Von Kai Rebmann
Bundesweit wurden im vergangenen Jahr 16.354 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern mit insgesamt 18.085 Opfern sowie 1.191 weitere Fälle von sexuellem Missbrauch an Jugendlichen registriert. Oder etwas plastischer ausgedrückt: in Deutschland werden statistisch gesehen jeden Tag mehr als 50 Kinder und Jugendliche zu Opfern entsprechender Straftaten. Hinzu kommen noch 52.455 Fälle von Kinder- (42.854) bzw. Jugendpornografie (9.601) – sowie eine in allen Feldern wohl eher größere als kleinere Dunkelziffer.
Die Politik reagierte bei der Vorstellung des Bundeslagebilds „Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“ mit den üblichen, oft eingespielt wirkenden Phrasen. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) gab sich „erschüttert“ und warnte davor, sich mit solchen Zahlen einfach abzufinden. Jeder Täter müsse „konsequent verfolgt werden“, so Dobrindt.
Vor allem im Bereich der Kinderpornografie ist die Entwicklung in den vergangenen Jahren geradezu explodiert. Nachdem es zwischen den Jahren 2020 und 2021 zu mehr als einer Verdoppelung der Zahlen gekommen war, bewegen sich diese seither auf einem Niveau zwischen 40.000 und 45.000 Fällen pro Jahr. Eine zunehmend wichtige Rolle spielt dabei das Internet und in diesem Zusammenhang insbesondere das Grooming, also die Kontaktaufnahme Erwachsener mit Minderjährigen, und Livestreams. Aber auch Kinder und Jugendliche, die sich selbst filmen und das entsprechende Material „aus Neugierde, Gruppendruck oder dem Wunsch nach Anerkennung“ dann weiterleiten – und so in den allermeisten Fällen unbewusst ebenfalls zu Tätern werden.
Mehr Vorratsdatenspeicherung, mehr KI – und weniger Freiheit?
Doch wie lässt sich diese Entwicklung stoppen? Da ist guter Rat bekanntlich teuer, zumal es realitätsfern wäre, auch nur eine Sekunde zu glauben, dass der „Internetisierung“ der Gesellschaft noch Einhalt zu gebieten wäre oder diese sich gar zurückdrehen ließe. Also holten Innenminister Dobrindt und Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), bei der Präsentation des aktuellen Lageberichts eine altbekannte Forderung aus dem Schrank – und zwar die nach der massiven Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung.
Schon jetzt könnten laut Münch 75 Prozent der Tatverdächtigen identifiziert werden, bilanzierte Münch. Mit einer im Koalitionsvertrag von Union und SPD bereits vorgesehenen dreimonatigen Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern ließe sich die Aufklärungsquote auf bis zu 95 Prozent steigern, ist Münch überzeugt. Dobrindt warb gleichfalls darum, der Politik und insbesondere den Ermittlungsbehörden den gesamten Instrumentenkasten zur Verfügung zu stellen: „Wir können keine Aufdeckung erreichen, wenn uns die technischen Möglichkeiten, in diesem Fall die rechtlichen Möglichkeiten fehlen.“ Was freilich mindestens ebenso fehlt, ist ein konsequentes Handeln der Politik, wenn es um die Abschreckung potenzieller Täter geht.
Bei diesen Forderungen, die im Gewand von mehr Sicherheit daherkommen, in Wahrheit aber nicht zuletzt auch ein Mehr an Kontrolle aller und in den meisten Fällen völlig unbescholtener Bürger im Blick haben, gibt es jedoch mindestens zwei Fallstricke. Erstens ist eine Aufklärungsquote von 75 Prozent schon vergleichsweise hoch, auch wenn diese gerade beim sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sicher nie hoch genug sein kann. Zweitens helfen weder eine Vorratsdatenspeicherung noch die von Schwarz-Rot ebenfalls geplante biometrische Datenbank dabei, solche Verbrechen zu verhindern. Und genau darum sollte es in dieser Debatte gehen – um Vorbeugung bzw. Prävention, sprich die Frage: Wie lässt sich sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen verhindern und nicht „nur“ aufklären?
Was neben der Überwindung einer diesbezüglichen Kuscheljustiz dagegen helfen könnte, ist ein Vorstoß von Kerstin Claus, der Beauftragten der Bundesregierung gegen sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, die Spielplattformen im Internet und deren Chats diesbezüglich als „tagtäglichen Schauplatz“ bezeichnete. Die jeweiligen Anbieter müsste stärker als bisher in die Pflicht genommen werden, etwa wenn es darum gehe, altersspezifische Mechanismen – etwa einen „Kindermodus“ – einzubauen, der zum Beispiel das Versenden von Nacktbildern oder ähnlichen Darstellungen unmöglich machen soll.
Denn tatsächlich, auch das geht es aus dem aktuellen Bundeslagebild hervor, werden auch die Täter immer jünger. Beim sexuellen Missbrauch an Kindern sind diese in knapp einem Drittel der Fälle (31,8 Prozent) noch unter 18 Jahre alt, im Bereich der Kinder- und Jugendpornografie liegt dieser Anteil den Angaben zufolge sogar zwischen 40 und 50 Prozent.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: Symbolbild
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