• 28. Juli 2025

Angeblicher Eklat im Bayerischen Landtag: Mikro aus, Argumente egal

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Juli 27, 2025

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Gepflogenheiten gibt es viele, auch wenn sie nicht immer schriftlich oder gar gesetzlich fixiert sind. So pflegen sich Motorradfahrer, wenn sie sich auf der Straße begegnen, mit einer bestimmten Geste zu grüßen, um, wie man bei Pirelli schreibt, „jemanden zu würdigen, der die gleiche Leidenschaft hat wie wir“. Wer das nicht mag, kann es auch lassen, denn es ist schließlich nur eine Gepflogenheit, eine Art Tradition, und niemand wird einen Fahrer von der Straße drängen, weil er einen anderen nicht gegrüßt hat.

In den letzten Tagen haben allerdings manche Gepflogenheiten einen besonderen Wert bekommen, den ihnen Ilse Aigner, die Präsidentin des bayerischen Landtages zugewiesen hat. In der letzten Sitzung vor der Sommerpause, die aufgrund eines bemerkenswerten Zufalls passgenau mit den bayerischen Schulferien übereinstimmt, pflegt man im Landtag die Tradition der Schlussworte, die in versöhnlicher Manier gehalten werden sollen, unter anderem von der Präsidentin und dem Führer der Opposition, das heißt in diesem Fall der Chefin der größten Oppositionsfraktion, der AfD. Hören wir, was Ilse Aigner, die lupenreine Demokratin auf dem Präsidentenstuhl, zu diesem Thema zu sagen weiß: „Über Jahrzehnte hinweg war es im Bayerischen Landtag gute Tradition, dass ein Vertreter oder eine Vertreterin der stärksten Oppositionsfraktion bei den Schlussworten auch für alle anderen Oppositions-Fraktionen spricht. Dabei war es üblich, versöhnlich aufzutreten und politische Erklärungen in den Hintergrund zu stellen. Die Vorsitzende der AfD-Fraktion hat diese Gepflogenheit heute in eklatanter Weise missbraucht, sie hat rechtsextremistische Thesen geäußert und damit ihre Vertreter-Rolle für alle anderen Oppositionsparteien verwirkt.“

Katrin Ebner-Steiner, die Fraktionsvorsitzende der AfD hat also eine Gepflogenheit in eklatanter Weise missbraucht, indem sie sich politisch, gar rechtsextrem geäußert hat. Auf die Gepflogenheiten komme ich später zu sprechen, werfen wir zunächst einen Blick auf die erschreckend rechtsextremen Äußerungen von Ebner-Steiner. Auf der entsprechenden Website des Landtages ist erstaunlicherweise bis zum 27. Juli nur das Schlusswort Aigners zu finden, nicht aber das böse von Ebner-Steiner; vielleicht ist ein Sachbearbeiter schon ein paar Stunden zu früh in den wohlverdienten Urlaub aufgebrochen. Auf den Youtube-Kanal des Landtages hat man wohl nicht so richtig geachtet, denn dort findet sich die gesamte zur Diskussion stehende Sitzung, Ebner-Steiners Beitrag beginnt etwa ab der 40. Minute der dritten Stunde. Da sich jeder die Rede selbst ansehen kann, werde ich sie nicht wörtlich wiedergeben, sondern nur kurz zusammenfassen.

Begonnen hat sie mit einem Zitat aus der Neuen Zürcher Zeitung über die Erosion der Demokratie in Deutschland, dafür Beispiele angeführt und diese Entwicklung als gespenstisch bezeichnet. Das sei genau das, was Regierungskritiker derzeit erlebten. Sie spricht über einen versuchten Staatsstreich der SPD durch die Installation zweier linker Richterinnen am Bundesverfassungsgericht, die ein AfD-Verbot befürworteten, wobei Brosius-Gersdorf sogar die AfD und ihre Wähler beseitigen wolle.

Das allerdings stimmt nicht, denn in Wahrheit hat die unter Linksextremen über jeden Zweifel erhabene Juristin geäußert, dass mit einem Parteiverbot „natürlich nicht die Anhängerschaft beseitigt“ werden könne. Ob sie das bedauernd gemeint hat oder nicht, lässt sich nicht feststellen.

Ebner-Steiner fährt fort mit der Bemerkung, die AfD stehe inzwischen in Umfragen gleichauf mit der Kanzlerpartei CDU und sei die erfolgreichste Parteineugründung in der Geschichte des Landes. Nach drei Minuten unterbricht dann Aigner zum ersten Mal und weist auf die traditionelle Gestaltung der Schlussworte hin, bei denen eigentlich keine politische Debatte angefangen werden solle. Die anwesenden Vertreter „unserer Demokratie“ quittieren das mit frenetischem Beifall, der auch bei der Fortsetzung der Rede anhält, denn schließlich will man die Vertreter des Bösen erst gar nicht hören. Doch die Fraktionsvorsitzende hält dem entgegen, man wolle in Deutschland einen autoritären Linksstaat errichten und die Opposition zerstören. Kaum ist eine Minute vergangen, mischt sich die Präsidentin wieder ein und verweist auf die gepflogenen Regeln, die doch eingehalten werden sollten. Ebner-Steiner fährt dennoch fort. Nachdem sie über die Erosion von Grundgesetz und freiheitlich-demokratischer Grundordnung „durch die Politik der Kartellparteien“ gesprochen hat, glaubt Aigner schon wieder, eingreifen zu müssen, und bittet sehr um „versöhnliche Worte“, die sie aber nicht bekommt, weil Ebner-Steiner einfach nicht davon ablassen will, über die Realität in Deutschland zu sprechen: Von sexuellen Belästigungen spricht sie, von Vergewaltigungen bis hin zu Gruppenvergewaltigungen, von täglichen Messerangriffen und von dem überwiegenden Anteil von Tätern mit Migrationshintergrund.

Das ist zu viel für Ilse Aigner, sie fordert die Rednerin ultimativ auf, sich an die Regeln zu halten, sonst werde sie die Sitzung unterbrechen – obwohl sie offen zugibt, dass die Geschäftsordnung keine entsprechende Regel kenne, aber es gebe eben Tradition und Gepflogenheit, an die sich bisher jeder gehalten habe. Fast ist es zu Ende. Denn sobald Ebner-Steiner davon redet, dass „deutsche Mädchen und Frauen von manchen Gruppen als Freiwild betrachtet werden“ und auf die Übergriffe auf Kirchen und Christen sowie auf die Veränderungen der Stadtbilder zu sprechen kommt, schaltet ihr die Präsidentin das Mikrofon ab, mitten im Satz, wie man das unter Demokraten eben macht, und verkündet im genervten Tonfall einer leicht überforderten Grundschullehrerin: „So, Frau Kollegin, ich beende das jetzt.“

Ich darf erinnern: In der geschilderten Rede sollen nach Aigners späteren Erklärungen „rechtsextremistische Thesen“ geäußert worden sein. Ich habe sie gesucht, bin aber nicht fündig geworden. Ist es rechtsextremistisch, die NZZ zu zitieren? Oder auf den Versuch hinzuweisen, geneigte Richter im Bundesverfassungsgericht unterzubringen, damit man die Opposition verbieten und ohne Wahlen eine linke Mehrheit erzielen kann? Das ist eine reale Möglichkeit, über die man diskutieren kann und muss. Oder muss ich es als rechtsextremistisch verurteilen, wenn auf offizielle Statistiken zur Kriminalität Bezug genommen wird? Oder wenn die Veränderung in den Stadtbildern vieler Großstädte beschrieben wird, die Ilse Aigner vielleicht noch nicht bemerkt hat, die aber auch ohne ihre Kenntnisnahme überdeutlich sind? Das war schon der inhaltliche Kern der Rede und alles, was man hier inhaltlich kritisieren kann, ist die falsche Behauptung einer Äußerung Brosius-Gersdorfs. Auch das war nicht rechtsextrem, sondern einfach ein falsches Zitat.

Kurz gesagt: Der Vorwurf, es seien rechtsextreme Thesen geäußert worden, entbehrt jeder Grundlage. Und wie sieht es mit dem zweiten Vorwurf aus, es sei bei solchen Gelegenheiten stets üblich gewesen, „versöhnlich aufzutreten und politische Erklärungen in den Hintergrund zu stellen“, und die Vorsitzende der AfD-Fraktion habe „diese Gepflogenheit heute in eklatanter Weise missbraucht“? Eine Gepflogenheit kann man missachten, sie zu missbrauchen dürfte schon etwas schwieriger sein, aber ich will nicht kleinlich werden. Dass jedoch in den ehrwürdigen Hallen des Maximilianeums stets Traditionen und Gepflogenheiten beachtet würden, ist eine sehr eigenwillige Interpretation der Wahrheit. In ihren Schlussworten vor der Sommerpause 2023 meinte die damalige Präsidentin Ilse Aigner, es sei „kein Zufall, dass der Ton auch hier im Landtag spürbar verroht ist, seit 2018 eine neue Fraktion eingezogen ist“, und bezeichnete die AfD als eine Partei „die sich am äußersten rechten Rand positioniert, die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet und als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird und die hier im Haus vor allem durch Streit, Eklats und Provokationen aufgefallen ist“. Versöhnliche Bemerkungen, wie sie im Buche stehen. Und Katharina Schulze von den Grünen, die bei vielen Leuten, sobald sie auf dem Fernsehschirm erscheint, den unüberwindlichen Reflex auslöst, den Kanal zu wechseln, zeigte ihre Versöhnlichkeit in der gleichen Sitzung, indem sie AfD-Abgeordnete als „Demokratiefeinde“ bezeichnete. Das Gerede über versöhnliche Worte war angesichts der Leistungen der Vergangenheit eher unangebracht.

Doch das sind Kleinigkeiten, da es ohnehin eine alberne Idee ist, einem Parlament Versöhnlichkeit zu verordnen. Es gibt noch andere, viel wichtigere parlamentarische „Gepflogenheiten“, an die man sich früher gehalten hat und die heute auf dem Müllhaufen „unserer Demokratie“ gelandet sind. In der Geschäftsordnung des bayerischen Landtags heißt es in §7: „Jede Fraktion stellt eine Vizepräsidentin oder einen Vizepräsidenten; die Reihenfolge richtet sich nach § 6.“ Jede Fraktion, so steht es da. Man kann aber leicht überprüfen, dass der Posten des nach der gängigen Reihenfolge dritten Vizepräsidenten vakant ist. Kein Wunder, der hätte ja von der AfD besetzt werden müssen und so weit ging die Freude an den traditionellen Gepflogenheiten nun doch nicht. Es stimmt, sie mussten keinen AfD-Kandidaten wählen, denn in §8 liest man: „Das Präsidium wird in der ersten Sitzung aus der Mitte des Landtags für seine Wahldauer gewählt, die Präsidentin oder der Präsident und die Vizepräsidentinnen oder Vizepräsidenten jeweils in gesonderten Wahlgängen. Die Wahlen erfolgen auf Vorschlag der jeweils nach § 7 berechtigten Fraktion.“

Aber bis vor wenigen Jahren gab es die allgemein anerkannte Gepflogenheit und Tradition, die von den berechtigten Fraktionen vorgeschlagenen Kandidaten dann auch zu wählen, ob man sie schätzte oder nicht. Die Geschäftsordnung kennt keinen Zwang zur Wahl, genauso wie sie keinen Zwang zu versöhnlichen Worten während der letzten Sitzung vor der Sommerpause kennt. Aber die Gepflogenheiten sind unbestreitbar. Hat sich Ilse Aigner darüber empört? Hat man von einem „Eklat“ im Landtag gesprochen? Hat Aigner der Presse mitgeteilt, die Fraktionen hätten die Gepflogenheiten missachtet, die seit Jahr und Tag im Landtag herrschten? Wollte sie „Gespräche mit den Fraktionen führen, ob oder wie es mit dieser Tradition weitergeht“? Nichts dergleichen, denn das waren ja Gepflogenheiten und Traditionen, die sie störten – warum darüber viele Worte verlieren?

Versöhnliche Schlussworte kurz vor der Sommerpause, die Wahl eines Vizepräsidenten des Landtages – in beiden Fällen hat man sich nicht um Gepflogenheiten gekümmert. Nur in einem, eher unwichtigen Fall hat das die Präsidentin dieses Landtages interessiert.

Ilse Aigner, die stets aufrechte Demokratin, wird inzwischen als Kandidatin für die Nachfolge von Frank-Walter Steinmeier im Amt des Bundespräsidentin gehandelt.

Und ich dachte immer, nach Steinmeier könnte es nicht mehr schlimmer kommen.

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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Screenshot Youtube

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