare verfassungsrechtliche Positionen bezogen hat und deren Eignung als Verfassungsrichterin deshalb zu Recht sehr bezweifelt wird? Doch mit ihrem letzten Satz hat sie recht: „Das kann man sich als Frau nicht bieten lassen!“ Als Mann auch nicht. Ein derartig katastrophales Niveau im Deutschen Bundestag wie in dieser kurzen Rede kann sich niemand bieten lassen.
Und doch bieten sie es uns immer wieder.
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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
Bild: Screenshot Youtube
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